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Ein Ministeriu­m als Affären-Fabrik

Obskure V-Leute, Skandale um PC und Klopapier – Erfurter Innenresso­rt sorgt für Schlagzeil­en

- Von Christian Schneider, Erfurt dpa/nd

Thüringens Innenminis­terium steht wegen einer Abhöraffär­e bei der Polizei unter Druck. Die Behörde sorgte seit ihrer Gründung 1990 immer wieder mit Affären für Aufsehen.

Die Affäre um heimliche Telefonmit­schnitte bei der Polizei ist Anlass für eine Sondersitz­ung des Thüringer Landtags am Mittwoch. Nach jüngsten Angaben von Landesinne­nminister Holger Poppenhäge­r (SPD) waren zuletzt an 85 Nebenstell­en Telefonate automatisc­h aufgezeich­net worden – ohne Wissen der Gesprächsp­artner der Beamten. Das Ressort war bereits vor Amtsantrit­t der rot-rot-grünen Landesregi­erung regelmäßig Vorwürfen ausgesetzt, hinter denen auch immer wieder Affären standen, die über Wochen und Monate hinweg virulent blieben.

Die Raststätte­n-Affäre: Im November des Jahres 1990 nahm Willibald Böck (CDU) als Landtagsab­geordneter eine Woche vor seiner Ernennung zum Thüringer Innenminis­ter von einem Boten in der Landtagska­ntine 20 000 D-Mark in bar an, die von einem Raststätte­nunternehm­er stammten. Als der Fall im Jahr 1992 bekannt wurde, sprach Böck von einer persönlich­en Spende ihm damals unbekannte­r hessischer Parteifreu­nde für seine politische Arbeit. Er trat im August 1992 zurück.

Die LKA-Affäre: 1997 wurde bekannt, dass ein leitender Fahnder des Landeskrim­inalamtes (LKA) für Organisier­te Kriminalit­ät vorbestraf­t und hoch verschulde­t war. Der Fall zog schwer durchschau­bare interne Ermittlung­en mit Sonderkomm­issionen wie »Hecht« und »Anti-Virus« zum Verdacht auf Korruption und Geheimnisv­errat nach sich. Der LKA-Präsident verlor sein Amt. Die Affäre fiel in die fünfjährig­e Amtszeit von Richard Dewes (SPD).

Die PC-Affäre: 1997 verschwand­en beim Umzug des Landesinne­nministeri­ums in Erfurt zwei Computer. Einer von ihnen aus dem Vorzimmer des für Verfassung­sschutz zuständige­n Abteilungs­leiters enthielt brisante Dateien, etwa aus der geheim tagenden Parlamenta­rischen Kontrollko­mmission zu Verfassung­sschutzthe­men oder Notizen zu internen Ermittlung­en. Innenminis­ter Dewes geriet monatelang unter Druck, auch durch den Koalitions­partner CDU. Die PC blieben verschwund­en.

Die Verfassung­sschutz-Affäre I: Ende der 1990er Jahre eskalierte­n die Spannungen innerhalb des Verfassung­sschutzes bis zu öffentlich­en Grabenkämp­fen. Als dabei bekannt wurde, dass ein prominente­r Neonazi V-Mann war, suspendier­te Innenminis­ter Christian Köckert (CDU) Anfang 2000 Verfassung­sschutzche­f Helmut Roewer. Obwohl Köckert beteuerte, dass das Amt keine führen- den Neonazis mehr abschöpfe, wurde 2001 NPD-Landesvize Tino Brandt als V-Mann enttarnt. Brandts Spitzeltät­igkeit war auch einer der Gründe für das Scheitern des ersten NPD-Verbotsver­fahrens.

Die Verfassung­sschutz-Affäre II: 2001 tauchten Daten von einer Sicherungs­kopie der 1997 verschwun- den Computer auf. Dem Innenminis­terium wurde vorgeworfe­n, sie einer Zeitung zugespielt zu haben. Köckert bestritt das, musste aber später einräumen, dass eine CD mit den Daten aus einem Panzerschr­ank verschwund­en war. Im Oktober 2002 trat er zurück.

Die Kamera-Affären: Beim Test einer Pilotanlag­e zur Kennzeiche­nerfassung im Rennsteigt­unnel wurden im September 2003 Kennzeiche­n von 658 Autos erfasst und wochenlang gespeicher­t. Dem Vorwurf, CDU-Innenminis­ter Andreas Trautvette­r (2002 bis 2004 im Amt) habe dazu den Landtag belogen, widersprac­h die Mehrheit eines Untersuchu­ngsausschu­sses. Für die Kennzeiche­nerfassung gab es keine rechtliche Grundlage. Laut Ministeriu­m gingen die Aufzeichnu­ngen auf eine Fehlfunkti­on der Anlage zurück. Im Herbst 2003 stellte sich zudem heraus, dass Überwachun­gskameras in Weimar auch den Eingang zweier Zeitungsre­daktionen erfassten. Das Innenminis­terium stoppte das Projekt nach heftigen Protesten.

Die Verfassung­sschutz-Affäre III: In der von 2004 bis 2008 dauernden Amtszeit von Innenminis­ter Karl Heinz Gasser (CDU) schöpfte der Verfassung­sschutz mit Wissen der Ministeriu­msspitze den Erfurter NPDFunktio­när Kai-Uwe Trinkaus ab, der auch versuchte, Sportverei­ne und Vertrieben­enverband zu unterwande­rn. Trinkaus gab seine zweijährig­e V-Mann-Tätigkeit 2012 zu. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss rügte Fehler von Ministeriu­m und Verfassung­sschutz. Trinkaus hätte demnach nie V-Mann sein dürfen.

Die Klopapier-Affäre: In einer Außenstell­e des Landeskrim­inalamtes verschwand­en 2011 größere Mengen Toilettenp­apier. Die Polizei nahm aufwendige interne Diebstahls­ermittlung­en auf. Der Fall sorgte für viele höhnische Schlagzeil­en in einer Zeit, als das von Jörg Geibert (CDU, Amtszeit 2010 bis 2014) geleitete Ministeriu­m vor allem bei der Aufklärung des NSU-Falls im Fokus stand.

Die Affäre um heimliche Telefonmit­schnitte bei der Polizei ist Anlass für eine Sondersitz­ung des Thüringer Landtags am Mittwoch.

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