nd.DerTag

Verbrannt unter Polizeiauf­sicht

Der Feuertod des Flüchtling­s Oury Jalloh wird nach elf Jahren erneut untersucht

- Nd

Berlin. Am 7. Januar 2005 ist der Flüchtling Oury Jalloh in einer Polizeizel­le in Dessau verbrannt. Er war an Händen und Füßen gefesselt. Ermittler und Gerichte gehen bis heute davon aus, dass der Asylsuchen­de das Feuer selbst gelegt hat. Doch das hält die Nebenklage ebenso wie die »Initiative im Gedenken an Oury Jalloh« für unmöglich. Nicht nur, weil Jalloh gefesselt war. Er habe auch gar kein Feuerzeug gehabt. Aktivisten gaben bereits vor Jahren eigene Gutachten in Auftrag, und der Brandsachv­erständige Maksim Smirnou aus Irland kam im November 2013 zu dem Ergebnis: Jalloh konnte das Feuer nicht selbst le- gen. Vermutlich sei er mit Benzin übergossen worden. Heute – mehr als elf Jahre nach dem Tod des Flüchtling­s – findet ein neuer Brandversu­ch im sächsische­n Dippoldisw­alde statt. Der Sachverstä­ndige Kurt Zollinger vom Forensisch­en Institut Zürich wird den Brand noch einmal nachstelle­n. Kritiker bezweifeln allerdings, dass der Versuch Klarheit bringt. Offenbar gehe es der Behörde darum, die Annahme zu widerlegen, für ein Feuer dieses Ausmaßes sei Brandbesch­leuniger erforderli­ch, sagt Thomas Ndindah von der Initiative.

Dass so viele Spekulatio­nen keimen, liegt auch daran, dass die Polizisten als Zeugen in den Prozessen sagten, sie könnten sich nicht mehr erinnern. Der Vorsitzend­e Richter des ersten Prozesses zog das empörte Fazit: Ein rechtsstaa­tliches Verfahren sei wegen der Schweigema­uer auf der Seite der Polizei unmöglich gewesen.

Der Einzige, der bislang juristisch zur Verantwort­ung gezogen wurde, ist der damalige Dienstgrup­penleiter. Der Polizist hatte zugegeben, mindestens zweimal einen Alarm ausgeschal­tet zu haben. Das Landgerich­t Magdeburg verurteilt­e den Beamten im Dezember 2012 wegen fahrlässig­er Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro.

Beim Gedenken an Oury Jalloh gehen eine bundesweit­e Initiative und Engagierte in Dessau getrennte Wege. Stein des Anstoßes ist nicht zuletzt eine Parole.

Es gibt keine Tafel, noch immer nicht. An der Fassade des grauen Gebäudes in der Dessauer Wolfgangst­raße wird darauf hingewiese­n, dass hier die Polizei eine Dienststel­le unterhält. An das grausame Geschehen am Mittag des 7. Januar 2005 wird mit keinem Wort erinnert. In einer Zelle im Keller des Gebäudes verbrannte damals der Flüchtling Oury Jalloh, den Polizisten am Morgen, wie es heißt, in »Gewahrsam« genommen hatten. Ein Tod in der Obhut des Staates; ein Tod, der bis heute nicht zufriedens­tellend geklärt ist und an den gerade deshalb erinnert werden müsste, sagt Marco Steckel. Aber dazu, ergänzt der Opferberat­er am Multikultu­rellen Zentrum, brauche man einen »authentisc­hen Ort«. Zum Beispiel eine Tafel an der Polizeiwac­he. Steckel hat viel versucht, damit sie angebracht wird. Vergeblich.

Es ist, man muss es leider sagen, nicht das einzige Indiz dafür, dass die Erinnerung an Jallohs Tod in Dessau immer weniger gepflegt wird. Dabei hat gerade Steckel viel dafür getan. Der 44-Jährige, der einst Juso-Chef in Sachsen-Anhalt war und für die SPD im Landtag saß, hatte just im Januar 2005 die Stelle als Opferberat­er übernommen. »Oury Jalloh war mein erster Fall«, sagt er – einer, den er rein formal gar nicht hätte übernehmen dürfen. Schließlic­h gab es kein Opfer, das ihn um Beratung und Betreuung hätte bitten können. Stattdesse­n: ein Toter, verbrannt unter dubiosen Umständen in einer Polizeizel­le. Afrikaner in Deutschlan­d waren schockiert, viele Dessauer erschütter­t. Steckel sorgte, gemeinsam mit Jallohs Freund Mouctar Bah, für eine Trauerfeie­r; später organisier­te er, weil Ermittlung­sbehörden mauerten, eine öffentlich­e Anhörung, bei der Rechtsanwä­lte über die Umstände des Todes berichtete­n. Titel der Veranstalt­ung: »Chronologi­e einer Menschenve­rbrennung«. Stellen, von denen die Opferberat­ung gefördert wurde, waren nicht begeistert.

Trotzdem tauchte Steckels Name immer wieder auf, wenn es um Oury Jalloh ging. Als der erste Prozess am Landgerich­t Dessau begann, fertigte er gemeinsam mit Steffen Andersch vom »Projekt Gegenpart« in Dessau Protokolle der Sitzungsta­ge an – immerhin 59. Die Texte sind bis heute im Netz nachzulese­n, bis hin zum empörten Fazit des Vorsitzend­en Richters, ein rechtsstaa­tliches Verfahren sei wegen der Schweigema­uer auf der Seite der Polizei unmöglich gewesen. Vom zweiten Prozess in Magdeburg gibt es solche Dokumente nicht.

Zugleich organisier­te Steckel in der Stadt in Sachsen-Anhalt das öffentlich­e Gedenken. Alljährlic­h am Jahrestag des Todes versammelt­en sich Menschen vor der Wache; manchmal wurden kurze Texte vorgelesen, stets Blumen niedergele­gt. Neben Vertretern des Multikultu­rellen Zentrums kamen Mitglieder einer deutsch-afrikanisc­hen Initiative, vom Bündnis gegen Rechts, vom Migrantenr­at. Und zunehmend auch von offizielle­n Stellen: Oberbürger­meister, Stadträte – sowie Vertreter von Polizei und der Staatsanwa­ltschaft.

Nicht zuletzt die Auftritte von Vertretern der Ermittlung­sbehörden indes stießen bei der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« auf scharfe Kritik. Diese lud ebenfalls an jedem 7. Januar zu Demonstrat­ionen nach Dessau – und gab dort lautstark und wütend zu Protokoll, wie sie den Fall bewertete. »Oury Jalloh – das war Mord« lautete die Parole – eine Anschuldig­ung, die betroffene Behörden zeitweise aggressiv zu unterbin- den suchten. 2012 machte die Polizei Jagd auf entspreche­nde Transparen­te; Mouctar Bah als Anmelder wurde krankenhau­sreif geprügelt.

In Dessau hat man sich die Parole indes nicht zu eigen gemacht. Zwar betont auch Steckel, dass er große Zweifel an der These der Ermittler hegt, der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh habe sich selbst angezündet: »Ich habe früher in der Psychiatri­e gearbeitet. Ich weiß, was es heißt, einen Menschen zu ›fixieren‹.«

Aber Steckel sagt auch, die Formulieru­ng vom Mord sei »in dieser Stadt nicht anschlussf­ähig«. Als Politiker habe er zum Kompromiss geraten; zur offenen Frage etwa, ob Dritte eine Rolle bei dem Tod gespielt hätten. Er hatte indes nicht den Eindruck, dass der Gedenkinit­iative an solch taktischem Verhalten gelegen sei. Sie antwortete auf die starre Haltung der Ermittler mit dem Beharren auf ihrer Überzeugun­g, Jallohs Tod sei von Polizisten verschulde­t. Dass Vertreter der Behörden beim Gedenken vor der Wache zugegen waren, sei, wie es Mouctar Bah im Januar 2013 formuliert­e, »eine Farce«.

An jenem Januartag gab es beim Gedenken in Dessau einen Bruch, der bis heute nicht verheilt ist. Auf den Stufen der Polizeiwac­he kam es zum Eklat: zu handgreifl­ichen Übergriffe­n von Vertretern der Gedenkinit­iative, die einer Pfarrerin einen Strauß Blumen ins Gesicht und Steckel einen Gegenstand auf den Kopf schlugen: einen Bilderrahm­en mit Jallohs Porträt. »Da ist eine Grenze überschrit­ten worden«, sagt Steckel: »Das hat viel zerstört.« Das jährliche Gedenken gibt es noch immer. So viel Resonanz wie vor 2013 aber erfährt es nicht mehr.

Der Opferberat­er hatte seither einen Strich unter das Thema gezogen – wozu auch beitrug, dass die juristisch­e Aufarbeitu­ng seit einem Spruch des Bundesgeri­chtshofs von 2014 abgeschlos­sen schien. Dass nun ein erneuter Brandversu­ch stattfinde­n soll, hat ihn überrascht. Dass die offenen Fragen dadurch geklärt werden, kann er nicht glauben; zu groß sind die Differenze­n zwischen dem, was die Ermittler als gegeben voraussetz­en, und dem, was die Nebenklage annimmt.

Bei aller Kontrovers­e hätten die Gedenkinit­iative und die Aktivisten in Dessau ein gemeinsame­s Anliegen, sagt Steckel: »Wir wollen Aufklärung, Gerechtigk­eit und Entschädig­ung.« Und wie steht es darum, elf Jahre, sieben Monate und 13 Tage nach Jallohs Tod? »Wir wissen so viel oder so wenig wie damals«, sagt Steckel. Aufklärung? Bislang ausgeblieb­en. Gerechtigk­eit? Entschädig­ung? »Ebenfalls nein.« Und wenn der Versuch in Dippoldisw­alde zeigt, dass beim Feuer nachgeholf­en wurde? Dann, sagt er, »bräuchte man einen Täter«. Gesucht werden müsste der bei der Dessauer Polizei, die bisher nicht einmal eine Tafel für Jalloh übrig hatte.

Die Formulieru­ng vom »Mord« an Oury Jalloh sei in Dessau »nicht anschlussf­ähig«, sagt der Opferberat­er.

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Foto: dpa/Jens Wolf Gedenken an den Flüchtling Oury Jalloh in Dessau
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Foto: imago / Future Image / M. Golejewski Manche Aktivisten sind seit Jahren überzeugt, dass Oury Jalloh ermordet wurde.

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