Patientenverfügung muss konkret sein
Aus einem am 9. August 2016 veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (Az. XII ZB 61/16) geht hervor, dass eine Patientenverfügung konkret sein muss und Ärzte vage Formulierungen ignorieren müssen. Aufgrund dieses Urteils können Millionen Patientenverfügungen womöglich unwirksam sein.
Den nd-ratgeber hat daraufhin eine Fülle von Leserfragen erreicht. Der Tenor: eine totale Verunsicherung. So schrieb beispielsweise Heidegund W. aus Dresden: »Ich bin nach dem BGHUrteil total verunsichert, ob meine Patientenverfügung in der jetzigen Form noch gültig sein wird. Es war zu hören, dass Ankreuzformulare unzureichend sein sollen.«
Was genau ist eine Patientenverfügung? In einer Patientenverfügung können Menschen festlegen, wie lange und wie sie am Ende ihres Lebens behandelt werden wollen. Seit 2009 sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, im Vorhinein schriftlich festzulegen, ob und wie man in bestimmten Situationen vom Arzt behandelt werden möchte. Um die Auslegung zu erleichtern, können in der Patientenverfügung auch persönliche Hinweise stehen, zum Beispiel zu den eigenen Wertvorstellungen oder zu religiösen Fragen. Der Arzt ist daran gebunden. Wer möchte, kann die Durchsetzung einer Person übertragen, der er vertraut. Das alles ist freiwillig. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz geht davon aus, dass inzwischen jeder Dritte in Deutschland eine Patientenverfügung hat.
Wann gibt es in der Praxis Probleme? Immer dann, wenn die Patientenverfügung im Ernstfall keine eindeutigen Antworten gibt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnt beispielsweise vor Formulierungen wie »Wenn keine Aussicht mehr auf ein sinnvolles Leben besteht ...« oder »... will ich nicht an Schläuchen hängen« oder »... soll man mich in Ruhe sterben lassen«.
Was hat der Bundesgerichtshof nun konkret entschieden? Dem BGH ist die Formulierung »lebensverlängernde Maßnahmen« nicht konkret genug. Nach Auffassung der BGH-Richter lässt sich daraus weder eine bestimmte Behandlung ableiten noch der Wunsch zu sterben. In solchen Situationen wird herauszufinden versucht, was der Patient wohl »mutmaßlich« gewollt hätte.
Der Patientenwunsch muss also möglichst konkret sein. Nur zu sagen, dass »keine lebenserhaltenden Maßnahmen« gewünscht sind, reicht zum Beispiel nicht aus. Sie ist zu vage und damit medizinisch ungenau. Die Richter raten, konkrete Situationen und ärztliche Maßnahmen in der Patientenverfügung zu benennen. Denn bindend seien die Festlegungen nur dann, wenn einzelne ärztliche Maßnahmen genannt oder Krankheiten und Behandlungssituationen klar genug beschrieben würden.
Worum ging es im verhandelten Fall vor dem BGH? Mit der Entscheidung geht ein Streit unter drei Töchtern über den richtigen Umgang mit der pflegebedürftigen Mutter weiter. Die 1941 geborene Frau wird seit einem Hirnschlag über eine Magensonde ernährt und kann nicht mehr sprechen.
In gleich zwei Patientenverfügungen hatte sich die Frau für den Fall eines schweren Gehirnschadens gegen »lebensverlängernde Maßnahmen« ausgesprochen und einer ihrer Töchter die Vollmacht zur Durchsetzung erteilt. Diese Tochter war der Ansicht, dass ein Ende der künstlichen Ernährung nicht dem Willen der Mutter entsprach. Ihre beiden Schwestern sahen das anders.
Nach Auffassung des BGH lässt sich aus den Verfügungen kein Sterbewunsch ableiten.
Das Landgericht im badenwürttembergischen Mosbach, das zunächst eine der Schwestern als Betreuerin eingesetzt hatte, muss den Fall nun noch einmal prüfen. Dabei geht es vor allem darum, ob die Patientin in der Vergangenheit vielleicht Dinge gesagt hat, die auf einen Sterbewunsch hindeuten.
Welche Folgen ergeben sich für Patienten aus dem Urteil? Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz ist das Urteil ein »Weckruf« an Millionen Menschen, ihre Patientenverfügungen auf Allgemeinplätze abzuklopfen. Experten gehen davon aus, dass etwa drei Viertel aller Patientenverfügungen aufgrund des aktuellen BGH-Urteils unwirksam sind.
»Je genauer ich meine Patientenverfügung formuliert habe, desto weniger stürze ich meine Angehörigen in Gewissenskonflikte«, sagt beispielsweise Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Er habe in Beratungsgesprächen leider die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen überfordert seien und sich lieber nicht so ausführlich mit Krankheit und Tod auseinandersetzen würden. Er empfiehlt daher, in jedem Fall mit dem Hausarzt zu sprechen und professionelle Hilfe zu suchen, wie sie zum Beispiel auch die Verbraucherverbände anbieten.
Inwieweit können sich Patienten verlässlich auf Vordrucke aus dem Internet stützen? Darüber gehen die Meinungen der Experten weit auseinander. Eugen Brysch beispielsweise warnt davor: »Keinesfalls sollten sich Verbraucher einen Vor- druck aus dem Internet ziehen.«
Leider, so sagen Experten, seinen auch Vorlagen beispielsweise von Ämtern oder Notaren wirkungslos. Der Notfallmediziner und Geschäftsführer von DIPAT (Die Patientenverfügung), Dr. Paul Brandenburg, äußerte dazu: »Diese Anbieter genießen zwar Vertrauen, sind aber nicht kompetent, medizinisch wirksame Dokumente zu liefern.«
Er verweist – sozusagen in eigener Sache – darauf, dass er als Notfallmediziner mit einem Team aus Juristen, Psychologen und Programmierern einen fachärztlichen Online-Dienst für dauerhaft medizinisch wirksame Patientenverfügungen entwickelt habe.
Mittels eines intelligenten Online-Interviews werden die häufigsten und nahezu alle lebensentscheidenden Diagnosen und der Behandlungswunsch des Patienten detailliert erfasst. Dabei dienen anschauliche Beispiele als Entscheidungshilfe. Anschließend wird das Ergebnis des Interviews in ein medizinisches Formular übersetzt, das als klare Handlungsanweisung für Ärzte wirksam ist.
Da die Patientenverfügung online hinterlegt wird, ist sie zudem im Notfall innerhalb von Sekunden abrufbar. Ein Signalaufkleber auf der Versichertenkarte zeigt dem behandelnden Arzt einen Online-Code an, hinter dem sich die Verfügung verbirgt. nd/mit Agenturen