Lässt du dich geh’n, wird alles schön
Jede Menge Titten-, Arsch- und Ausziehwitze: Es kann sehr trostlos sein auf einem Rockfestival im nordhessischen Eschwege
Wollen Sie sich die Art deutsche Kultur, die all den Flüchtlingen und sonstigen Ausländern zur Voraussetzung anempfohlen wird, um hierzulande integriert werden zu können, einmal aus der Nähe anschauen? Dann gehen Sie zu einem der vielen Rockfestivals, zu denen »die Deutschen« zu Hunderttausenden allsommerlich pilgern. Wie sehr da etwa Frauen geachtet und gleichbehandelt werden, zeigt schon ein Blick auf das Line-Up, das wie beim am Sonntag zu Ende gegangenen »Open Flair« im nordhessischen Eschwege zu annähernd hundert Prozent aus Männerbands besteht. Immerhin: Es kommen Frauen vor, wie zum Beispiel in dem Lied »Tod in der Nordsee« der AltherrenSpießer »Monsters Of Liederma- ching«. In dem Song wird, unterlegt mit dem allergrässlichsten Akustikgitarrengeschrammel, von einer Frau erzählt, die während ihrer Periode in der Nordsee schwimmt und damit Haie anlockt. Da johlt das Volk und kennt den Text, gleichfalls beim Song »Blasenschwäche« (»Es muss nicht immer Ficken sein, und das hat ’nen Grund, nimm ihn in den Mund, und du wirst sehn, lässt du dich geh’n, wird alles schön«).
Bei den Bazzookas aus den Niederlanden dürfen die weiblichen Fans im Chor stöhnen, und anschließend wird die Fotografin Lotte – bzw. »Lotte ohne Klamotte«, wie ein armseliger Spruch des Sängers der Ska-Band lautet – von allen gemeinsam zum »Ausziehen!« aufgefordert.
Liedfett, eine Combo, die offenbar nur gegründet wurde, um den Hampelmann bei Festivals zu geben, brüllt: »Wir sind alle Alkoholiker«, der Leadsänger von Bosse erklärt, sein Trompeter spiele »jetzt mal ein 80erJahre-Pornosolo«, und die Amis von Zebrahead machen Komplimente: »You guys are sexy bitches. Some of you.« Und weil das Kapital bekanntlich beim Verwerten seiner selbst gar nichts kennt, dürfen die »Kreativen« in den Werbeagenturen Banner aufstellen mit Slogans wie »Wir haben den Größten« (und sehr klein da- runter: »Geschmack«) oder »Suck it – Das Eis mit Alkohol«. Irgendein Verantwortlicher hielt es außerdem offenbar für einen Riesengag, als mobile Bierverkäufer, die mit Bierfässern auf dem Rücken über das Gelände laufen, ausschließlich Schwarze zu verpflichten. Was soll das sein? Die Bierneger?
Dass es auch anders geht, zeigen etwa die Rapperin Sookee, die viel Kluges sagt und rappt, großartige Bands wie die Holländer John Coffey, die Amerikaner von Beach Slang, Boysetsfire, die Descendents oder das musikalische Highlight des Festivals, die Rocker von Clutch. Hier wird auf Titten-, Arsch- und Ausziehwitze, ewige Ansagen und Hops-und Hüpfanleitungen weitgehend verzichtet und stattdessen Musik gespielt. Aber auch bierselige Partybands wie Jaya The Cat machen ihre Sache gut. Ge- gen Pogo, Bier und Gebrüll ist grundsätzlich nämlich gar nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil.
Von den Höhepunkten bekommt aber kaum jemand etwas mit, man konzentriert sich lieber auf das Abfeiern des Immergleichen. Schlagergruppen wie Madsen oder Bosse, auch die vollständig abgehalfterten Limp Bizkit, deren Set zu einem großen Teil aus wenig erbaulichen Coverversionen der jüngeren Rockgeschichte besteht, erfreuen sich größter Beliebtheit. Und die wenig Fantastischen Vier dürfen auf der »HR3«-Bühne, benannt nach einem gefürchteten Dudelsender, auch noch ihren Konsenshiphop headlinern. Zugezogenen möchte man angesichts all dessen dringend raten, eigene Orte und Möglichkeiten der kulturellen Verwirklichung zu suchen. Tumbe deutsche Kultur gibt es wahrlich genug.
Wer sich deutsche Kultur aus der Nähe ansehen will, gehe zu einem der Rockfestivals hierzulande.