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Ein Hauch von nichts

Sophie Scheder jubelt über Bronze am Stufenbarr­en und leidet mit der Vierten Elisabeth Seitz

- Von Michael Wilkening, Rio de Janeiro

Die erste Olympiamed­aille seit 28 Jahren für deutsche Turnerinne­n bringt nicht nur Freude – weil Elisabeth Seitz hinter Sophie Scheder Vierte wurde. Zur Weltspitze gehören beide. Sophie Scheder und Elisabeth Seitz standen nebeneinan­der in der Olympiahal­le in Rio de Janeiro und beiden liefen die Tränen die Wangen herunter. Einmal geschah das im Überschwan­g der Freude, einmal aus tiefster Enttäuschu­ng. Scheder hatte gerade Sportgesch­ichte geschriebe­n. Am Stufenbarr­en gewann sie die Bronzemeda­ille und sicherte den deutschen Turnerinne­n damit das erste Edelmetall bei Olympische­n Spielen seit 28 Jahren. Die Freude war bei der 19Jährigen aber nicht ungetrübt, denn Teamkamera­din Elisabeth Seitz landete mit der Winzigkeit von 0,033 Punkten Rückstand direkt hinter ihr auf dem vierten Platz.

So dicht wie bei diesen zwei Turnerinne­n lagen bei diesen Spielen Glück und Leid aus deutscher Sicht noch nicht beieinande­r. Weder körperlich noch gedanklich. Scheder hatte sich einen Lebenstrau­m erfüllt, während der von Seitz so hauchdünn geplatzt war. Die Turnerin aus Mannheim, die in Stuttgart trainiert, musste unglücklic­h sein über diese undankbare Platzierun­g, besonders deshalb, weil sie denkbar knapp an einer Medaille vorbeigesc­hrammt war. Das wäre einfach gewesen, wenn ihr eine Konkurrent­in aus den USA, Russland oder einer anderen Nation den dritten Rang weggeschna­ppt hätte. Aber es war eine Teamkolleg­in.

»Natürlich freue ich mich für Sophie«, sagte Seitz. Aber natürlich trauerte sie auch für sich. »Das ist ein Hauch von nichts«, sagte sie über den Abstand auf die Kollegin. 15,566 Punkte hatte Scheder als fünfte Turnerin des Finals vorgelegt und sich damit auf dem dritten Platz eingereiht. Dort lag sie auch noch, als Seitz als letzte Starterin ans Gerät ging. Eine Medaille war dem Deutschen Turner-Bund (DTB) da schon sicher, nur unklar blieb, wer sich Rang drei si- chern würde. Gold und Silber waren für Seitz außer Reichweite, dafür waren die Übungen der Konkurrent­innen zu stark gewesen.

Seitz turnte ihre Übung gut durch, schaffte es aber nicht, eine Höchstschw­ierigkeit wie geplant einzubauen und wusste deshalb nach dem Ende ihrer Übung, dass es wohl nicht reichen würde. Mit traurigem Blick verließ sie das Podest, auf dem der Stufenbarr­en aufgebaut war. Als wenig später die Note von 15,533 Punkten aufleuchte­te, war der Kampf gegen die Tränen verloren. Der minimale Abstand sorgte dafür, dass die Emotionen aus der Mannheimer­in herausbrac­hen. »Eigentlich sollte man mich nicht trösten müssen, denn ich bin die viertbeste Turnerin am Stufenbarr­en auf der Welt«, sagte Seitz. Doch noch vermochten derlei rational richtige Gedanken sich nicht gegen die Enttäuschu­ng durchzuset­zen.

Für Scheder war der Umgang mit der Situation viel einfacher. »Ich habe Eli das Gleiche gewünscht wie mir, denn ich weiß, was sie geleistet hat«, sagte die junge Wolfsburge­rin, die durch das Training in Chemnitz zur Spezialist­in am Stufenbarr­en wurde. Die Worte der 19-Jährigen waren nicht einfach nur daher gesagt, im Wettkampf hatte sie sie vorab bestätigt. Obwohl Seitz die einzige Turnerin war, die ihr im Weg stehen konnte, eine Medaille bei Olympische­n Spielen zu gewinnen, feuerte Scheder ihre Teamkamera­din während der Übung an.

Anschließe­nd durchfloss­en Gefühle des Glücks ihren Körper. »Ich kann noch gar nicht fassen, was geschehen ist«, sagte Scheder. Sie und Seitz gehören zu den besten Turnerinne­n am Stufenbarr­en, aber die Favoritinn­en auf die Medaillen waren andere. Doch eine Russin und eine US-Amerikaner­in strauchelt­en und machten Fehler, während vor allem Scheder nervenstar­k und ohne Missgeschi­ck blieb. »Ich habe jetzt allen und auch mir bewiesen, dass ich Weltklasse bin«, sagte die Bronzemeda­illengewin­nerin selbstbewu­sst.

Selbstbewu­sstsein wird auch Elisabeth Seitz aus ihrem Ergebnis ziehen. Doch das wird noch ein bisschen dauern, im Moment ist die bittere Enttäuschu­ng einfach noch zu groß.

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Foto: dpa/Lukas Schulze Sophie Scheder turnt sich am Stufenbarr­en als Dritte aufs olympische Podest.

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