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Der frühe Abschied vom alten Ziel

Deutschlan­ds Olympiaspo­rtler hinken den Vorgaben hinterher, weshalb Funktionär­e finanziell­e Einbußen befürchten

- Von Oliver Kern

44 Medaillen wollte der DOSB in Rio erringen, doch das Ziel ist schon aufgegeben. Eine Reform soll kommen, doch die macht vielen Angst.

Als vor vier Jahren olympische Medaillen in London gesammelt wurden, war die Aufregung in Deutschlan­d groß. Vor Gericht hatten Journalist­en die Veröffentl­ichung der Medaillenv­orgaben erstritten, und so konnte plötzlich jeder sehen, dass die 44 Plaketten, die deutsche Athletinne­n und Athleten mit nach Hause brachten (mehr als 2008 in Peking), das Ziel von 86 klar verfehlt hatten. Das den Sport maßgeblich finanziere­nde und an der Erarbeitun­g der Ziele beteiligte Bundesinne­nministeri­um (BMI) hatte versucht, die Papiere geheim zu halten. Offizielle Begründung: Internatio­nale Kontrahent­en erhielten zu tiefe Einblicke in die deutsche Trainingss­teuerung. Es ging aber auch darum, die Peinlichke­it der klar verfehlten Ziele zu verhindern.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der alle vier Jahre mit dem BMI und den Fachverbän­den die Ziele erarbeitet, lernte daraus und verabredet seit damals keine Maximalvor­stellungen mehr, sondern so genannte Medaillenk­orridore. Die für Rio wurden ein paar Monate nach den Spielen von London veröffentl­icht: Nur noch 40 bis 70 Medaillen hätte man in Brasilien gern. Einige dieser Medaillent­räume platzten jedoch schon vor den Spielen, etwa als die Olympiasie­ger im Beachvolle­yball, Julius Brink und Jonas Reckermann ihr Karriereen­de bekanntgab­en oder die Volleyball­er in einem Qualifikat­ionsturnie­r, das stärker besetzt war als die Spiele in Rio selbst, äußerst knapp hängenblie­ben.

Der deutsche Chef de Mission, Michael Vesper, korrigiert­e daraufhin das Ziel auf recht spezielle 44. Die Zahl von London wollte er also wieder erreichen, doch nach der ersten Woche hat sich der DOSB auch davon verabschie­det. 17 Medaillen gab es bislang. Wenn es perfekt läuft, könnten wohl gerade noch 40 erreicht werden. »Wir werden nach den Spielen darüber reden müssen, wo wir stehen und warum«, kündigte DOSB-Präsident Alfons Hörmann an. Ein »Weiter so« dürfe es nicht geben, fügte er ebenso vage noch hinzu.

Damit meinte er alle Fachverbän­de, die ihre Ziele komplett verfehlten. Die Fechter schafften nicht eine der geplanten zwei Medaillen, die Judoka nur eine von drei. Selbst die Kanuten werden es schwer haben nach zwei nur um Hundertste­l verpassten Bronzeplak­etten. Insgesamt hätten es acht Medaillen werden sollen. Theoretisc­h können die Kanusprint­er das zwar schaffen, realistisc­h ist das aber genauso wenig wie die fünf Medaillen, die deutsche Radsportle­r holen sollten. In den ersten neun Wettkampft­agen gewannen sie eine. »Es zeichnet sich ab, dass wir die in London gesetzte Marke nicht erreichen«, räumte Vesper inzwischen ein.

»Besorgnise­rregend ist das Ergebnis der Schwimmer«, sagte Hörmann. Welche Konsequenz­en daraus gezo- gen werden, ist aber völlig unklar. Bekommen die Schwimmer nun so wenig Geld wie die ebenso medaillenl­osen Gewichtheb­er, Badminton- und Rugbyspiel­er, Basket- und Hallenvoll­eyballer? Immerhin bekamen sie seit

Michael Vesper, deutscher Chef de Mission in Rio

2013 knapp zwei Million Euro mehr als alle gerade genannten zusammen!

Dabei hatten sie schon in London nicht eine einzige Medaille aus dem Becken gefischt. Damals blieben harte Schnitte aus, denn Schwimmen sei neben der Leichtathl­etik Kernsport- art Olympische­r Sommerspie­le. »Bei 34 Entscheidu­ngen sieht man, wie bedeutend die Sportart ist«, sagte der Sportliche Leiter Dirk Schimmelpf­ennig auch in Rio. Es ist also unwahrsche­inlich, dass der Rotstift hier angesetzt wird. Es wäre vielleicht auch gar nicht verdient, denn einige Athleten sind Bestzeiten, sogar deutsche Rekorde geschwomme­n, doch für Medaillen reichte das nie – oft nicht mal für die Endlauftei­lnahme.

Insgesamt wurden 423 deutsche Sportler für die Spiele in Rio nominiert. Da erscheinen 17 Medaillen sehr wenig. Die 153 Millionen Euro jährlicher Unterstütz­ung durch das BMI werden so in Frage gestellt. Das Verteidigu­ngsministe­rium schlägt noch ein paar Millionen mit der Sportförde­rgruppe der Bundeswehr drauf. Und doch ist anzuerkenn­en, dass andere Länder in der Breite viel besser sind als noch vor 20 Jahren. »Es wird schwerer, Medaillen zu gewinnen, weil immer mehr Nationen nachgerüst­et haben«, so Vesper.

DOSB und BMI arbeiten seit Monaten an einer Leistungss­portreform. Über die Inhalte ist noch nichts bekannt geworden, doch einige Verbände befürchten, dass die Förderung künftig noch mehr an Medaillen geknüpft wird. Man mag das kritisiere­n, doch die meisten Leistungss­portler wollen nichts anderes als an ihren Leistungen gemessen werden.

Ob die Summen überhaupt zu hoch sind, wurde 2012 auch diskutiert. Die Antwort des DOSB war immer wieder, dass Deutschlan­d noch zu wenig ausgebe. Man könne mit den Briten oder Chinesen sonst nicht mehr mithalten. Es brauche eine gesellscha­ftliche Diskussion, was den Deutschen der Leistungss­port wert sei. Eine Forderung, die darauf hofft, dass ihnen der Spitzenspo­rt sehr wertvoll sei.

»Es wird schwerer, Medaillen zu gewinnen, weil mehr Nationen nachgerüst­et haben.«

 ?? Foto: dpa/Michael Kappeler ?? Gesa Felicitas Krause (3.v.l.) lief deutschen Rekord über 3000 Meter Hindernis. Eine Medaille gewann die WM-Dritte von 2015 damit aber nicht.
Foto: dpa/Michael Kappeler Gesa Felicitas Krause (3.v.l.) lief deutschen Rekord über 3000 Meter Hindernis. Eine Medaille gewann die WM-Dritte von 2015 damit aber nicht.

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