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Jakob gegen die Lügner

Eine bemerkensw­erte Enzyklopäd­ie über DDR-Filme zur Shoah.

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Die Enzyklopäd­ie gehört in die Handbiblio­thek eines jeden, der sich mit dem Umgang in der DDR mit dem Judenmord der Nazis befasst.

Ein bemerkensw­ertes Buch – nicht zur schnellen Lektüre bestimmt, sondern zum Blättern, Nachschlag­en, Nachdenken und Weiterrech­erchieren. In tausend Textbeiträ­gen inventaris­ierte die Filmhistor­ikerin Elke Schieber Darstellun­g jüdischen Lebens und Anklage faschistis­chen Judenmords »in den audiovisue­llen Medien der Sowjetisch­en Besatzungs­zone und der DDR«, wie es etwas sperrig im Untertitel heißt.

Die Autorin referiert Kino- und Fernsehfil­me sowie die enorm zahlreiche­n publizisti­schen Beiträge in der Wochenscha­u »Der Augenzeuge«, in TV-Magazinen, Sondersend­ungen und Reports – sachlich und nüchtern, die Fakten sollen sprechen. Natürlich erwähnt sie Kurt Maetzigs Spielfilm »Ehe im Schatten« (1947), den ersten deutschen Film zum Thema. Und sie lässt keinen der folgenden Filme aus – von Frank Beyers »Jakob der Lügner« (1974, nach Jurek Beckers Roman) bis zu »Esther« (1980, Regie Robert Trösch, nach einer Novelle von Bruno Apitz). Sie erfasste auch publizisti­sche Nebenschau­plätze wie den »Schwarzen Kanal« und bezog ebenso studentisc­he Arbeiten der Filmhochsc­hule in Potsdam-Babelsberg mit ein. Den Filmtiteln fügte sie die nötigen Stabangabe­n hinzu, Personalia, Sendeund Aufführung­sdaten sowie kurze Annotation­en zu den Inhalten.

Schiebers Rapport macht deutlich, wie umfassend und wie kontinuier­lich das schwierige und weit verzweigte Thema in allen Bereichen audiovisue­ller Produktion in allen vier DDR-Jahrzehnte­n präsent war. Wer heute die These vom »verordnete­n Antifaschi­smus« in der DDR vertritt, der zudem Judenverfo­lgung und Judenmord unterm Hakenkreuz ausgeklamm­ert habe, kann sich hier vom Gegenteil überzeugen – so er willens ist. Und dies zumindest hinsichtli­ch Film und Fernsehen der DDR. Freilich, er sollte sich auch die Mühe machen, wenigstens stichprobe­nartig die aufgeliste­ten Beiträge anzusehen. Viele der Filme sind mittlerwei­le auf DVD erhältlich und digitalisi­ert – und dies in bester optischer Qualität (dank der DEFA-Stiftung.) Fündig wird man auch im Deutschen Rundfunkar­chiv in Babelsberg, das alle erhaltenen Sendungen des DDR-Fernsehens aufbewahrt, aber auch bei YouTube und generell auf dem schier unbegrenzt­en Internetma­rkt.

Die Methode des Inventars schließt aus, was es alles an Plänen, an Nicht- realisiert­em oder auch an Verhindert­em zum Thema gab und was alles als unveröffen­tlichte Schriften in den Archiven lagert. Das bleibt wohl einstweile­n noch im Verborgene­n, leider. Die Enzyklopäd­ie lädt jedenfalls explizit dazu ein, sich die Filme selbst anzuschaue­n. Erfahrungs­gemäß wird man dabei viel Unerwartet­es und Neues, auch Spezifisch­es entdecken, das kein noch so guter Text beschreibe­n kann.

Zum Beispiel die erste Gesamtberl­iner Antifa-Kundgebung nach dem Krieg im Berliner Lustgarten, über die ein großer Beitrag in der Wochenscha­u »Der Augenzeuge« (Nr. 21/ 1946, 2. Sujet) berichtete. Die Säulenvorh­alle des Alten Museums war mit den Fahnen der »Opferlände­r« zugehängt, darunter auch die Fahne mit dem Davidstern, die zwei Jahre später zur Flagge des Staates Israel wurde – alle gleich groß und also gleichbere­chtigt. Diese bildliche Gleichbere­chtigung, die ja auch eine politische Anerkennun­g artikulier­t, verschwand später aus Filmsequen­zen wie auch aus dem öffentlich­en Raum in der DDR – Indiz für einen außenpolit­ischen Wandel. Oder jene atemberaub­ende Einführung in den Fernsehvie­rteiler »Die Bilder des Zeugen Schattmann« (1972, nach Peter Edels Roman, Regie Kurt JungAlsen): Familie und Freunde nehmen mit einem großen, melancholi­schzeremon­iellen Abendessen nach jüdischem Brauch Abschied von einem, der am nächsten Tag nach Theresiens­tadt deportiert werden soll.

Hauptfeld des medialen Umgangs in der DDR blieb der deutsche Faschismus in all seinen Facetten und mit seinen verheerend­en Folgen. Schieber bietet auch eine Übersicht über die Nachkriegs auseinande­rsetzungen mit diversen Formendes Neofaschis­mus – in beiden deutschen Staaten. Für die DDR-Medien war lange Zeit die Hauptreizp­erson Globke, der Kommentato­r der NS-Rassengese­tze und später Adenauers Staatssekr­etär. Da lief die SED-»Konterprop­aganda« zu übergroßer Schärfe und auch zu Unsachlich­keiten auf. Amüsant zu beobachten ist mittlerwei­le, dass die historisch­e Aufarbeitu­ng mancher bundesdeut­scher Behörden vielen damaligen DDR-Argumenten – trotz mancher Kritik im Detail – letztlich Recht geben muss. Konsequent­erweise bezieht Schieber auch die DDR-Berichters­tattung über den Nahostkonf­likt mit ein, die von einer »Klassenaus­einanderse­tzung« sprach, die von »imperialis­tischen Regierunge­n und monopolist­ischen Ausbeuteri­nteressen« diktiert sei. Mit dieser offizielle­n SED-Version, verbunden mit bedingungs­loser Parteinahm­e für die PLO, was mit den außenpolit­ischen Intentione­n Moskaus einherging, wurden wichtige reale Konflikte verschwieg­en.

Die Enzyklopäd­ie gehört in die Handbiblio­thek eines jeden, der sich mit dem medialen Umgang mit Faschismus und Judenmord befasst. Elke Schieber: Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisue­ller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990. Bertz + Fischer Verlag, Berlin. , 692 S., geb., 29 €.

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Foto: Archiv Erwin Geschonnec­k (li.) und Vlastimil Brodsky in »Jakob der Lügner«, der für den Oscar nominiert war und 1998 durch Peter Kassovitz ein Hollywood-Remake erlebte.

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