Der frühe Abschied vom alten Ziel
Deutschlands Olympiasportler hinken den Vorgaben hinterher, weshalb Funktionäre finanzielle Einbußen befürchten
44 Medaillen wollte der DOSB in Rio erringen, doch das Ziel ist schon aufgegeben. Eine Reform soll kommen, doch die macht vielen Angst.
Als vor vier Jahren olympische Medaillen in London gesammelt wurden, war die Aufregung in Deutschland groß. Vor Gericht hatten Journalisten die Veröffentlichung der Medaillenvorgaben erstritten, und so konnte plötzlich jeder sehen, dass die 44 Plaketten, die deutsche Athletinnen und Athleten mit nach Hause brachten (mehr als 2008 in Peking), das Ziel von 86 klar verfehlt hatten. Das den Sport maßgeblich finanzierende und an der Erarbeitung der Ziele beteiligte Bundesinnenministerium (BMI) hatte versucht, die Papiere geheim zu halten. Offizielle Begründung: Internationale Kontrahenten erhielten zu tiefe Einblicke in die deutsche Trainingssteuerung. Es ging aber auch darum, die Peinlichkeit der klar verfehlten Ziele zu verhindern.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der alle vier Jahre mit dem BMI und den Fachverbänden die Ziele erarbeitet, lernte daraus und verabredet seit damals keine Maximalvorstellungen mehr, sondern so genannte Medaillenkorridore. Die für Rio wurden ein paar Monate nach den Spielen von London veröffentlicht: Nur noch 40 bis 70 Medaillen hätte man in Brasilien gern. Einige dieser Medaillenträume platzten jedoch schon vor den Spielen, etwa als die Olympiasieger im Beachvolleyball, Julius Brink und Jonas Reckermann ihr Karriereende bekanntgaben oder die Volleyballer in einem Qualifikationsturnier, das stärker besetzt war als die Spiele in Rio selbst, äußerst knapp hängenblieben.
Der deutsche Chef de Mission, Michael Vesper, korrigierte daraufhin das Ziel auf recht spezielle 44. Die Zahl von London wollte er also wieder erreichen, doch nach der ersten Woche hat sich der DOSB auch davon verabschiedet. 17 Medaillen gab es bislang. Wenn es perfekt läuft, könnten wohl gerade noch 40 erreicht werden. »Wir werden nach den Spielen darüber reden müssen, wo wir stehen und warum«, kündigte DOSB-Präsident Alfons Hörmann an. Ein »Weiter so« dürfe es nicht geben, fügte er ebenso vage noch hinzu.
Damit meinte er alle Fachverbände, die ihre Ziele komplett verfehlten. Die Fechter schafften nicht eine der geplanten zwei Medaillen, die Judoka nur eine von drei. Selbst die Kanuten werden es schwer haben nach zwei nur um Hundertstel verpassten Bronzeplaketten. Insgesamt hätten es acht Medaillen werden sollen. Theoretisch können die Kanusprinter das zwar schaffen, realistisch ist das aber genauso wenig wie die fünf Medaillen, die deutsche Radsportler holen sollten. In den ersten neun Wettkampftagen gewannen sie eine. »Es zeichnet sich ab, dass wir die in London gesetzte Marke nicht erreichen«, räumte Vesper inzwischen ein.
»Besorgniserregend ist das Ergebnis der Schwimmer«, sagte Hörmann. Welche Konsequenzen daraus gezo- gen werden, ist aber völlig unklar. Bekommen die Schwimmer nun so wenig Geld wie die ebenso medaillenlosen Gewichtheber, Badminton- und Rugbyspieler, Basket- und Hallenvolleyballer? Immerhin bekamen sie seit
Michael Vesper, deutscher Chef de Mission in Rio
2013 knapp zwei Million Euro mehr als alle gerade genannten zusammen!
Dabei hatten sie schon in London nicht eine einzige Medaille aus dem Becken gefischt. Damals blieben harte Schnitte aus, denn Schwimmen sei neben der Leichtathletik Kernsport- art Olympischer Sommerspiele. »Bei 34 Entscheidungen sieht man, wie bedeutend die Sportart ist«, sagte der Sportliche Leiter Dirk Schimmelpfennig auch in Rio. Es ist also unwahrscheinlich, dass der Rotstift hier angesetzt wird. Es wäre vielleicht auch gar nicht verdient, denn einige Athleten sind Bestzeiten, sogar deutsche Rekorde geschwommen, doch für Medaillen reichte das nie – oft nicht mal für die Endlaufteilnahme.
Insgesamt wurden 423 deutsche Sportler für die Spiele in Rio nominiert. Da erscheinen 17 Medaillen sehr wenig. Die 153 Millionen Euro jährlicher Unterstützung durch das BMI werden so in Frage gestellt. Das Verteidigungsministerium schlägt noch ein paar Millionen mit der Sportfördergruppe der Bundeswehr drauf. Und doch ist anzuerkennen, dass andere Länder in der Breite viel besser sind als noch vor 20 Jahren. »Es wird schwerer, Medaillen zu gewinnen, weil immer mehr Nationen nachgerüstet haben«, so Vesper.
DOSB und BMI arbeiten seit Monaten an einer Leistungssportreform. Über die Inhalte ist noch nichts bekannt geworden, doch einige Verbände befürchten, dass die Förderung künftig noch mehr an Medaillen geknüpft wird. Man mag das kritisieren, doch die meisten Leistungssportler wollen nichts anderes als an ihren Leistungen gemessen werden.
Ob die Summen überhaupt zu hoch sind, wurde 2012 auch diskutiert. Die Antwort des DOSB war immer wieder, dass Deutschland noch zu wenig ausgebe. Man könne mit den Briten oder Chinesen sonst nicht mehr mithalten. Es brauche eine gesellschaftliche Diskussion, was den Deutschen der Leistungssport wert sei. Eine Forderung, die darauf hofft, dass ihnen der Spitzensport sehr wertvoll sei.
»Es wird schwerer, Medaillen zu gewinnen, weil mehr Nationen nachgerüstet haben.«