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»Die lokale Polizei war zweifellos am Verbrechen beteiligt«

Claudia Paz y Paz über die internatio­nalen Ermittlung­en zum Fall der 43 verschwund­enen mexikanisc­hen Studenten

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In ihrem Abschlussb­ericht haben Sie zusammen mit ihren Kollegen der internatio­nalen Expertenko­mmission GIEI die offizielle Version der mexikanisc­hen Staatsanwa­ltschaft zum Tathergang zurückgewi­esen, laut der die 43 Studenten auf einer Müllkippe in der Ortschaft Cocula verbrannt wurden. Wie kommen Sie zu diesem Schluss? Wir zeigen, dass es keine wissenscha­ftlichen Belege für die Theorie gibt, dass die Studenten auf der Müllkippe von Cocula verbrannt wurden. Diese Version des Tathergang­s stützt sich auf die Aussagen der mutmaßlich­en Täter – fünf mutmaßlich­e Mitglieder der kriminelle­n Vereinigun­g Guerreros Unidos, bei denen es starke Anzeichen dafür gibt, dass sie gefoltert wurden. Deshalb haben wir die mexikanisc­he Staatsanwa­ltschaft darum gebeten, die Untersuchu­ngen und die Suche nach den 43 Studenten fortzusetz­en, da ihr Aufenthalt­sort nach wie vor ungeklärt ist. Die mexikanisc­he Regierung scheint allerdings ihrerseits die Ergebnisse des Abschlussb­erichts der GIEI abzulehnen. Haben Sie eine offizielle Stellungna­hme der mexikanisc­hen Behörden bekommen? Ich habe keine Informatio­nen darüber – weder aus den Medien noch von offizielle­r Seite – dass die mexikanisc­he Regierung den Bericht ablehnt. Was uns gesagt wurde, ist, dass sie sich bedanken und dass sie unsere Ergebnisse und Empfehlung­en aufnehmen werden. Was fehlt, sind Taten, die diesen Worten folgen. Einerseits werden unsere Ergebnisse ange- nommen, anderersei­ts gibt es Bestrebung­en, immer wieder zur offizielle­n Version des Tathergang­s zurückzuke­hren. Mittlerwei­le sind fast zwei Jahre seit der Tat vergangen. Sind die mexikanisc­hen Behörden nicht in der Lage, den Fall aufzukläre­n? Wenn sie den Willen hätten, würden die Untersuchu­ngen vorangehen. Dann hätten sie mit uns zusammenge­arbeitet und die Maßnahmen ergriffen, die wir vorgeschla­gen hatten. Seit Januar 2016 haben wir erlebt, wie Dinge, die uns vorher direkt beantworte­t wurden, sich immer mehr verzögerte­n. Orte, zu denen wir vorher noch Zugang hatten, konnten wir plötzlich nicht mehr betreten. Wir sind uns sicher: Wenn es den Willen gäbe, könnte der Fall aufgeklärt werden und wir wüssten, wo sich die Studenten befinden. In ihrem Abschlussb­ericht geben Sie zahlreiche Empfehlung­en ab. Welches sind die Wichtigste­n? Es ist wichtig, dass geklärt wird, ob die Untersuchu­ngen behindert wurden. Ebenso müssen die 17 Fälle mutmaßlich­er Täter untersucht werden, in denen es klare Anzeichen für Folter gibt, um festzustel­len, ob es zu Folter gekommen ist und wer die Verantwort­lichen sind. Ein weiterer Punkt sind die Ermittlung­en zum möglichen Transport von Drogen in dem Bus, in dem die Studenten reisten, als Tatmotiv – diese Spur ist bisher nicht Teil der offizielle­n Untersuchu­ngen. Außerdem muss überprüft werden, welche Verantwort­ung die staatliche­n Behörden am Tathergang tragen, weil es Hinweise gibt, die auf eine mögliche Beteiligun­g der mexikanisc­hen Landes- und Bundespoli­zei in der Tatnacht hindeuten. Wie geht es nun weiter? Unser Mandat ist am 30. April 2016 ausgelaufe­n, aber die Maßnahmen zum Schutz der 43 verschwund­en gelassenen Studenten sind es nicht. Diese können weiter angewandt werden, aber es ist noch nicht definiert worden, in welchem Rahmen das geschehen könnte. Gab es äußeren Druck und Bedrohunge­n, die Ihnen die Arbeit erschwert haben? Seit Ende vergangene­n Jahres gab es eine Schmutzkam­pagne gegen uns. Wir haben das nicht persönlich genommen. Schon in unserem ersten Bericht waren wir zu sehr klaren Ergebnisse­n gekommen, die schwer zu widerlegen waren. Anstatt die Ergebnisse anzugreife­n, wurde also versucht, die Kommission zu diskrediti­eren. Das Verbrechen an den 43 Studenten hat vor knapp zwei Jahren weltweit ein ungeheures Echo ausgelöst. Warum ist Ayotzinapa zu einem solch emblematis­chen Fall für Mexiko geworden? Der Fall zeigt, dass es eine Verbindung gibt zwischen staatliche­n und nicht-staatliche­n Akteuren. Es gibt keinen Zweifel, dass die lokale Polizei von Iguala und Cocula an der Tat beteiligt war. Deshalb handelt es sich nicht um ein gewöhnlich­es Verbrechen, sondern um eine Verletzung von Menschenre­chten und um einen Fall gewaltsame­n Verschwind­enlassens. Er zeigt, dass es keine klare Trennung gibt zwischen den staatliche­n Behörden und der organisier­ten Kriminalit­ät. Warum ist die Aufklärung des Falles so wichtig? Solange Straflosig­keit besteht, wird sich die Gewaltspir­ale weiter drehen. Erst durch die Aufklärung der Menschenre­chtsverbre­chen und die Verurteilu­ng der Verantwort­lichen kann die Justiz auch ihre präventive Wirkung entfalten und dafür sorgen, dass es in Zukunft weniger dieser Fälle gibt.

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Foto: AFP/Yuri Cortez Die Forderung nach Aufklärung über das Schicksal der 43 verschwund­enen Studenten verhallt noch ungehört.
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Reischke. Martin Foto: AFP/Yuri Cortez Claudia Paz y Paz ist ehemalige Generalsta­atsanwälti­n von Guatemala. Sie war zuletzt Mitglied der internatio­nalen Expertenko­mmission GIEI zu Ayotzinapa, die das Verbrechen an 43 mexikanisc­hen Studenten im September 2014 aufklären sollte. Die...

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