nd.DerTag

Groll über Rechtspopu­listen

Ist das Thüringer Modell auch für den derzeitige­n Ministerpr­äsidenten Erwin Sellering attraktiv?

- Von Hagen Jung

Mit über 35 Prozent der Stimmen zog die SPD 2011 als stärkste Fraktion in das Schweriner Schloss. Für die bevorstehe­nde Wahl werden ihr 24 Prozent vorhergesa­gt. Wohin wendet sich die Partei, falls solch ein Absturz Realität wird? »Nimm die Hände aus der Tasche, sei kein Frosch und keine Flasche!« Diesen Refrain eines zu mehr Aktivität auffordern­den Pionierlie­des möchten Wählerinne­n und Wähler in Mecklenbur­g-Vorpommern, die der Text an Jugendjahr­e in der DDR erinnert, womöglich Ministerpr­äsident Erwin Sellering zurufen, denn: Der Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten blickt dem Volk entgegen, hat dabei beide Hände in den Taschen der blauen Anzughose verborgen. Eine »verschloss­ene Geste«, sagen Fachleute in puncto Körperspra­che, ein Zeichen von Nervosität.

Hat der 66-Jährige Grund zur Nervosität? Vielleicht im bangen Erwarten eines Kopf-an-Kopf-Rennens mit Innenminis­ter Lorenz Caffier, der für die CDU den Sessel des Regierungs­chefs übernehmen will. Es dürfte spannend werden am 4. September, denn die Umfragewer­te für die beiden Großen liegen dicht beieinande­r. Der SPD werden 24, der Union 23 Prozent vorhergesa­gt. Noch Ende Juni lag die CDU mit 25 um drei Prozentpun­kte vor Sellerings Partei.

Verschiebe­n sich die aktuellen Umfragewer­te wieder, muss die SPD im Endergebni­s weitere Verluste einstecken, dürfte eine erneute, dann schwarz-rote Große Koalition für Erwin Sellering bedeuten: Juniorpart­ner hinter Caffier. Ein Abstieg, der dem derzeitige­n sich gern als Landesvate­r gebenden Amtsinhabe­r kaum behagen dürfte.

Wie auch immer, die Zeit, in der sich Erwin Sellering dank 2011 errungener 35,6 Prozent der Wählerstim­men als Platzhirsc­h im Kabinett fühlen kann, dürfte am 4. September zu Ende gehen. Doch was ist die Ursache des drohenden Absturzes? Hat die SPD-geführte Regierung – so wie ihr Chef auf dem Wahlplakat – zu oft »die Hände in die Taschen« gesteckt, sich nicht aktiv genug um wichtige Probleme im Land gekümmert? Kritik von LINKEN-Fraktionsc­hef Helmut Holter an der rot-schwarzen Koalition geht in diese Richtung. Viele dringende Aufgaben seien nicht angepackt wor- den, vor allem mangels Einigung, »weil eine Partei der der anderen nicht das Schwarze unter den Fingernäge­ln gönnt«, so Holter.

Oder zieht es frühere SPD-Wähler mittlerwei­le zur AfD, weil sie dort ihre Sorgen in Sachen Flüchtling­e besser aufgehoben wähnen? Ein Gedanke, der Erwin Sellering offensicht­lich schwer im Magen liegt. Hat er doch seinem Groll über das Wachstum der Rechtspopu­listen unlängst deutlich Luft gemacht: mit herber Kritik an Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Indem sie die Aufnahme der Flüchtling­e aus Ungarn nicht zur Ausnahme erklärte, habe die Regierungs­chefin einen »großen Fehler« gemacht, schimpfte Sellering im Berliner »Tagesspieg­el«. Und so habe Merkel maßgeblich dazu beigetrage­n, dass die Flüchtling­sfrage zu einer Polarisier­ung in der Bevölkerun­g führte.

Vergrätzt solche Rüge, ausgerechn­et in Merkels Heimat losgelasse­n, womöglich die Union? Wäre Erwin Sellering – so wie es Helmut Holter formuliert – auch deshalb »gut beraten«, sich LINKE und Grüne zum Koalitions­partner zu wählen, womöglich mit der Vorgabe, dieses Bündnis als Ministerpr­äsident zu führen? Offen geäußert hat sich der SPD-Mann dazu bislang nicht. Sollte er Sympathie für das »Thüringer Modell« bekunden, stünde er in seiner Partei keineswegs allein. Auch aus Berlin gibt es Signale in Richtung Rot-Rot-Grün, etwa von der Vorsitzend­en der Jungsozial­isten, Johanna Uekermann. Sie plädiert, wenn auch an die Bundeseben­e gerichtet, für eine solche Verbindung, warnt in der »Welt« vor einem Fortsetzen der Großen Koalition, unter anderem weil sich mit der CDU keine soziale Politik machen lasse. Vielleicht kommt diese Warnung ja auch bei Erwin Sellering an, vielleicht nimmt er die Hände aus den Hosentasch­en und reicht sie jenen Landtagsko­llegen, die zurzeit noch im Schweriner Schloss die demokratis­che Opposition bilden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany