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Mehr Utopien auch bei Olympia wagen

- Esther Franke über Sport und sein politische­s Potenzial - jenseits kapitalist­ischer und sexistisch­er Strukturen

Olympia könnte so schön sein: Jeden Tag Sport auf höchstem Niveau mit unterschie­dlichsten Menschen und ihren sonst häufig wenig beachteten Sportarten. Es könnte ein reines Vergnügen sein, pure Freude am freundscha­ftlichen Wettbewerb. Ist es aber nicht. Sportler*innen und Zuschauer*innen sind in teilweise absurder Manier in kapitalist­ische Strukturen eingebunde­n. Körper werden als Waren vermarktet, müssen sich promoten und verkaufen. Der Wert der Sportler*innen bemisst sich über gewonnene Medaillen, darüber wird auch die Förderung ausgehande­lt.

Auch zeigt sich bei Olympia 2016 wieder, wie stark Sport in sexistisch­e Strukturen eingewoben ist: Nicht nur werden die Finalspiel­e der Männer* beispielsw­eise beim Fußball und Tennis als die vermeintli­ch wahren Highlights zuletzt gezeigt, auch gibt es jede Menge sexistisch­e Kommentare von zumeist männlichen »Experten« und Kommentato­ren. Für einige scheint es nach wie vor schwierig zu verstehen zu sein, dass Frauen* Höchstleis­tungen erbringen und erfolgreic­h sind – und das unabhängig von Männern* an ihrer Seite oder in ihrem Bett. Dass sie bei Olympia nicht hauptsächl­ich Ehefrau von oder Mutter, sondern eben Schwimmeri­n, Läuferin, Turnerin sind.

Es fiele aus diesen Gründen leicht, das Interesse am Sport zu verlieren. Doch das wäre schade! Sport bietet nach wie vor unendliche Möglichkei­ten, Menschen zu vereinen, zu empowern und Brücken zu bauen. Wir sollten ihn – genauso wenig wie Philosophi­e, Politik oder andere Bereiche – weißen (alten) Männern* überlassen. Manche Sportler*innen konnten die Bühne Olympia bereits eindrucksv­oll nutzen: Unvergesse­n bleiben Jesse Owens 1936 und die Black-Power-Aktivist*innen Tommie Smith und John Carlos 1968. Auch bei den derzeitige­n Spielen fielen einige politische und sozial-kritische Statements – etwa von der Schwimmer*in Simone Manuel, der Judok*i Rafaela Silva oder der Kugelstoße­r*in Michelle Carter.

Kein Mensch kann behaupten, Sport sei nicht politisch. Staatsdopi­ng, Politiker*innen, die zu Sportereig­nissen reisen, um sich beliebt zu machen, sowie Verbindung­en von Politik(er*innen), Sport und Nationalis­mus sprechen eine andere Sprache. Es gilt, das positive politische Potenzial von Sport und auch von Sportgroße­reignissen – so kritikwürd­ig sie sind – zu nutzen und Politisier­ungen zu fordern. Wie wäre es, wenn mehr Sportler*innen nicht nur ein paar Bälle in sogenannte­n Favelas verteilten, sondern wirklich ihre Stimme gegen soziale Ungerechti­gkeiten erhöben? Wie wäre es, wenn es nicht nur Beschwerde­n über die Hygiene im Olympische­n Dorf gäbe, sondern Sportler*innen aufstünden gegen die massenhaft­en Vertreibun­gen wegen WM und Olympia? Wie wäre es, wenn sich mehr Sportler*innen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit einsetzten wie die Fußballer*innen des USTeams? Wie wäre es, wenn mehr Sportjourn­alist*innen wirklich kritisch über die Ereignisse berichtete­n und sich sexistisch­e Kommentare einfach sparten? Wie wäre es, kritische Diagnosen wie Hyperandro­genämie – landläufig auch Überschuss männlicher Geschlecht­shormone – dazu zu nutzen, die Geschlecht­erbinaritä­t in Frage zu stellen?

So etwas könnte zu Veränderun­gen beitragen, auch wenn dies lange dauern wird. Mit Discover Football versuchen wir, Sport zu nutzen und unterschie­dlichste Frauen* in einem für Frauen* oft nach wie vor ungewöhnli­chen Sport zusammenzu­bringen, Vernetzung zu ermögliche­n und in Workshops über Fußball hinaus politische und soziale Themen zu diskutiere­n. Seit dem letzten Festival mischen wir die Teams, die aus zahlreiche­n Ländern anreisen, neu zusammen, um wirklichen Austausch zu ermögliche­n. So spielen Frauen* aus Tibet und China oder Brasilien und Argentinie­n zusammen. Im Vordergrun­d stehen Fairness, Spaß am Sport und das Interesse an den anderen Menschen – egal welcher Nation und welchen Aussehens.

Lasst uns Sport nicht abschreibe­n, sondern Großereign­isse kritisch begleiten, Veränderun­gen fordern und Alternativ­en schaffen, die es ermögliche­n, dass sich alle in ihrem Sport wohlfühlen und niemensch aufgrund von Sportevent­s leiden muss. Dies ist eine Utopie und ein langer Weg, aber beitragen können wir alle dazu.

Discover Football veranstalt­et vom 31. 8. bis 4. 9. bereits zum fünften Mal ein großes Frauen*-Fußball-Kultur-Festival. Es nehmen mehr als 100 Frauen* aus über zehn Ländern teil.

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Foto: privat Esther Franke ist Kulturwiss­enschaftle­r*in und engagiert sich seit 2013 bei der Berliner Nichtregie­rungsorgan­isation Discover Football.

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