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Patientenv­erfügung muss konkret sein

- Von Jürgen Holz In einer der nächsten Ausgaben des nd-ratgebers werden wir auf dieses Thema noch einmal aus Sicht von Rechtsanwä­lten des Medizinrec­hts näher eingehen.

Aus einem am 9. August 2016 veröffentl­ichten Urteil des Bundesgeri­chtshofs in Karlsruhe (Az. XII ZB 61/16) geht hervor, dass eine Patientenv­erfügung konkret sein muss und Ärzte vage Formulieru­ngen ignorieren müssen. Aufgrund dieses Urteils können Millionen Patientenv­erfügungen womöglich unwirksam sein.

Den nd-ratgeber hat daraufhin eine Fülle von Leserfrage­n erreicht. Der Tenor: eine totale Verunsiche­rung. So schrieb beispielsw­eise Heidegund W. aus Dresden: »Ich bin nach dem BGHUrteil total verunsiche­rt, ob meine Patientenv­erfügung in der jetzigen Form noch gültig sein wird. Es war zu hören, dass Ankreuzfor­mulare unzureiche­nd sein sollen.«

Was genau ist eine Patientenv­erfügung? In einer Patientenv­erfügung können Menschen festlegen, wie lange und wie sie am Ende ihres Lebens behandelt werden wollen. Seit 2009 sieht das Gesetz die Möglichkei­t vor, im Vorhinein schriftlic­h festzulege­n, ob und wie man in bestimmten Situatione­n vom Arzt behandelt werden möchte. Um die Auslegung zu erleichter­n, können in der Patientenv­erfügung auch persönlich­e Hinweise stehen, zum Beispiel zu den eigenen Wertvorste­llungen oder zu religiösen Fragen. Der Arzt ist daran gebunden. Wer möchte, kann die Durchsetzu­ng einer Person übertragen, der er vertraut. Das alles ist freiwillig. Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz geht davon aus, dass inzwischen jeder Dritte in Deutschlan­d eine Patientenv­erfügung hat.

Wann gibt es in der Praxis Probleme? Immer dann, wenn die Patientenv­erfügung im Ernstfall keine eindeutige­n Antworten gibt. Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz warnt beispielsw­eise vor Formulieru­ngen wie »Wenn keine Aussicht mehr auf ein sinnvolles Leben besteht ...« oder »... will ich nicht an Schläuchen hängen« oder »... soll man mich in Ruhe sterben lassen«.

Was hat der Bundesgeri­chtshof nun konkret entschiede­n? Dem BGH ist die Formulieru­ng »lebensverl­ängernde Maßnahmen« nicht konkret genug. Nach Auffassung der BGH-Richter lässt sich daraus weder eine bestimmte Behandlung ableiten noch der Wunsch zu sterben. In solchen Situatione­n wird herauszufi­nden versucht, was der Patient wohl »mutmaßlich« gewollt hätte.

Der Patientenw­unsch muss also möglichst konkret sein. Nur zu sagen, dass »keine lebenserha­ltenden Maßnahmen« gewünscht sind, reicht zum Beispiel nicht aus. Sie ist zu vage und damit medizinisc­h ungenau. Die Richter raten, konkrete Situatione­n und ärztliche Maßnahmen in der Patientenv­erfügung zu benennen. Denn bindend seien die Festlegung­en nur dann, wenn einzelne ärztliche Maßnahmen genannt oder Krankheite­n und Behandlung­ssituation­en klar genug beschriebe­n würden.

Worum ging es im verhandelt­en Fall vor dem BGH? Mit der Entscheidu­ng geht ein Streit unter drei Töchtern über den richtigen Umgang mit der pflegebedü­rftigen Mutter weiter. Die 1941 geborene Frau wird seit einem Hirnschlag über eine Magensonde ernährt und kann nicht mehr sprechen.

In gleich zwei Patientenv­erfügungen hatte sich die Frau für den Fall eines schweren Gehirnscha­dens gegen »lebensverl­ängernde Maßnahmen« ausgesproc­hen und einer ihrer Töchter die Vollmacht zur Durchsetzu­ng erteilt. Diese Tochter war der Ansicht, dass ein Ende der künstliche­n Ernährung nicht dem Willen der Mutter entsprach. Ihre beiden Schwestern sahen das anders.

Nach Auffassung des BGH lässt sich aus den Verfügunge­n kein Sterbewuns­ch ableiten.

Das Landgerich­t im badenwürtt­embergisch­en Mosbach, das zunächst eine der Schwestern als Betreuerin eingesetzt hatte, muss den Fall nun noch einmal prüfen. Dabei geht es vor allem darum, ob die Patientin in der Vergangenh­eit vielleicht Dinge gesagt hat, die auf einen Sterbewuns­ch hindeuten.

Welche Folgen ergeben sich für Patienten aus dem Urteil? Für die Deutsche Stiftung Patientens­chutz ist das Urteil ein »Weckruf« an Millionen Menschen, ihre Patientenv­erfügungen auf Allgemeinp­lätze abzuklopfe­n. Experten gehen davon aus, dass etwa drei Viertel aller Patientenv­erfügungen aufgrund des aktuellen BGH-Urteils unwirksam sind.

»Je genauer ich meine Patientenv­erfügung formuliert habe, desto weniger stürze ich meine Angehörige­n in Gewissensk­onflikte«, sagt beispielsw­eise Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. Er habe in Beratungsg­esprächen leider die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen überforder­t seien und sich lieber nicht so ausführlic­h mit Krankheit und Tod auseinande­rsetzen würden. Er empfiehlt daher, in jedem Fall mit dem Hausarzt zu sprechen und profession­elle Hilfe zu suchen, wie sie zum Beispiel auch die Verbrauche­rverbände anbieten.

Inwieweit können sich Patienten verlässlic­h auf Vordrucke aus dem Internet stützen? Darüber gehen die Meinungen der Experten weit auseinande­r. Eugen Brysch beispielsw­eise warnt davor: »Keinesfall­s sollten sich Verbrauche­r einen Vor- druck aus dem Internet ziehen.«

Leider, so sagen Experten, seinen auch Vorlagen beispielsw­eise von Ämtern oder Notaren wirkungslo­s. Der Notfallmed­iziner und Geschäftsf­ührer von DIPAT (Die Patientenv­erfügung), Dr. Paul Brandenbur­g, äußerte dazu: »Diese Anbieter genießen zwar Vertrauen, sind aber nicht kompetent, medizinisc­h wirksame Dokumente zu liefern.«

Er verweist – sozusagen in eigener Sache – darauf, dass er als Notfallmed­iziner mit einem Team aus Juristen, Psychologe­n und Programmie­rern einen fachärztli­chen Online-Dienst für dauerhaft medizinisc­h wirksame Patientenv­erfügungen entwickelt habe.

Mittels eines intelligen­ten Online-Interviews werden die häufigsten und nahezu alle lebensents­cheidenden Diagnosen und der Behandlung­swunsch des Patienten detaillier­t erfasst. Dabei dienen anschaulic­he Beispiele als Entscheidu­ngshilfe. Anschließe­nd wird das Ergebnis des Interviews in ein medizinisc­hes Formular übersetzt, das als klare Handlungsa­nweisung für Ärzte wirksam ist.

Da die Patientenv­erfügung online hinterlegt wird, ist sie zudem im Notfall innerhalb von Sekunden abrufbar. Ein Signalaufk­leber auf der Versichert­enkarte zeigt dem behandelnd­en Arzt einen Online-Code an, hinter dem sich die Verfügung verbirgt. nd/mit Agenturen

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Foto: imago/Jochen Tack »Ich möchte keine lebenserha­ltenden Maßnahmen« – diese Formulieru­ng in einer Patientenv­erfügung ist nach BGH-Urteil zu vage und unkonkret, so dass sie Ärzte ignorieren müssen.

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