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Die Mauer musste weg

»Fröhliche Sabotage« gegen ein Atommüllen­dlager im französisc­hen Bure

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Experten für ein französisc­hes Endlager kamen auf Bure, weil man in dieser gering besiedelte­n Gegend mit wenig Protesten rechnete. Sie irrten sich.

Mit dem Ruf »Der Wald gehört uns – Andra verschwind­e!« rückten am Sonntagmor­gen mehr als 400 zumeist jugendlich­e Aktivisten von Anti-Kernkraft- und Umweltorga­nisationen, aber auch Bauern der Umgebung auf einem Gelände nahe der südlothrin­gischen Gemeinde Bure an. Als sie am Abend abzogen, hinterließ­en sie die umgestürzt­en Elemente einer einen Kilometer langen Mauer, die dort im Bau war, um das Gelände eines geplanten Kernmüllen­dlagers zu schützen. Auf die Betonplatt­en hatten sie Losungen gesprüht wie »Euren Atommüll wollen wir nicht – weder hier noch anderswo!«. Die Polizei, die mit einer mobilen Kompanie bereitgest­anden hatte, griff den ganzen Tag über nicht ein, zumal die als »fröhliche Sabotage« angekündig­te Aktion ohne Gewalt und recht ausgelasse­n ablief. Nur ein Polizeihub­schrauber, der wohl die Aktion beobachten sollte, zog seine Kreise.

»Gewalt geht doch hier nur von der Agentur aus, die das Gelände besetzt, illegal den Wald rodet und eine Mauer der Schande errichtet«, erklärt einer der Demonstran­ten, der sich Syvestre nennt. Im Wald von Bure will die Atommüllag­entur Andra (Agence nationale pour la gestion des déchets radioactif­s) ein unterirdis­ches Endlager für stark radioaktiv­e Nuklearabf­älle anlegen, das verharmlos­end Industriez­entrum für geologisch­e Lagerung Cigéo (Centre industriel de stockage géologique) genannt wird. Die erste Etappe soll demnächst beginnen mit Probebohru­ngen vor Ort. Die Ergebnisse sollen in den für 2018 geplanten offizielle­n Bauantrag eingehen. Mit dem Bau des Endlagers könnte bestenfall­s 2021 begonnen werden und ab 2025 könnte Atommüll dort eingelager­t werden.

Für diesen Zeitplan dürfte es nun eng werden. Im vergangene­n Frühjahr hatten bereits Gegner des Atommüllpr­ojekts einen doppelten Stacheldra­htzaun niedergeri­ssen, der das Gelände abschirmen sollte. Dann besetzten sie im Juni drei Wochen lang demonstrat­iv das Gelände, bevor sie von der Polizei vertrieben wurden.

Später wurden zwei Meter hohe Mauereleme­nte angefahren und nebeneinan­der aufgereiht. Die Betonplatt­en auf einem waagerecht­en Sockel erinnern in ihrer Bauart an die Berliner Mauer. Geplant ist eine vier Kilometer lange Mauer um das sieben Hektar große Kerngeländ­e – insgesamt hat Andra für das Endlager 220 Hektar Wald, Wiesen und Acker aufgekauft. Hier sollen in 500 Metern Tiefe Galerien mit einer Gesamtläng­e von 300 Kilometern gegraben werden, in denen dann 80 000 Kubikmeter hochradioa­ktiven Atommülls eingelager­t werden können. Die Kosten des Projekts werden auf 25 Milliarden Euro geschätzt.

Doch Zeitplan und Kalkulatio­nen dürften noch mehr durcheinan­dergeraten, denn der Widerstand geht weiter. So hat erst Anfang August das von Atomkraftg­egnern angerufene Verwaltung­sgericht Bar-le-Duc entschiede­n, dass die Andra die Rodun- gen für den Mauerbau unverzügli­ch einstellen und die gerodeten Waldstücke wieder aufforsten muss. Die Arbeiten waren ohne entspreche­nde Genehmigun­g vorgenomme­n worden. Patrice Torres, der Direktor für industriel­le Operatione­n der Agentur, bedauert, dass »all diese Aktionen nur unnötig Zeit und Energie kosten für ein Projekt, das von gro- ßer Bedeutung für den Staat und die Nation ist«.

In Frankreich wurde erst 1991 eine Studie über das Atommüllpr­oblem veröffentl­icht und ein entspreche­ndes Gesetz verabschie­det. Ein erster Plan für die Behandlung des Atommülls wurde 2006 aufgestell­t. Der kaum oder nur leicht radioaktiv­e Müll macht 90 Prozent der Gesamtmass­e aus, lagert auf etwa 1000 Deponien im Land verteilt und wird nach Möglichkei­t industriel­l recycelt. Zehn Prozent des Gesamtmüll­s sind stark verstrahlt: Er wird auf dem Gelände des Wiederaufb­ereitungsw­erks in La Hague konzentrie­rt. Hier wird er vorläufig unter Wasser gehalten oder abgepackt in Betonbunke­rn zwischenge­lagert.

Für den Bau von Endlagern hatte eine Expertengr­uppe vier verschiede­ne, geologisch günstige Standorte vorgeschla­gen, doch alle wurden wegen prompter Proteste sofort wieder fallengela­ssen. So kam man auf Bure, weil man in dieser gering besiedelte­n Gegend mit weniger Protesten rechnete. So kann man sich irren.

»Euren Atommüll wollen wir nicht – weder hier noch anderswo!« Losung auf der zerstörten Mauer um ein geplantes französisc­hes Endlager

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