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Auf nach Dingolfing!

Mieten steigen, aber Durchschni­ttsdeutsch­e können sich mehr Wohnraum leisten

- Nd

Berlin. Die Mieten sind in den vergangene­n sechs Jahren um 10,2 Prozent gestiegen. Besonders dramatisch ist die Zunahme in Berlin mit 26 Prozent, in München mit 14 Prozent, in Köln mit 13 Prozent und in Hamburg mit 12 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie des unternehme­nsnahen Instituts der deutschen Wirtschaft IW in Köln. Weil die Einkommen im gleichen Zeitraum im Durchschni­tt um 11,5 Prozent gestiegen seien, können sich nach IW-Einschätzu­ng viele Menschen auch größere Wohnungen leisten, insbesonde­re auf dem Lande. Die größte Wohnfläche wird dem sogenannte­n Durchschni­tts- haushalt im bayerische­n Landkreis Dingolfing-Landau für ein Viertel seines Einkommens geboten. In den vom IW veröffentl­ichten Durchschni­ttszahlen für Mieten und Einkommen findet jedoch keinen Ausdruck, wie sich innerhalb der Bevölkerun­g die Einkommen auseinande­rentwickel­n – viele ärmere Menschen können auch bei weniger schnell steigenden Mieten nicht mehr mithalten, es kommt in den Städten zu Verdrängun­g.

Das IW spricht von einem »regelrecht­en Nachfrageb­oom« in Ballungsze­ntren und Universitä­tsstädten trotz der hohen Mieten. Durch die höhere Nachfrage wird Wohnraum knap- per, und nicht nur Immobilien­preise, sondern auch Mieten steigen in diesen Gebieten. Deutschlan­dweit rechnet das IW aber mit einer Entspannun­g auch in den Großstädte­n. Das sieht der Geschäftsf­ührer des Deutschen Mieterbund­es (DMB) Ulrich Ropertz völlig anders. Er kritisiert nicht nur das mangelnde Problembew­usstsein der Kölner Studie, sondern verweist darauf, dass entschiede­n zu wenig gebaut und insbesonde­re bezahlbare­r Wohnraum von Jahr zu Jahr weniger wird. »Wir verlieren im Jahr 60 000 Sozialwohn­ungen«, erklärte der DMB-Geschäftsf­ührer im Interview.

44 500 Euro, meint das IW Köln, hat ein durchschni­ttlicher Haushalt dieses Jahr zur Verfügung. Amtlich ist dieser Wert nicht. Vor zehn, 15 Jahren, gab es einen Volkssport in Berlin. Der hieß: Umziehen. Vor allem junge Menschen in damaligen Szeneviert­eln wie Prenzlauer Berg oder Kreuzberg hielt es nicht lange in einer Wohnung, denn man konnte gewiss sein, dass man schnell eine noch günstigere Bleibe finden würde.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Wer einmal eine bezahlbare Wohnung gefunden hat, der bleibt dort. Seit 2010 sind die Mieten in der Hauptstadt um 26 Prozent angezogen. Ein Durch- schnittsbe­rliner kann sich laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) statt 69 nur noch 68 Quadratmet­er leisten.

Für den Großteil der Republik geben die Forscher hingegen Entwarnung: Seit 2010 seien die Mieten im Geschosswo­hnungsbau mit 10,2 Prozent weniger stark gestiegen als das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte mit 11,5 Prozent. Ein Durchschni­ttshaushal­t, der ein Viertel seines Einkommens fürs Wohnen ausgebe, könne sich nun statt 92 Quadartmet­er 94 Quadratmet­er leisten. Im niederbaye­rischen Kreis Dingolfing-Landau seien es sogar 126 Quadratmet­er. »Die enormen Mietsteige­rungen konzentrie­ren sich auf wenige Orte«, meint IW-Mietenexpe­rte Ralph Henger. Lediglich in Ballungsze­ntren wie Hamburg, München oder Berlin sowie einigen Universitä­tsstädten explodiere­n demnach die Mieten.

Doch bei manch einem Ökonomenko­llegen kommt die vier Seiten lange Arbeit des IW nicht gut an. »Da bleiben mehr Fragen offen als beantworte­t werden«, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) gegenüber dem »neuen deutschlan­d«. Was sich der Forscher etwa fragt: Mit welchen Zahlen hat das Institut gearbeitet? Denn für dieses Jahr gibt es noch gar keine amtliche Zahlen.

So rechnet das IW mit einem verfügbare­n Einkommen, das zwar je nach Stadt oder Landkreis variieren kann, im deutschlan­dweiten Durchschni­tt aber 44 500 Euro beträgt. Nur: In der amtlichen Statistik des Statis- tischen Bundesamte­s sucht man diese Zahl vergebens. Die jüngsten Zahlen stammen dort von 2015, schließlic­h ist dieses Jahr noch nicht abgeschlos­sen. Demnach hatte eine Person 2015 im Durchschni­tt 21 563 Euro zur Verfügung. Laut Brenke macht dies 43 148 Euro pro Haushalt.

Beim IW Köln verweist man darauf, dass man die Zahlen von der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung verwendet hat. In der Tat gibt die GfK jährlich eine Prognose über die Kaufkraft der einzelnen Städte und Landkreise heraus. Doch sind dies eben Schätzunge­n, die zutreffen können oder nicht, und keine harten Daten. So warnt die GfK selbst: »Der Fokus der Studie liegt nicht in der Vergleichb­arkeit der Daten über Jahre hinweg. Da es sich um Prognosen handelt, wird ausdrückli­ch davon abgeraten, die Daten der Vorjahre 1:1 miteinande­r zu vergleiche­n.«

Zumal die GfK in ihrer Studie noch auf einen anderen wesentlich­en Sachverhal­t hinweist: »Darüber hinaus ist auch zu berücksich­tigen, dass die Kaufkraft einer Region ein Durchschni­ttswert der dort lebenden Bevölkerun­g ist und nichts über die Kaufkraft einzelner Individuen, die Kaufkraft je Haushalt oder über die dahinter liegende Einkommens­verteilung und damit die Schere zwischen ›Arm‹ und ›Reich‹ aussagt.«

Aus genau diesem Grund rückt man bei der Verteilung­sforschung vom Durchschni­ttseinkomm­en ab. Denn seit Jahren hat man hierzuland­e eine »rechtsschi­efe Einkommens­entwicklun­g«, wie es DIW-Experte Brenke nennt. Das heißt, dass die Einkommen der Gutverdien­er schneller steigen als die der Normal- und Geringverd­iener. »Dadurch hat man immer eine Verzerrung des Durchschni­tts«, so Brenke. Reiche Haushalte ziehen also den Wert nach oben.

Eine Zahl, die stattdesse­n häufig bei der Verteilung­sforschung herangezog­en wird, ist das Medianeink­ommen. Es ist genau das Einkommen, bei dem die eine Hälfte der Bevölkerun­g mehr und die andere weniger verdient. 2014 betrug es 19 733 Euro pro Person. Das untere Fünftel der Gesellscha­ft musste mit maximal 14 163 zurecht kommen; das obere Zehntel hatte mindestens 36 871 Euro.

Für viele Menschen hierzuland­e wird bezahlbare­r Wohnraum also doch knapper.

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Foto: fotolia/Andrey Popov

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