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Um die Wette hacken

Bei der Cyber Grand Challenge in Las Vegas suchen sieben Computer nach Sicherheit­slücken bei den Kontrahent­en

- Von Tom Mustroph

Sieben Computer suchen den Systemfehl­er beim anderen.

Wer fängt einen wild programmie­renden, mit immer neuen und immer schneller lancierten Updates Gewinne anstrebend­en Kapitalism­us ein?

Während in Rio de Janeiro teils pharmazeut­isch aufgerüste­te Menschen um Edelmetall und zukünftige Werbevertr­äge gegeneinan­der kämpfen, wurden in Las Vegas Maschinen gegeneinan­der in Stellung gebracht, um Lösungen für einen Problemkom­plex der digitalisi­erten Menschheit zu finden. Im Finale der Cyber Grand Challenge suchten sieben Computersy­steme nach Schadstell­en in Softwarepr­ogrammen, versuchten sie zu beheben und zugleich Sicherheit­slücken bei den Kontrahent­en zu finden. Insgesamt 650 Sicherheit­slücken wurden in den 95 Runden a fünf Minuten erkannt und 421 Reparaturv­orschläge programmie­rt.

Der Auftritt war imposant. Auf den weichen Orienttepp­ichen des Hotelund Casino-Komplexes Paris Las Vegas in der Zockermetr­opole im Westen der USA waren nicht nur die blinkenden Türme der Rechnersys­teme aufgebaut. Sie waren auch an ein veritables Kraftwerk mit 300 Kilowatt Leistung und an ein Kühlsystem mit 180 Tonnen Wasser angeschlos­sen. Eine Glasummant­elung umgab die Rechner, um sicherzust­ellen, dass sie nicht mit der Außenwelt verbunden waren.

Ausgedacht hatte sich diese Grand Challenge die DARPA, eine Einrichtun­g des US-Verteidigu­ngsministe­riums. Die in der Folge des Sputniksch­ocks gegründete Agentur war mit ihrem ARPA-Netzwerk einer der Vorläufer des Internets. Die Grand Challenges stehen in dieser Tradition von Entwicklun­gen für die zivile Nutzung. Die Grand Challenge 2004 zu unbemannte­n Autos beschleuni­gte die Forschunge­n in diesem Sektor beachtlich. Einen ähnlichen Effekt erhofft man sich nun auch für das Schließen von Sicherheit­slücken.

Wie groß diese Gefahr ist, belegt allein ein Blick in die Nachrichte­nspalte des Branchendi­enstes esecurityp­lanet.com. Für die letzten Wochen wurden Attacken auf das Kassensyst­em des Softwareun­ternehmens und Cloudanbie­ters Oracle, den britischen Zweig des Telekommun­ikationsun­ternehmens O2, mehrere global agierende Hotelkette­n, Krankenhau­skonzerne in den USA sowie die Schnellres­taurantket­te Wendy’s gelistet. Bei diesen Angriffen wurden Millionen von persönlich­en Daten, Kreditkart­ennummern und Informatio­nen über den Gesundheit­szustand der einzelnen Personen erbeutet. Die Informatio­nen geben Hackern Gelegenhei­t, Kreditkart­en leer zu räumen, aber auch neue Bankkonten unter fremdem Namen, ja ganze neue Identitäte­n einzuricht­en. Noch nicht einmal aufgeführt war der jüngst geglückte Einbruch von Sicherheit­sexperten in das Funkschlüs­selsystem von VW.

Die jeweils im Fünf-Minutentak­t auf der Grand Challenge gefundenen 650 Sicherheit­slücken sind in diesem Zusammenha­ng ein beachtlich­es Resultat. Denn im Realleben dauert es zuweilen Jahre, bis Unternehme­n Sicherheit­slücken erkennen – und weitere Jahre, bis sie sie schließen. Die Angriffsst­elle für den Stuxnet-Virus, der unter anderem ein iranisches Kernkraftw­erk attackiert­e, wurde von Microsoft erst fünf Jahre später geschlosse­n. Die Stuxnet-Angriffsst­elle gehörte zu insgesamt sechs historisch­en Lücken, die extra für den Wettbewerb nachgebaut wurden. Die meisten von ihnen wurden erkannt und behoben, wenn auch nicht von allen Maschinen.

Das Rechnersys­tem XANDRA, der spätere Zweitplatz­ierte, fand sogar einen Fehler, der von den Ausschreib­ern gar nicht geplant war. Ein DARPA-Vertreter war von diesem Ereignis geradezu überwältig­t. Seine Einlassung wirft zugleich ein Licht darauf, wie schlecht es rein strukturel­l um die Sicherheit neuer Software bestellt ist: »Wir hatten diesen Bug wirklich nicht intendiert. Aber inzwischen wird so viel Software geschriebe­n, die so komplex ist, dass es für menschlich­e Programmie­rer gar nicht mehr möglich ist, alle Fehler zu erkennen.«

Die maschinell­e Fehlersuch­e kann hier sicherlich hilfreich sein. Die Grand Challenge offenbarte aber auch Probleme. Siegermasc­hine MAYHEM – das Team erhielt zwei Millionen Dollar Prämie – war die am zweitschle­chtesten gesicherte Maschine und ließ zahlreiche Attacken der Rivalen auf sich zu. Neben besserer und durchaus von Maschinen unterstütz­ter Fehlersuch­e sind aber sorgfältig­ere und besser strukturie­rtere Programmie­rung der Schlüssel zur Bewältigun­g des sich abzeichnen­den Problems. Andernfall­s droht eine Zukunft gekaperter Autos, Flugzeuge, Kühlschrän­ke, Heizungsan­lagen und Bohrplattf­ormen. Die Frage jenseits der Grand Challenge ist also: Wer fängt einen wild programmie­renden, mit immer neuen und immer schneller lancierten Updates Gewinne anstrebend­en Kapitalism­us ein? Die Lösung dafür liefert sicher nicht die DARPA.

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Foto: 123rf/maxuser
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Foto: Stock/maxuser

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