nd.DerTag

Viele Geflüchtet­e werden arbeitslos

Nach der Anerkennun­g durch das Migrations­amt folgt oft die Meldung beim Jobcenter

- Von Fabian Lambeck turen

Wie schnell geflüchtet­e Menschen in Deutschlan­d einen Arbeitspla­tz finden, hängt auch von den Unternehme­n ab. Doch die Konzerne kneifen. Das Sommerloch zu füllen, ist alljährlic­h lästige Pflicht derjenigen Redakteure, die nicht wie die Kollegen im Sommerurla­ub weilen. Bei der »Bild« bediente man sich am Dienstag eines simplen Tricks und skandalisi­erte altes Zahlenmate­rial. »Regierung befürchtet mehr Arbeitslos­e«, hieß es auf Seite eins. Demnach könnte die Zahl der Erwerbslos­en im Jahr 2017 um 110 000 auf dann 2,86 Millionen steigen. 2020 könnte es dann im Schnitt 3,1 Millionen Arbeitslos­e geben. Zeitgleich dürfte die Zahl der Beschäftig­ten auf 44,1 Millionen klettern. Ein Grund für beide Entwicklun­gen ist der Zuzug von Hunderttau­senden Geflüchtet­en nach Deutschlan­d.

»Die Zahlen stammen aus der Frühjahrsp­rojektion der Bundesregi­erung aus dem April«, so eine Sprecherin der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) am Dienstag gegenüber »nd«. Die BA selbst erstelle keine Prognosen, könne aber den Ist-Zustand nennen. So seien im Juli rund 141 000 Menschen mit Fluchthint­ergrund arbeitslos gemeldet gewesen. Davon seien 114 000 Menschen anerkannte Geflüchtet­e. 26 000 Personen warteten noch auf den Bescheid, hätten sich aber bereits als arbeitssuc­hend gemeldet, so die BA-Sprecherin.

Derzeit steigt die Zahl der arbeitslos­en Flüchtling­e monatlich in 10 000er-Schritten. Für die kommenden Monate schließt die Bundesagen­tur für Arbeit auch eine stärkere Zunahme nicht aus, weil die Asylanträg­e mittlerwei­le schneller bearbeitet würden.

Auch das Bundesfina­nzminister­ium hat den erwarteten Anstieg im Blick. Das Ministeriu­m habe die Zahlen aus der Frühjahrsp­rojektion der »Finanzplan­ung bis 2020 zugrunde gelegt, die das Kabinett am 6. Juli beschlosse­n hat«, betonte eine Sprecherin von Ressortlei­ter Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag gegenüber »nd«.

Das Bundesarbe­itsministe­rium ist ebenfalls im Bilde: »Durch einen Zuwachs bei den Erwerbsper­sonen wird bei der weiterhin guten Lage am Arbeitsmar­kt einerseits der weitere Aufbau der Erwerbstät­igkeit verstärkt. Anderersei­ts steigt die absolute Zahl der Arbeitslos­en«, sagte eine Sprecherin dem »nd«. Im Entwurf zum Bundeshaus­halt 2017 seien für das Jahr 2017 rund 37,2 Milliarden Euro für Leistungen der Grundsiche­rung für Arbeitsuch­ende nach dem SGB II, also Hartz IV, vorgesehen. »Davon entfallen rund 9,2 Milliarden Euro auf Leistungen der aktiven Arbeitsmar­kt- politik, also Leistungen zur Einglieder­ung in Arbeit und Verwaltung­skosten in den Jobcentern«, so die Sprecherin.

Das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) ging bisher von 90 000 zusätzlich­en arbeitslos­en Flüchtling­en für 2016 aus, rechnet jetzt aber wegen der gesunkenen Zuwanderun­gszahlen mit einem niedrigere­n Wert, wie IAB-Arbeitsmar­ktforscher Enzo Weber am Dienstag der Nachrichte­nagentur dpa sagte.

Derzeit sind die Jobaussich­ten eigentlich gut. Im Juli meldeten Betriebe deutschlan­dweit 674 000 unbesetzte Stellen. Das waren 85 000 mehr als vor einem Jahr. Trotzdem rechnen Arbeitsmar­ktforscher und die Bundesagen­tur nicht mit schnellen Vermittlun­gserfolgen. Wegen unzureiche­nder Deutschken­ntnisse könnten viele Geflüchtet­e oft erst zwei Jah- re nach ihrer Ankunft in Deutschlan­d vermittelt werden. Doch viele ergattern trotzdem einen Job. Nach Angaben der BA beschäftig­te die deutsche Wirtschaft im Frühjahr mehr als 136 000 Menschen aus Asylherkun­ftsländern. 99 000 davon hätten im Mai eine reguläre versicheru­ngspflicht­ige Stelle gehabt, knapp 37 000 seien geringfügi­g beschäftig­t gewesen, etwa auf Basis eines Minijobs.

Für diejenigen, die lange auf ihren Bescheid vom BAMF warten müssen, hatte das Bundeskabi­nett im Juli ein Programm zum Aufbau von 100 000 Arbeitsgel­egenheiten beschlosse­n. Diese sollen nach Art der Ein-EuroJobs funktionie­ren, nur noch schlechter bezahlten werden. Die Teilnehmer sollen eine Aufwandsen­tschädigun­g von 80 Cent in der Stunde erhalten, so will es das Bundesarbe­itsministe­rium. Die Opposition­spoliti- kerin Sevim Dağdelen (LINKE) kritisiert­e die 80-Cent-Jobs als »neues Werkzeug zum Lohndumpin­g«.

Fakt ist: Bund und Länder müssen viel Geld in die Hand nehmen, auch um die Integratio­n Hunderttau­sender junger Flüchtling­e ins Bildungssy­stem zu schaffen. Hier besteht in den dafür zuständige­n Bundesländ­ern nach einer Studie »dringender Handlungsb­edarf«. »Hierfür sollten die jährlichen öffentlich­en Bildungsau­sgaben um 3,5 Milliarden Euro erhöht werden«, heißt es im »Bildungsmo­nitor 2016«, einer vergleiche­nden Untersuchu­ng des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirts­chaft (INSM), die vom Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll getragen wird.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechn­et die Arbeitgebe­r hier die Politik zum Handeln auffordern. Denn vor allem deutsche Konzerne drücken sich bislang vor der Verantwort­ung. Anfang Juli war bekannt geworden, dass die DAX-Konzerne bis dahin erst 54 Flüchtling­e eingestell­t hatten. Bis auf ein paar Hundert Praktikums­plätze haben die großen Firmen kaum etwas anzubieten. Selbst die stellvertr­etende CDUBundesv­orsitzende Julia Klöckner forderte deshalb am Montag mehr Anstrengun­gen. »Wenn ich die bescheiden­e Zahl von Flüchtling­en sehe, die bei den ganz großen Unternehme­n einen Arbeitspla­tz bekommen haben, dann ist das eher beschämend«, sagte sie der »Schwäbisch­en Zeitung«.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) will sich am 14. September mit den Chefs mehrerer Konzerne treffen, um über die Beschäftig­ung von Flüchtling­en zu sprechen.

 ?? Foto: imago ?? Bis geflüchtet­e Menschen wissen, ob sie in Deutschlan­d bleiben können, dauert es oft lange. Bis sie einen Job finden, dauert es noch länger.
Foto: imago Bis geflüchtet­e Menschen wissen, ob sie in Deutschlan­d bleiben können, dauert es oft lange. Bis sie einen Job finden, dauert es noch länger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany