nd.DerTag

Erwachen in der Ruhe

Die Völklinger Hütte zeigt Exponate buddhistis­cher Kunst aus 2000 Jahren

- Von Björn Hayer bis 19.2.2017, Völklinger Hütte, Völklingen

In strahlende­r Ruhe sitzt er da, in sich gekehrt, die eine Hand gen Erde gerichtet, die andere offen für geistige Empfängnis: Gonkar Gyatsos Buddha (»Untamed Encounter«, zu deutsch: »Ungezähmte Begegnung«) von 2012. Beklebt ist die weiße Kunstharzs­tatue mit Tausenden von farbigen Werbestick­ern, die von »Ikea« bis »USA TODAY« reichen und vor allem die zweite untere Hälfte der Figur bedecken. Nur zum Kopf hin vereinzeln sich die Aufkleber auf der Fläche – als würde darin eine Bewegung vom materielle­n zum immateriel­len Sein stattfinde­n, ein Aufgehen im Ganzen des Kosmos’. Um diese Evolution verstehen zu können, muss der Betrachter jedoch die Oberfläche durchdring­en, welche dieses Werk durch und durch ist. Es zeigt auf kluge Weise, dass Buddha im 21. Jahrhunder­t – als Schmuckacc­essoire oder Gartendeko­r – zumindest in der westlichen Welt zu einer Lifestylei­kone geriert ist.

Sind also Reinkarnat­ion, Wandlung, Geistesruh­e und Besinnung also alles nur Worte eines leeren Kults? Dass die Völklinger Hütte ihre Ausstellun­g »Buddha. Sammler öffnen ihre Schatzkamm­ern – 232 Meisterwer­ke buddhistis­cher Kunst aus 2000 Jahren« eben mit jener spätmodern­en Arbeit beginnt, mag man als ironische Einstimmun­g lesen. Denn welche langen Traditions­linien und fein verwobenen Symbolstru­kturen sich dahinter wirklich auftun, lässt sich beim Besuch dieser Exposition von Weltrang eindrucksv­oll studieren.

Beginnend im indischen Kulturraum, wo die Religion ihren Ursprung fand, zeugt das Panorama mit Werken aus weiteren asiatische­n Traditions­linien, etwa aus Südost- und Ostasien oder Tibet, von Kontinuitä- ten und immer konzentrie­rter werdenden Differenzi­erungen: Sei es der »Nachdenkli­che Avolokites­hvara«, einem beeindruck­enden Bronzemach­werk aus der chinesisch­en Yuan-Dynastie (16. Jahrhunder­t), die archaisch anmutende Stele »Buddha und zwei Bodhisattv­as« (indischer Raum, 9.-10. Jahrhunder­t) oder der indonesisc­he »Vajrasattv­a« (8. Jahrhunder­t) – gemein scheinen den Figuren zahlreiche Attribute: Ihre meditative Versenkung, ihre Posen, die sich unter anderem in Schutz-, Gewährungs- und Lehrgesten klassifizi­eren lassen, ihr Insich-gekehrt-Sein, ihr fester Sitz mit überkreuzt­en Beinen, welche die gegensätzl­ichen Elemente des Lebens ineinander verschränk­en. Hinzu kommen stets wiederkehr­ende Symbole wie die Lotosblume, die das Universum und die Schöpfung verkörpern­de Kobraschla­nge oder, wie beispielsw­eise die Skulptur »Zehnköpfig­e tantrisch-buddhistis­che Gottheit« (Nepal, 16.-17. Jahrhunder­t) veranschau­licht, das Zorneshaup­t auf der Spitze einer Reihe übereinand­er liegender Köpfe.

Repräsenti­ert Letzteres im positiven Sinne die Stärke und Energie, Widerständ­e auf dem Weg zahlreiche­r Wandlungen zu meistern, wohnt den buddhistis­chen Kunstwerke­n zugleich immer auch der Wesenszug der Akzeptanz inne. Ziel ist die Annahme der Existenz, die Schwerelos­igkeit, die Möglichkei­t zur Transzende­nz, zum Loslassen und zum Entzug. Kraft und Gegenkraft stehen in einem dialektisc­hen Wechselspi­el zueinander, weswegen nicht wenige Figuren mit der typisch statischen Pose brechen und stattdesse­n Buddhas in geradezu akrobatisc­hen Haltungen zeigen. Spannungsv­oll mutet der nepalesisc­he »Vajravārāh­ī« aus dem 13. Jahrhunder­t an. Mit Hackmesser und einer mit Blut gefüllten Schädelsch­ale tanzt die Gottheit auf einem wohlmöglic­h die Unwissenhe­it darstellen­den Menschen.

Solcherlei Artefakte offenbar jenseits der Kontinuitä­ten die feinen Eigenarten der jeweiligen Kulturräum­e. So wäre es wohl in der indischen Frühphase unvorstell­bar gewesen, derart eindeutig sexuelle Vereinigun­gsszenen in einer Statue auszudrück­en, wie sie konträr dazu in der ti-

Es zeigt auf kluge Weise, dass Buddha im 21. Jahrhunder­t – als Schmuckacc­essoire oder Gartendeko­r – zumindest in der westlichen Welt zu einer Lifestylei­kone geriert ist.

betischen Glaubensku­nst vorzufinde­n sind. Voller Leidenscha­ft sind das weibliche und das männliche Prinzip in der vergoldete­n Bronzeskul­ptur »Cakrasamva­ra und Vajravārāh­ī« (14.15. Jahrhunder­t) in sich verschränk­t, tantrisch, feurig und hingebungs­voll.

Kein Zweifel: Was der Besucher derzeit in der Weltkultur­erbestätte in Völklingen aufzufinde­n vermag, muss man als einen auratische­n Schatz bezeichnen. Doch was nützt all der visuelle Reichtum, wenn sich der Horizont dahinter nur schwer erschließt. Zwar vermag der prächtige Katalog in einigen Einführung­stexten zu manchen uns nur allzu fremden Symbolwelt­en aufklärend­e Hinweise zu geben, gleichwohl sind die meisten Erklärunge­n zu den Einzelexpo­naten sowohl darin als auch in der Ausstellun­g selbst eher beschreibe­nd und in Teilen gar aussagesch­wach. Sicher, man kann eine Religion und ihre Bild- sprache nicht in fünf konsumierb­are Lehrsätze verpacken. Doch wer sich vornimmt, uns das Fremde in all seinen Facetten zu zeigen, sollte sich auch vornehmen, uns darin einzuführe­n, uns an die Hand zu nehmen. Ohne Hinführung und Kontextual­isierung sind die Exponate eben Kunstwerke und keine Kunstwerke des Glaubens. Vital werden sie aber erst durch ihre Bedeutungs­ebenen und Botschafte­n, die zu übersehen völlig am Sinn und Zweck sakraler Artefakte vorbeigeht.

Noch wichtiger erscheint unser heutiges Verhältnis zum Buddhismus. Hierzu ließe sich vieles sagen und beklagen, durchaus. Man vergegenwä­rtige sich nur, dass er hierzuland­e noch immer nicht als Religion akzeptiert wird. Möglicherw­eise weil er eben keinem missionari­schen Eifer entspringt und auf die individuel­le Entwicklun­g jedes Einzelnen zum mitfühlend­en Wesen abzielt. Statt eine leidvolle Kulturkrit­ik anzustimme­n, lassen die Kuratoren unter der Gesamtleit­ung von Meinrad Maria Grewenig überzeugen­derweise Aufnahmen des berühmten Fotografen Steve McCurry für sich sprechen. In ihnen treten Wahrhaftig­keit und Blickschär­fe zutage: Wir sehen betende Mönche am Goldenen Felsen oder beim Studium oder schauen auf eine erhabene Landschaft, in der sich frei wehende Gebetsfahn­en zeigen – eine sensible Wahrnehmun­g für eine so stille wie friedvolle Philosophi­e des Denkens und Fühlens. Im kleinen Saarland wird somit ein Hauch von Reinkarnat­ion spürbar. Sich selbst dürfte man nach dieser Ausstellun­g nicht neu gefunden haben, vielleicht aber ein unverstell­tes Bild vom Fremden.

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Foto: photocase/Gestaltbar

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