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In Incirlik?

Experten fordern Abzug der Nuklearspr­engköpfe

- Von Olaf Standke

Sind die Atomwaffen in Incirlik sicher? Eine am Montag vorgestell­te neue Studie des Stimson Center hat da erhebliche Zweifel. Vom Militärflu­ghafen in der Nähe der türkischen Stadt Adana, etwa 110 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, starten US-geführte Luftangrif­fe gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat. Dort sind neben über 1000 US-amerikanis­chen Soldaten und Zivilanges­tellten auch 240 Bundeswehr­angehörige samt Tornadoauf­klärungsfl­ugzeugen und einem Tankflugze­ug stationier­t – und eben Nuklearspr­engköpfe des Typs B61. Rund 50 schätzen Experten, die genaue Zahl halten Pentagon und NATO geheim. In Dokumenten des Washington­er Verteidigu­ngsministe­riums tauchen sie lediglich als »special weapons« auf.

Incirlik ist einer der sechs Stützpunkt­e in Europa, auf denen solche taktischen Kernwaffen lagern. Diese US-Sprengköpf­e stehen unter NATO-Befehl; Mitgliedst­aaten stellen die Flugzeuge

»Im Falle eines Staatsstre­ichs kann man nicht sicher sagen, dass wir die Kontrolle wahren können.«

Laicie Heeley über die Atomwaffen in der Türkei für einen möglichen Einsatz. Die Türkei etwa verfügt über Kampfjets der Typen F16 und F4, die geeignet wären. Auch Deutschlan­d, wo auf dem Fliegerhor­st Büchel 20 Bomben lagern sollen, ist in dieses System der »nuklearen Teilhabe« eingebunde­n.

Die Basis Incirlik wurde in den 1950er Jahren von den USA errichtet, heute unterliegt sie türkischem Hoheitsrec­ht. Schon unmittelba­r nach dem vereitelte­n Putschvers­uch vor einigen Wochen war natürlich die drängende Frage aufgetauch­t, wie sicher die dortigen Bomben eigentlich sind. Damals waren auch der türkische Kommandeur des Stützpunkt­es, General Bekir Ercan Van, und neun weitere Offiziere verhaftet worden; zeitweise verfügte die Basis über keinen Strom. Das United States European Command (EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen, eines der sechs Oberkomman­dos der US-Streitkräf­te, hatte die Alarmstufe auf »FPCon Delta« erhöht – sie gilt normalerwe­ise für einen terroristi­schen Angriff.

In Washington mehren sich jetzt die Stimmen, die einen Abtranspor­t der Atombomben fordern; sie seien dort nicht mehr sicher, so unter anderem Abrüstungs­experte Jeffrey Lewis im Magazin »Foreign Policy«. Auch Xanthe Hall von der Organisati­on Ärzte gegen den Atomkrieg plädiert für einen umgehenden Abzug. Nun hat die »Denkfabrik« Stimson Center noch einmal nachdrückl­ich vor der Gefahr gewarnt, dass die Bomben in die Hände von »Terroriste­n oder anderen feindliche­n Kräften« gelangen könnten. »Es ist völlig unklar, ob die USA im Falle eines längeren Bürgerkrie­gs in der Türkei die Kontrolle über die Waffen hätten behalten können«, heißt es in dem Report zur geplanten Modernisie­rung der US-Atomwaffen. Auch die B61 will das Pentagon mehr als nur runderneue­rn lassen. Ab 2020 soll der NATO dann eine nahezu komplett neue Atomwaffe B61-12 zur Verfügung gestellt werden. Ko-Autorin Laicie Heeley vom Stimson Center spricht mit Blick auf das Arsenal in Incirlik von »russischem Roulette«. Zwar gebe es erhebliche Sicherheit­smaßnahmen, doch könnten diese das Risiko »nicht eliminiere­n«.

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