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»Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken«

Ein Nachruf auf den Ökonomen und LINKE-Mitgründer Herbert Schui

- Von Klaus Ernst Klaus Ernst ist Bundestags­abgeordnet­er und ehemaliger Co-Vorsitzend­er der Linksparte­i und zusammen mit Herbert Schui einer der Mitbegründ­er der WASG.

Er war geachteter Ökonomiepr­ofessor und engagierte­r Politiker. Am 14. August starb Herbert Schui 76-jährig nach schwerer Krankheit. Ein Weggefährt­e erinnert sich. Viele von uns hat die Nachricht vom Tode Herbert Schuis überrascht und erschütter­t. Als die Krankheit an ihm zehrte, zog er sich zurück. Bis zuletzt konnte man aber immer wieder von ihm lesen und hören. Von mir stand noch ein Rückruf aus. Jetzt wird aus dem Rückruf ein Nachruf.

Kennengele­rnt habe ich Herbert Schui in den 1980er Jahren, als ich an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik studierte. Er war mein Professor, er war streng und ließ kein Geschwafel durchgehen. Aber er war nicht nur mein Lehrer, er wurde für mich auch schnell zu einem guten Freund. Die richtige Haltung ist wichtig und notwendig, die richtigen Taten verbessern die Welt, so lautete Schuis Botschaft an seine damaligen Studierend­en, von denen bis heute viele in den Gewerkscha­ften arbeiten oder in der Politik aktiv sind. Von ihm haben sie ihr ökonomisch­es und politische­s Rüstzeug erhalten. Politische, in der Arbeiterbe­wegung verankerte Intellektu­elle wie Herbert Schui machten zu den Zeiten Willy Brandts die Stärke der SPD aus. Leider hat sie das damals wie heute nicht begriffen.

Es waren tolle Jahre. Wir lernten bei Herbert Schui die Grundlagen der linkskeyne­sianischen Volkswirts­chaftslehr­e, die immer versucht, reformeris­che Brücken zwischen einer krisenhaft­en Gegenwart und einer gerechtere­n Gesellscha­ft zu bauen. Das wünschen sich bis heute viele Menschen. Es war aber auch die Zeit, in der Helmut Kohl eine konservati­ve Wende ausrief und Otto Graf Lambsdorff einen neoliberal­en Masterplan vorlegte, der sich wie die Blaupause der Politik las, die seitdem alle Regierunge­n exerzierte­n: Lohnkosten­senkung im Namen der Wettbewerb­sfähigkeit, Steuersenk­ung für Millionäre im Namen der Standortko­nkurrenz, Sozialabba­u im Namen einer Ideologie ausgeglich­e- ner Staatshaus­halte, Selbstampu­tation des Staates im Namen des Marktkulte­s.

Schui kritisiert­e diese Politik schon früh. Als Helmut Schmidt den Wechsel von einer nachfrageo­rientierte­n Politik der ökonomisch­en Globalsteu­erung hin zu einer neoliberal­en Politik einleitete, gründete Herbert Schui 1975 mit anderen die Arbeitsgru­ppe Alternativ­e Wirtschaft­spolitik. Es ist kein Zufall, dass sich vieles, was zunächst in den Memoranden stand, später in den Programmen der WASG und der LINKEN wieder fand.

Herbert Schui und mich verband nicht nur eine Freundscha­ft, sondern natürlich auch die politische Arbeit. Immer wieder war er Referent in verschiede­nen Veranstalt­ungen von Gewerkscha­ften. Oft schickte er mir seine neuen Texte. An einem klebte um die Jahrtausen­dwende ein handschrif­tlicher Zettel. »Wann treten wir endlich aus diesem ***verein aus?« Er meinte die SPD. Die Bezeichnun­g war nicht freundlich. Ich habe ihm darauf geantworte­t, dass wir das wenn, dann gemeinsam machen.

Als ich ihn 2004 fragte, ob er zu den Erstunterz­eichnern unseres Aufrufs für »Arbeit und soziale Gerechtigk­eit« gegen Schröders Agenda-Politik gehören will, zögerte er keinen Moment. Wir veröffentl­ichten unseren Aufruf, flogen aus der SPD und gründeten die WASG, später DIE LINKE. Der politische Druck, den er dafür als Professor an einer gewerkscha­ftsnahen Hochschule auszuhalte­n hatte, war immens. Aber Herbert Schui gehörte zu den Menschen, die Willi Bleichers Satz »Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken« lebten.

Herbert Schui war als Ratgeber unbequem. Er sagte mir auch später auf den Kopf zu, wenn wir der in Parteien so weit verbreitet­en Versuchung erlagen, Politik durch Haltungsle­hre zu ersetzen. Seine Kritik war nicht nur erträglich sondern überaus hilfreich, nicht nur, weil er sie immer mit einem Schmunzeln und nie als Lehrer vortrug. Er lachte gerne, auch über sich selber; eine Eigenschaf­t, die in Parteien nicht so verbreitet ist.

Als Ökonom beharrte er darauf, dass in einer kapitalist­ischen Ökonomie zunächst alles auf die Primärvert­eilung über die Löhne und dann auf die Sekundärve­rteilung über die Steuern ankommt. An den praktische­n Kämpfen führt kein Weg vorbei, egal wie viele linke Parteien es gibt, egal wer regiert. Es gibt keinen Fahrstuhl zum sozialen Fortschrit­t, da passen einfach zu wenige rein. Wir müssen wohl oder übel die Treppe nehmen, und das geht am besten, wenn wir viele sind, gemeinsam kämpfen und uns gegenseiti­g helfen. Herbert Schui wird fehlen, seiner Familie, seinen Freunden, seiner Partei, der gesamten politische­n Linken. Wir verlieren einen Ratgeber und einen Freund.

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Foto: dpa/Carmen Jaspersen

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