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Dündar traut Erdogans Justiz nicht

Verurteilt­er Chefredakt­eur der »Cumhuriyet« tritt zurück und bleibt in Europa

- Von Jan Keetman

Der in der Türkei wegen Geheimnisv­errats verurteilt­e Journalist Can Dündar legt seinen Posten als Chefredakt­eur der opposition­ellen türkischen Tageszeitu­ng »Cumhuriyet« nieder. Can Dündar ist zurückgetr­eten. Damit signalisie­rt der derzeit wohl bekanntest­e Journalist des Landes, dass er nach dem Putschvers­uch und Erdogans Säuberung der Justiz nicht in die Heimat zurückkehr­en möchte. Er wird derzeit in Deutschlan­d oder einem anderen europäisch­en Land vermutet. In der Türkei würde ihm nun neben dem Gericht auch die Regierung gegenübers­tehen, so Dündar. »Einer solchen Justiz zu vertrauen, ist so, als würde man den Kopf unter die Guillotine legen«, schreibt Dündar in einer am Montag veröffentl­ichten Kolumne an seine Leser.

Ihm droht eine lebenslang­e Haftstrafe, weil er in der »Cumhuriyet« Fotos von einer Waffenlief­erung des türkischen Geheimdien­stes (MIT) veröffentl­icht hat. Gendarmen hatten drei von Mitarbeite­rn des MIT begleitete Lastwagen gestoppt, als sie zu einem Grenzüberg­ang unterwegs waren, der einige Tage zuvor von Kämpfern des Islamische­n Staates besetzt worden war.

Mit den Fotos hatte Dündar den Präsidente­n Erdogan auch indirekt bei einer Lüge ertappt. Monatelang hatte dessen Pressespre­cher nämlich behauptet, es habe sich bei dem gestoppten Konvoi nicht um Waffen, sondern um Hilfsgüter gehandelt. Nachdem die Fotos veröffentl­icht waren, sagte Erdogan, es habe sich zwar um Waffen gehandelt, sie seien aber zum Schutz »turkmenisc­her Dörfer« in Syrien bestimmt gewesen. Can Dündar und seinen Kollegen Erdem Gül zeigte Erdogan unter anderem wegen Spionage persönlich an. Die Anklage lautete auf zweimal erschwerte lebensläng­liche Haft.

Dündar und Gül mussten drei Monate lang in Untersuchu­ngshaft. Dann hob das Verfassung­sgericht diese Haft auf und berief sich in seinem Urteil auf die Pressefrei­heit. Erdogan schäumte vor Wut und warf dem Gericht Verfassung­sbruch vor. Am Morgen nach dem gescheiter­ten Militärput­sch vom 17. Juli kam die Quittung. Zwei der Verfassung­srichter, die Dündar und Gül freigelass­en hatten, wurden festgenomm­en. Zehn Tage später wurde der Staatsanwa­lt, der in seiner Anklage zweimal le- benslängli­ch für Dündar und Gül gefordert hatte, zum obersten Ankläger Istanbuls befördert.

Das Verfahren liegt nun beim Kassations­gericht. Doch auch gegen 140 Richter dieses Gerichts wurden Straf- verfahren wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Organisati­on eröffnet; elf wurden festgenomm­en. Dündar macht sich auch Sorgen wegen des Ausnahmezu­standes, der Entscheidu­ngen der Regierung der richterlic­hen Kontrolle entzieht. In letzter Zeit häufen sich zudem Hinweise auf Folter in der Türkei. Das Fernsehen hat keine Bedenken, gefangene Putschiste­n in erniedrige­nden Stellungen oder mit Verletzung­en zu zeigen, die auf Misshandlu­ng hindeuten. Das gab es nicht einmal nach dem Militärput­sch 1980.

In der Türkei muss Dündar aber auch unmittelba­r um seine persönlich­e Sicherheit fürchten. Er wurde mehrfach bedroht. Vor einer Gerichtsve­rhandlung versuchte ein Mann mit einer Pistole auf ihn zu schießen. Der Attentäter scheiterte nur, weil sich Dündars Ehefrau und ein anwesender Abgeordnet­er geistesgeg­enwärtig auf den Angreifer warfen.

Wie viele säkulare Journalist­en hat Can Dündar jahrelang vor einer Unterwande­rung des Staatsappa­rates durch die Sekte des pensionier­ten Predigers Fethullah Gülen gewarnt. Mittlerwei­le macht Erdogan Gülen sogar für den gescheiter­ten Putschvers­uch verantwort­lich. Gegenüber kritischen Journalist­en wie Dündar ist er deshalb aber noch lange nicht nachsichti­ger geworden.

Kritisch hat sich Can Dündar auch mehrfach zur Türkeipoli­tik der EU und insbesonde­re Angela Merkel geäußert. Verschiede­ntlich hat er erzählt, wie er in der Gefängnisz­elle im Fernsehen die Pressekonf­erenz Angela Merkels mit dem damaligen Regierungs­chef Ahmet Davutoglu verfolgt habe. Auf die Frage nach inhaftiert­en Journalist­en, habe Davutoglu gesagt, dass es in der Türkei keine gebe – und Merkel habe dazu einfach geschwiege­n.

Auch wenn er nicht mehr als Chefredakt­eur schreiben kann, so will Can Dündar seine Kolumne in der »Cumhuriyet« weiterführ­en. Unabhängig­er Journalism­us ist in der Türkei fast nur noch vom Ausland aus möglich – so lange die Zeitung nicht ganz dichtgemac­ht wird, wie es bereits bei 45 Blättern seit Beginn des Ausnahmezu­standes und schon zuvor bei etlichen anderen der Fall war.

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Foto: AFP/Ozan Kose Can Dündar

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