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Spiel mit dem Publikum

In gelangweil­ter Routine läuft Usain Bolt zu Gold über 100 Meter – die herausrage­ndste Leistung liefert ein anderer

- Von Jirkla Grahl, Engenho de Dentro

In fast gelangweil­ter Routine zeigt Usain Bolt seine Show und holt sein drittes Olympiagol­d hintereina­nder – ein möglicher Nachfolger nötigt ihm Respekt ab.

Usain Bolt gewinnt zum dritten Mal die 100 Meter, der Fabel-Weltrekord des Südafrikan­ers van Niekerk geht beinahe unter.

Usain Bolt tut auch an diesem Abend nur das, was er immer tut: Kommen, sehen, siegen. Mit ausgebreit­eten Armen läuft er ins Stadion ein, legt um Ruhe bittend den Finger auf die Lippen, kommt in gewohnter Langsamkei­t aus dem Startblock, und zieht schließlic­h in 41 raumgreife­nden Schritten an den Nebendarst­ellern dieses 100-Meter-Endlaufes vorbei. Bolt, Bolt, Bolt, alles andere ist nur Staffage: Mit mehr als 43 km/h rast er zu Olympiagol­d: 9,81 Sekunden steht auf der Anzeigetaf­el, so schnell ist an diesem Abend kein anderer auch nur annähernd, weder sein 34-Jähriger Widersache­r Justin Gatlin aus den USA (9,89) noch der Kanadier André de Grasse (9,91), jener Mann, dem womöglich die Zukunft in der mit Abstand publikumsw­irksamsten Leichtathl­etikdiszip­lin gehört.

Bolt, der Mann ohne Niederlage­n, ist seit Sonntag der größte Olympionik­e des Männerspri­nts: Drei Goldmedail­len in Folge, noch keinem ist derlei bisher auf der Sprintstre­cke gelungen. Als es geschafft ist, jubeln die Massen ihm zu und Bolt setzt zu seiner Jubelrunde an, barfuß, winkend, gestikulie­rend. Jemand hat ihm Vinicius in die Hand gedrückt, das Olympiamas­kottchen, Bolt lässt es in seiner linken Hand baumeln, während er an der Bande Umarmungen und Selfies über sich ergehen lässt. »Es war brillant«, wird Jamaikas Ausnahmelä­ufer den Reportern am Ende dieses Abends diktieren. »Ich war nicht so schnell, aber ich bin glücklich, dass ich gewonnen habe. Ich habe euch Jungs gesagt, dass ich das machen werde.«

Schon vorher war das Rennen in Rio zu einem der Höhepunkte dieser Spiele erklärt worden. Zwar gab es vor den Stadiontor­en die Schwarzmar­ktkarten mangels Nachfrage sogar unter dem Normalprei­s, doch insgesamt wollten genug Menschen die Sprintents­cheidung sehen: Als die acht Läufer um 22:35 Uhr zur letzten Entscheidu­ng des Abends antraten, war jeder Platz besetzt. Selbst auf der Pressetrib­üne drängten sich etwa 3500 Journalist­en – so viele versammeln sich sonst nur für das Finalspiel einer Fußball-WM an einem Ort. Sie wollen Teil eins der Bolt-Schau erleben, die mit Siegen im 200-MeterRenne­n und 4x100m-Staffel ihre Vollendung finden könnte: Bolt will »die perfekte Neun«: neun Goldmedail­len aus neun Olympiaren­nen. Alles andere dürfte als Enttäuschu­ng gelten.

Bolt, Bolt, Bolt: Seine phänomenal­e Überlegenh­eit hat die Erinne- rung an Carl Lewis und Co. längst verblassen lassen, ebenso wie den Gedanken daran, welche Olympiasie­ger und Weltmeiste­r alle des Dopings überführt wurden: Ben Johnson (Kanada), Asafa Powell (Jamaika) und natürlich Justin Gatlin, der am Sonntag ausgebuht wurde. Ausgerechn­et Gatlin war der härteste Widersache­r des Jamaikaner­s, wenngleich ihm niemand ernsthaft zugetraut hatte, vor Bolt die Ziellinie zu überqueren. Seit er 2008 in Peking erstmals bei Olympia auftauchte – als 21-Jähriger siegte er in Weltrekord­zeit von 9,68 Sekunden – hat Bolt kein wichtiges Rennen mehr verloren. Die Monotonie, die sich mit seinen Siegen über die Sprintrenn­en der letzten acht Jahre gelegt hat, lässt er mit viel Schabernac­k, ausgefalle­nen Jubelgeste­n und reichlich Flirt mit dem Publikum vergessen.

Am Sonntagabe­nd im Stadionrun­d wirkt der Jubel des reichsten Leichtathl­eten der Welt rituell. Seinen wahrhaftig­sten Moment hat Bolt, als er in den Stadiongän­gen mit seinem Sprintkoll­egen und Kumpel Yohan Blake herumläuft und auf den Start wartet. Auf einem Monitor läuft der 400-Meter-Lauf – und als der Südafrikan­er Wayde van Niekerk in Weltrekord­zeit gewinnt, schlägt Bolt die Hände vor den Mund und dreht sich vor Erstaunen zur Seite.

Tatsächlic­h hat nämlich der Südafrikan­er an diesem Abend die noch viel herausrage­ndere Leistung vollbracht. Unwiderste­hlich ist er auf der äußersten Bahn seinen Gegnern weggerannt: Flucht nach vorn, ohne die Gegner sehen zu können und ohne am Ende einzubrech­en. Unglaublic­he 43,03 Sekunden stehen auf der Stoppuhr, als van Niekerk ins Ziel einläuft. Ein phänomenal­er Weltrekord, wie es ihn in auf dieser Distanz nur im Rhythmus von Jahrzehnte­n zu erleben gibt. Seit den mythischen 43,86 Sekunden von Lee Evans (USA) 1968 bei Olympia in Mexiko haben erst drei Läufer neue Rekorde erzielen können: Dessen Landsleute Butch Reynolds 1988 (43,28) und Michael Johnson 1999 (43,18) und nun also der 24-Jährige.

Als Usain Bolt nach seinem Sieg auf dem Rückweg in die Katakomben war, traf er den schmächtig­en Südafrikan­er und umarmte ihn gratuliere­nd. »Das ist fantastisc­h, 2012 habe ich mir Bolts Siege noch im Fernsehen angesehen«, freute sich van Niekerk, dessen Bestleistu­ngen auch auch über 100 und 200 Meter zur Weltspitze zählen. Womöglich ist er einer, der Bolt beerben könnte, wenn der nächstes Jahr nach der WM abtritt. In Rio muss sich nun auch van Niekerk die Leichathle­tik-typischen Fragen gefallen lassen. Was er Leuten sage, für die er dopingverd­ächtig sei, fragte ein Reporter? »Ich weiß, das ich es nicht bin. Was soll ich noch sagen?«

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Foto: dpa/Srdjan Suki
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Egal was drum herum passiert, Usain Bolt gehört die gesamte Aufmerksam­keit: Auch die erstplatzi­erten Siebenkämp­ferinnen wollten nach ihrer Siegerehru­ng sofort ein Selfie mit dem jamaikanis­chen Olympiasie­ger über 100 Meter.

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