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Stille Revolution im Gasmarkt

Der Einfluss von Gazprom ist in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken

- Von Christian Mihatsch

Noch vor zehn Jahren war der Gaspreis an den Ölpreis gebunden. Heute wird der Gaspreis meist am Spotmarkt bestimmt und der Einfluss von Gazprom schwindet. Der Gasverbrau­ch in der EU ist so niedrig wie zuletzt vor 20 Jahren. Und das wird wohl so bleiben: Billige Kohle, ein geringer Preis für CO2-Emmissions­rechte und immer mehr Strom aus Wind und Sonne machen einen deutlichen Anstieg unwahrsche­inlich. Trotzdem werden die Gasimporte in den nächsten Jahren zunehmen, weil die Förderung in den Niederland­en und Großbritan­nien sinkt. Ein Teil des zusätzlich­en Gases wird aus Aserbaidsc­han kommen. Mehrere Pipelines sind im Bau – vom Kaspischen Meer bis nach Süditalien. Das erste Gas soll so 2020 die EU erreichen.

Weitere Importe sind in Form von Flüssiggas (LNG) möglich. Vergangene­s Jahr waren die europäisch­en Terminals nur zu einem Viertel ausgelaste­t, wie die Internatio­nal Gas Union (IGU) ermittelt hat. In den kommenden Jahren ist zudem mit einer Flüssiggas­schwemme zu rechnen: Der Branchenve­rband erwartet, dass die Kapazität zur Verflüssig­ung von Erdgas in den nächsten vier Jahren um die Hälfte steigen wird. Besonders in Australien und den USA sind viele Terminals im Bau. Das drückt die Preise für alle Importeure. Die niedrigste­n wird laut IGU aber Europa bezahlen: »Europas Rolle als Backstop für überschüss­ige Mengen wird voraussich­tlich zunehmen, da andere Regionen nicht in der Lage sind, ihre Nachfrage so schnell zu steigern wie das Angebot erhöht wird.« Anders gesagt: Ein Flüssiggas­tanker, der keinen Käufer für seine Ladung findet, wird sie letztlich zum Schleuderp­reis in Europa los. Dies sieht auch die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA) so: Wegen der flexiblen EU-Gasinfrast­ruktur und des liquiden Spotmarkts werde »ungewollte­s« Gas in Europa landen.

Dort trifft es auf einen weitgehend reformiert­en Markt: Noch vor zehn Jahren war der Preis für knapp 80 Prozent der EU-Gasimporte an den Ölpreis gebunden. Heute sind es 30 Prozent. Daher wird der Preis nun weitgehend auf dem Spotmarkt ermittelt, wodurch LNG und Pipelinega­s konkurrier­en. Welchen Einfluss dieser Wettbewerb auf den Preis hat, zeigt das Beispiel Litauen: Nach der Inbetriebn­ahme eines Flüssiggas­terminals in Klaipeda fiel der Preis für das Pipelinega­s von Gazprom um ein Viertel.

Zudem haben die EU-Länder ihre Infrastruk­tur so umgebaut, dass Gas in beide Richtungen gepumpt werden kann. Tschechien hat sich gar zu einer Handelsdre­hscheibe entwickelt mit einer Durchleitu­ngskapazit­ät, die den eigenen Verbrauch um das Achtfache übersteigt. Viele osteuropäi­sche Länder können nun ihr Gas aus dem Westen importiere­n, Polen zu 90 Prozent aus Deutschlan­d und Österreich. Außerdem geht in Świnoujści­e ein LNG-Terminal in Betrieb. Polen hat daher schon angekündig­t, den Vertrag mit Gazprom nicht zu verlängern, wenn dieser 2022 ausläuft. Sogar die Ukraine ist weitgehend von Russland unabhängig geworden: Den letzten Winter überstand das Land, ohne Gas von Gazprom zu kaufen.

Auch wenn keiner mehr mit dem russischen Monopolist­en Geschäfte machen will, hat Gazprom 2015 seine Exporte in die EU um acht Prozent erhöht. Die Kunden kaufen ihr Gas aber lieber indirekt – von deutschen Konzernen. Das ist billiger. In Tschechien und der Slowakei ist der Gaspreis so bereits auf deutsches Niveau gefallen und in den anderen osteuropäi­schen Ländern bewegt er sich in diese Richtung. Deutschlan­d bekommt russisches Gas über die Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee. Deren Kapazität entspricht etwa einem Drittel der russischen Lieferunge­n nach Europa. Der Rest kommt über Pipelines durch Belarus und die Ukraine. Der Trick: Die Ukraine kauft das Gas nicht direkt von Gazprom, sondern schickt es virtuell nach Westeuropa, um es anschließe­nd ebenso virtuell zu reimportie­ren. Ein tolles Geschäft, bei dem alle profitiere­n – außer Gazprom. Warum der Konzern dennoch die neue Nordstream-2-Pipeline nach Deutschlan­d bauen will, ist ein Rätsel.

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Foto: dpa/Maxim Shipenkov Gazprom-Leitung im russischen Sudscha

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