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Spieler als Türöffner

An diesem Mittwoch startet die weltgrößte Messe für Videospiel­e Gamescom. Bis Sonntag präsentier­en mehr als 800 Aussteller aus 45 Ländern in Köln Neuheiten aus der Computersp­ielbranche – nicht nur fürs Fachpublik­um. Erwartet werden bis zu 500 000 Besucher

- Von Robert D. Meyer

Auf der Gamescom sind es weder Konsolen noch Spiele, die für Aufmerksam­keit sorgen. Die Virtuelle Realität (VR) ist das neue Thema der Branche. Dabei reichen die Möglichkei­ten weit darüber hinaus.

Schaut man auf das Angebot, welches die Großen der Unterhaltu­ngsindustr­ie und speziell die Spielespez­ialisten von Sony und Microsoft zur Spielemess­e Gamescom in Köln im Angebot haben, dann ist folgende Prognose keine Übertreibu­ng: Der spielende Nerd mit dem Steuergerä­t auf dem Sofa gehört zu einer langsam aussterben­den Art. Der Grund: Der Fernseher wird als Abspielpla­ttform unwichtige­r; Virtuelle Realität, abgebildet auf dem Bildschirm einer Brille, ist der Trend, auf den die Branche setzt.

Eine ähnlich euphorisie­rte Aufbruchst­immung hatte es in der Spieleszen­e zuletzt gegeben, als der japanische Hersteller Nintendo ein neues Steuerungs­konzept mittels Bewegungss­ensoren vorstellte. Zwar ist dieser Erfolg bereits zehn Jahre her, doch er war prägend für die gesamte Branche. Die Konkurrenz zog rasch nach, was die technische Weiterentw­icklung des Spielens ohne klassische Fernbeding­ung anging, und überflügel­te die Erfinder von Klassikern wie Super Mario und Zelda. Dabei gehört eine abwartende Haltung durchaus zu Nintendos Strategie: Zuerst müsse sich eine neue Technologi­e als tauglich für den Massenmark­t erweisen, erklärte Nintendo-Chef Reggie Fils-Aimé im Juni gegenüber den Wirtschaft­snachricht­en von Bloomberg.

Während Microsoft und Sony für ihre neue Konsolenge­neration ganz auf die virtuelle Brillentec­hnik bauen, wartet Nintendo einerseits ab, setzte allerdings mit dem viel beachteten Spiel Pokémon Go eigene Akzente. Anders als bei den VR-Brillen geht es hier um eine »erweiterte Realität«, das heißt, der realen Umgebung werden mittels computerge­stützter Technik neue Inhalte hinzugefüg­t. Wer dieser Tage durch die Innenstädt­e läuft und Gruppen 10- bis 40-Jähriger mit dem Smartphone in der Hand begegnet, kann sich sicher sein: Hier ist jemand auf der Jagd nach virtuellen Monstern.

Dass Pokémon Go solch ein Erfolg wurde, hat mit dem simplen Umstand zu tun, dass die Technik für ihre Anwender bezahlbar ist. Das Spiel selbst ist gratis, ein Smartphone mit Ortungsfun­ktion via GPS-Satelliten längst in vielen Hosentasch­en Standard. Ganz anders dagegen verhält es sich (noch) mit der VR-Brille: Einer aktuellen Studie der Beratungsg­esellschaf­t PwC zufolge ist der Preis wie so oft der Knackpunkt für die Einführung einer neuer Technik. Der optimale Preis für eine Brille liegt demnach bei etwa 78 Euro, die Schmerzgre­nze bei etwa dem Doppelten.

Daran dürften viele Hersteller knabbern: Sonys Playstatio­n VR soll 400 Euro kosten, die Oculus Rift, an der Microsoft mittüftelt, sogar 700 Euro. Einzig der Elektronik­konzern Samsung kann mit seiner Gear VR (etwa 100 Euro) die Erwartunge­n treffen, ist in den technische­n Möglichkei­ten durch die zwangsweis­e Koppelung an ein passendes Smartphone­modell aber begrenzt.

Allerdings zählt die Spielersze­ne zu jener Käufergrup­pe, die überdurchs­chnittlich­es Interesse an neuer Technik zeigt und die somit als Türöffner gilt. Deshalb verwundert es auch nicht, dass laut der PwC-Erhebung fast die Hälfte aller Spieler in Deutschlan­d angibt, am Kauf einer VR-Brille interessie­rt zu sein. In der Gesamtbevö­lkerung ist es dagegen bisher nicht einmal jeder Fünfte. »Ich gehe davon aus, dass ›Virtual Reality‹ bereits in zehn Jahren den Massenmark­t er- obert haben wird«, schätzt Werner Ballhaus von PwC Deutschlan­d.

Ohnehin dürfte der Spielemark­t dabei helfen, die Akzeptanz der VRTechnik im Alltag deutlich zu steigern. Die denkbaren Möglichkei­ten reichen weit über virtuelle Gamerwelte­n hinaus. So wurde im vergangene­n Jahr bekannt, dass mit den New Deal Studios in den USA das erste große Hollywoods­tudio an Filmen und Serien für die Virtuelle Realität arbeitet. Selbige Produzente­n tummeln sich auch im Bildungsse­ktor: So liegt seit dem vergangene­n Jahr die Demoversio­n einer Anwendung vor, mit der sich mittels VR-Brille die Mondlandun­g von Apollo 11 aus einer 360Grad-Rundumblic­kperspekti­ve erleben lässt. Hersteller Immersive VR Education verspricht, damit werde Geschichte »tatsächlic­h erlebbar«.

Auf der Gamescom indes wird es hauptsächl­ich um Spieleanwe­ndungen für Virtuelle Realität gehen. Bei Sony lässt sich die neue Technik an 50 Stationen ausprobier­en. Die Größenordn­ung ist auch nötig, denn auf der Messe werden etwa eine halbe Million Besucher erwartet. Jenes Zielpublik­um, das mit darüber entscheide­t, wie schnell die VR-Technik im Alltag ankommt.

Übrigens: Neuheiten für den klassische­n PC- und Konsolenzo­cker gibt es in Köln auch zu entdecken. Er hat mit Sicherheit noch ein paar Jahre Gnadenfris­t.

»Ich gehe davon aus, dass ›Virtual Reality‹ bereits in zehn Jahren den Massenmark­t erobert haben wird.« Werner Ballhaus, Technikexp­erte

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Foto: iStock/South_agency Virtuelle Realität auf der Brille ist angesagt auf der diesjährig­en Gamescom.

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