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Kandidaten umwerben die US-Arbeiter

Wirtschaft­sprogramme der Präsidents­chaftsanwä­rter Hillary Clinton und Donald Trump zielen auf den Mittelstan­d

- Von Hermannus Pfeiffer

Mehr Staat oder weniger Regulierun­g; Steuern erhöhen oder senken – im US-Präsidente­nwahlkampf geht es um Grundlegen­des. Lösungen sind aber gerade für Arbeiter nicht in Sicht. Der Einkaufspa­last Macy’s gehört zu den beliebtest­en Touristenz­ielen in New York. Wer dort arbeitete, hatte ausgesorgt. Doch Macy’s Welt ist bedroht. Die US-Kaufhauske­tte kündigte vergangene Woche an, 100 Filialen zu schließen. Amazon und Co. machen dem Einzelhand­el das Leben mit Billigprod­ukten aus Asien und Mexiko schwer. Immer mehr Kunden kaufen online ein. Doch Jobs bei den Internethä­ndlern sind schlecht bezahlt.

Andere Industrien sind längst untergegan­gen. Bergbau und Stahl sind Vergangenh­eit, auch in der einst stolzen Autoindust­rie in Detroit verschwand­en sehr viele gut bezahlte Jobs. Neue Stellen sind zwar entstanden, aber einfache Arbeiten erledigen vor allem zugewander­te Latinos für Niedriglöh­ne. Bessere Jobs bekommen Jüngere mit Hochschula­bschluss und Internethu­nger. Viele Arbeiter aber sind schlecht ausgebilde­t, schwarze Männer fast chancenlos.

Von der »Elite in Washington« fühlen sich große Teile der Arbeiterkl­asse schon lange ignoriert. Ebenso verlieren die traditione­ll den Gewerkscha­ften nahestehen­den Demokraten bei ihnen an Bindungskr­aft. Dass Arbeiter, kleine Angestellt­e und Gewerbetre­ibende nun scharenwei­se zu Donald Trump überlaufen, wie es die Wahlforsch­er herausgefu­nden haben wollen, hat jedoch aktuellere Gründe.

Die US-Wirtschaft lahmt seit der Finanzkris­e. Das Wachstum sei mit durchschni­ttlich rund zwei Prozent »mäßig«, schreibt der Chefvolksw­irt der Dekabank, Ulrich Kater. Das verhindere, dass es mit der Mittelschi­cht endlich wieder aufwärts geht.

Wie in anderen Industriel­ändern entstehen überdurchs­chnittlich viele Jobs im oberen Einkommens­segment – und ganz unten. Vor allem gefühlt wächst die Ungleichhe­it in der Wählerscha­ft und der Unmut über die Entwicklun­g des virtuellen Kapitalism­us. Eine Welle, auf der Populisten wie Trump reiten.

Die demokratis­che Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton hat in einem Fünf-Punkte-Sofortprog­ramm Milliarden­summen angekündig­t, mit denen sie die Industrie wieder zum Leben erwecken will. Deren Untergang begann mit Chinas Aufstieg zur Werkbank der Welt. Der vielleicht erfolgreic­hste Konzern des vergangene­n Jahrzehnts, Apple, entwickelt seine Tablets und Smartphone­s in Kalifornie­n – produziert werden sie arbeitsint­ensiv in China. Oft mit Hilfe von Maschinen aus Deutschlan­d.

Clinton, die mit dazu beitrug, China in den kapitalist­ischen Weltmarkt zu integriere­n, verspricht harte Ver- handlungen mit Peking. Ein Sonderermi­ttler soll Staatsdump­ing aufdecken. Und von Freihandel­sabkommen mit den Pazifiksta­aten und Europa will sie eher die Finger lassen. Als Außenminis­terin hatte sie TTIP und Freihandel gepuscht.

Immobilien­mogul Trump tritt mit einer anti-chinesisch­en Handelspol­itik an. Dazu berief er kürzlich neben einigen Wall-Street-Größen Peter Navarro in sein Beratertea­m für Wirtschaft­sfragen. Der Professor an der Universitä­t von Kalifornie­n gehört zu den wenigen Ökonomen, die freien Handel für schlecht halten. In seinem Film, einem Bestseller auf dem Streamingk­anal Netflix, beklagt er den »Tod durch China« – Amerikaner sollten nicht »Made in China« kaufen.

Den deutschen Wirtschaft­swissensch­aftler Rudolf Hickel erinnern Na- varros Werke »an die antikommun­istische Angstmache eines Richard Nixon«. Seine »ultrakapit­alistische Wirtschaft­spolitik« würde die US-Wirtschaft schwächen, sagte er dem »nd«, China würde profitiere­n.

Paradoxerw­eise lehnt sich Navarro an den deutschen Ökonomen Friedrich List an. Danach sollten sich Länder bei der nachholend­en Modernisie­rung durch Zollschran­ken gegen Billigimpo­rte schützen, um eine eigene Industrie aufzubauen. Noch heute basiert Pekings Handelspol­itik auf Lists Ideen. In wenigen Jahren dürfte China die USA als größte Volkswirts­chaft überholt haben.

Der Protektion­ismus des Republikan­ers paart sich mit wirtschaft­sliberalen Vorstellun­gen. In einer Grundsatzr­ede kündigte Trump an, Steuern zu senken und staatliche Regulierun- gen zurückzusc­hrauben. Trump folgt der »Trickle-down-Theorie«, wonach Steuerentl­astungen »oben« Konsum und Investitio­nen beflügeln. Die Wirtschaft wächst und auch »unten« kommt etwas an.

Clinton wirbt um die Anhänger des Linken Bernie Sanders, der ihr im Vorwahlkam­pf zu schaffen machte. Das größte öffentlich­e Infrastruk­turprogram­m seit 1945, Förderung von Familien und eine Anhebung des gesetzlich­en Mindestloh­ns stehen auf ihrer Agenda. Clinton hofft, ihre Programme durch den Kongress zu bringen, wo sie Trumps Republikan­er blockieren könnten. Ausgerechn­et die Ratingagen­tur Moody’s lobt Clinton. Ihr Programm würde Millionen Jobs bringen. Trumps Ideen dagegen könnten Millionen US-Amerikaner in die Arbeitslos­igkeit schicken.

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Foto: AFP/Jeff Swensen US-Stirnband »Made in China« – Trump ist das ein Dorn im Auge.

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