Viele Geflüchtete werden arbeitslos
Nach der Anerkennung durch das Migrationsamt folgt oft die Meldung beim Jobcenter
Wie schnell geflüchtete Menschen in Deutschland einen Arbeitsplatz finden, hängt auch von den Unternehmen ab. Doch die Konzerne kneifen. Das Sommerloch zu füllen, ist alljährlich lästige Pflicht derjenigen Redakteure, die nicht wie die Kollegen im Sommerurlaub weilen. Bei der »Bild« bediente man sich am Dienstag eines simplen Tricks und skandalisierte altes Zahlenmaterial. »Regierung befürchtet mehr Arbeitslose«, hieß es auf Seite eins. Demnach könnte die Zahl der Erwerbslosen im Jahr 2017 um 110 000 auf dann 2,86 Millionen steigen. 2020 könnte es dann im Schnitt 3,1 Millionen Arbeitslose geben. Zeitgleich dürfte die Zahl der Beschäftigten auf 44,1 Millionen klettern. Ein Grund für beide Entwicklungen ist der Zuzug von Hunderttausenden Geflüchteten nach Deutschland.
»Die Zahlen stammen aus der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung aus dem April«, so eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag gegenüber »nd«. Die BA selbst erstelle keine Prognosen, könne aber den Ist-Zustand nennen. So seien im Juli rund 141 000 Menschen mit Fluchthintergrund arbeitslos gemeldet gewesen. Davon seien 114 000 Menschen anerkannte Geflüchtete. 26 000 Personen warteten noch auf den Bescheid, hätten sich aber bereits als arbeitssuchend gemeldet, so die BA-Sprecherin.
Derzeit steigt die Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge monatlich in 10 000er-Schritten. Für die kommenden Monate schließt die Bundesagentur für Arbeit auch eine stärkere Zunahme nicht aus, weil die Asylanträge mittlerweile schneller bearbeitet würden.
Auch das Bundesfinanzministerium hat den erwarteten Anstieg im Blick. Das Ministerium habe die Zahlen aus der Frühjahrsprojektion der »Finanzplanung bis 2020 zugrunde gelegt, die das Kabinett am 6. Juli beschlossen hat«, betonte eine Sprecherin von Ressortleiter Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag gegenüber »nd«.
Das Bundesarbeitsministerium ist ebenfalls im Bilde: »Durch einen Zuwachs bei den Erwerbspersonen wird bei der weiterhin guten Lage am Arbeitsmarkt einerseits der weitere Aufbau der Erwerbstätigkeit verstärkt. Andererseits steigt die absolute Zahl der Arbeitslosen«, sagte eine Sprecherin dem »nd«. Im Entwurf zum Bundeshaushalt 2017 seien für das Jahr 2017 rund 37,2 Milliarden Euro für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, also Hartz IV, vorgesehen. »Davon entfallen rund 9,2 Milliarden Euro auf Leistungen der aktiven Arbeitsmarkt- politik, also Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Verwaltungskosten in den Jobcentern«, so die Sprecherin.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ging bisher von 90 000 zusätzlichen arbeitslosen Flüchtlingen für 2016 aus, rechnet jetzt aber wegen der gesunkenen Zuwanderungszahlen mit einem niedrigeren Wert, wie IAB-Arbeitsmarktforscher Enzo Weber am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa sagte.
Derzeit sind die Jobaussichten eigentlich gut. Im Juli meldeten Betriebe deutschlandweit 674 000 unbesetzte Stellen. Das waren 85 000 mehr als vor einem Jahr. Trotzdem rechnen Arbeitsmarktforscher und die Bundesagentur nicht mit schnellen Vermittlungserfolgen. Wegen unzureichender Deutschkenntnisse könnten viele Geflüchtete oft erst zwei Jah- re nach ihrer Ankunft in Deutschland vermittelt werden. Doch viele ergattern trotzdem einen Job. Nach Angaben der BA beschäftigte die deutsche Wirtschaft im Frühjahr mehr als 136 000 Menschen aus Asylherkunftsländern. 99 000 davon hätten im Mai eine reguläre versicherungspflichtige Stelle gehabt, knapp 37 000 seien geringfügig beschäftigt gewesen, etwa auf Basis eines Minijobs.
Für diejenigen, die lange auf ihren Bescheid vom BAMF warten müssen, hatte das Bundeskabinett im Juli ein Programm zum Aufbau von 100 000 Arbeitsgelegenheiten beschlossen. Diese sollen nach Art der Ein-EuroJobs funktionieren, nur noch schlechter bezahlten werden. Die Teilnehmer sollen eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent in der Stunde erhalten, so will es das Bundesarbeitsministerium. Die Oppositionspoliti- kerin Sevim Dağdelen (LINKE) kritisierte die 80-Cent-Jobs als »neues Werkzeug zum Lohndumping«.
Fakt ist: Bund und Länder müssen viel Geld in die Hand nehmen, auch um die Integration Hunderttausender junger Flüchtlinge ins Bildungssystem zu schaffen. Hier besteht in den dafür zuständigen Bundesländern nach einer Studie »dringender Handlungsbedarf«. »Hierfür sollten die jährlichen öffentlichen Bildungsausgaben um 3,5 Milliarden Euro erhöht werden«, heißt es im »Bildungsmonitor 2016«, einer vergleichenden Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall getragen wird.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Arbeitgeber hier die Politik zum Handeln auffordern. Denn vor allem deutsche Konzerne drücken sich bislang vor der Verantwortung. Anfang Juli war bekannt geworden, dass die DAX-Konzerne bis dahin erst 54 Flüchtlinge eingestellt hatten. Bis auf ein paar Hundert Praktikumsplätze haben die großen Firmen kaum etwas anzubieten. Selbst die stellvertretende CDUBundesvorsitzende Julia Klöckner forderte deshalb am Montag mehr Anstrengungen. »Wenn ich die bescheidene Zahl von Flüchtlingen sehe, die bei den ganz großen Unternehmen einen Arbeitsplatz bekommen haben, dann ist das eher beschämend«, sagte sie der »Schwäbischen Zeitung«.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich am 14. September mit den Chefs mehrerer Konzerne treffen, um über die Beschäftigung von Flüchtlingen zu sprechen.