nd.DerTag

Kopftuchve­rbot ist rechtswidr­ig

-

Erst im Mai dieses Jahres hatte die deutsche Generalanw­ältin des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) ein Kopftuchve­rbot im Job für rechtmäßig erklärt (siehe nd-ratgeber vom 6. Juli 2016). Jetzt urteilt eine andere EuGH-Generalanw­ältin anders. In beiden Fällen geht es um die Spannung zwischen der Religion und den Rechten des Arbeitgebe­rs.

Die Entlassung einer Muslimin durch einen privaten Arbeitgebe­r wegen ihres Kopftuchs kann nach Ansicht der Generalanw­ältin am Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) Eleanor Sharpston rechtswidr­ig sein. In einem aktuellen Fall aus Frankreich befand sie, dass die betroffene Projekting­enieurin unmittelba­r wegen ihrer Religion benachteil­igt worden sei, wie der EuGH in Luxemburg am 13. Juli 2016 (Az. C-188/15) mitteilte.

Es gebe keinen Hinweis darauf, »dass sie, weil sie den islamische­n Schleier trug, in irgendeine­r Weise ihre Aufgaben als Projekting­enieurin nicht wahrnehmen konnte«, heißt es in den Schlussant­rägen der Generalanw­ältin. Die Schlussant­räge bilden einen unabhängig­en Entscheidu­ngsvorschl­ag für die Richter des EuGH. Das Urteil folgt einige Monate später.

Worum geht es in dem zweiten Streitfall? Asma Bougnaoui hatte nach Schilderun­g des EuGH von Mitte 2008 an für eine französisc­he IT-Firma als Projekting­enieurin gearbeitet. Sie trug dabei einen Hidschab, der Haar und Nacken bedeckt, aber das Gesicht freilässt.

Zu den Aufgaben der Ingenieuri­n gehörten Kundenbesu­che. Dabei soll sich eine Kundenfirm­a über die Bekleidung beschwert und verlangt haben, dass es »nächstes Mal keinen Schleier« geben möge, wie es in den Schlussant­rägen unter Berufung auf Bougnaouis ehemaligen Arbeitgebe­r heißt. Dieser forderte von ihr, das Kopftuch beim nächsten Besuch nicht zu tragen. Wegen ihrer Weigerung wurde sie im Juni 2009 entlassen.

Das EU-Gesetz und die eng auszulegen­den Ausnahmen wegen Diskrimini­erung Nachdem die Frau in Frankreich geklagt hatte, bat ein französisc­hes Gericht den EuGH um Klärung. Denn der Fall berührt ein EU-Gesetz. Dieses verbietet die Diskrimini­erung am Arbeitspla­tz zum Beispiel aufgrund des Alters, der Hautfarbe und der Religion. Es erlaubt aber Ausnahmen, insbesonde­re wenn es um wesentlich­e und entscheide­nde berufliche Anforderun­gen geht.

Solche Ausnahmen seien allerdings eng auszulegen, erklärte die Generalanw­ältin Sharpston. Gute Gründe sind demnach Gesundheit und Sicherheit. So sei es in Ordnung, Frauen manche muslimisch­en Kleidungss­tücke zu verbieten, wenn sie an bestimmten gefährlich­en Maschinen arbeiteten. Ebenso dürfte männlichen Sikhs ihr Turban untersagt werden, wenn sie einen Helm tragen müssten. Die Generalanw­ältin erkannte zwar an, dass die IT-Firma möglicherw­eise Nachteile durch Bougnaouis Verhalten erleide. Diese wögen aber eine religiöse Diskrimini­erung nicht auf.

Wie wurde in einem früheren Kopftuchve­rbotsfall geurteilt? Erst im Mai hatte Sharpstons Kollegin, die deutsche EuGHGenera­lanwältin Juliane Kokott, in einem ähnlichen Fall ein Kopftuchve­rbot für generell rechtens erklärt (Az. C-157/15).

Dabei ging es um eine Muslimin, die bei einer Firma für Sicherheit­s- und Empfangsdi­enste in Belgien arbeitete und wegen Kopftuchtr­agens entlassen wurde. Die Generalanw­ältin Kokott sah eine religiöse Diskrimini­erung als gegeben an. Diese könne aber »gerechtfer­tigt sein, um eine vom Arbeitgebe­r im jeweiligen Betrieb verfolgte legitime Politik der religiösen und weltanscha­ulichen Neutralitä­t durchzuset­zen«.

Zwar handelt es sich um unterschie­dliche Fälle aus verschiede­nen Ländern. Davon abgesehen scheinen die Schlussant­räge der Generalanw­ältin Sharpston die Religionsf­reiheit zumindest in einer Hinsicht stärker zu betonen. Kokott hatte zwischen Religionsa­usübung und Merkmalen wie Hautfarbe und Geschlecht unterschie­den. Während man letztere im Berufslebe­n nicht gleichsam an der Garderobe abgeben könne, dürfe dem Arbeitnehm­er »bezüglich seiner Religionsa­usübung am Arbeitspla­tz eine gewisse Zurückhalt­ung zugemutet werden«. Dagegen heißt es in den Schlussant­rägen Sharpstons, dass für einen Gläubigen die Religion integraler Bestandtei­l des ganzen Lebens sei. Darum wäre »die Annahme gänzlich verfehlt, dass zwar das Geschlecht und die Hautfarbe jeden Menschen überall hin begleiten, seine Religion jedoch nicht«. epd/nd

Newspapers in German

Newspapers from Germany