Ankara empört sich – und verbietet Zeitung
Auf unolympischer Rekordjagd: Türkei jetzt das Land mit den meisten inhaftierten Journalisten
Während sich das offizielle Ankara entrüstet gibt über wenig schmeichelhafte Beurteilungen der Türkei aus Berlin, wird der Repressionskurs zu Hause ungebremst fortgesetzt. Die unerwartet realistischen Töne aus deutschen Ministerien über die Verwicklung des türkischen Staates in den Aufbau dschihadistischer Terrorgruppierungen im Nahen Osten haben die türkische Regierung zu einer harschen Reaktion veranlasst. AFP zitiert aus einer Erklärung des türkischen Außenministeriums vom Mittwoch, in der es heißt, es sei »offensichtlich, dass gewisse politische Kreise, die für ihre Doppelmoral im Kampf gegen den Terrorismus bekannt sind«, für diese Anschuldigungen verantwortlich seien. Einer konkreten Antwort auf die Vorwürfe weicht das Ministerium indes aus.
Dafür setzt die Administration ihren Rachefeldzug ungeachtet aller Proteste fort – mit einer besonders zynischen Note: Weil die Gefängnisse offenbar überfüllt sind mit »Putschisten« und Menschen, die willkürlich zu deren Unterstützern erklärt werden, kommen ganze Tätergruppen, die schon vor Juli einsaßen, jetzt frei: Betrüger, Einbrecher, Diebe ... Ausgenommen sind Mörder, Drogenhändler und »Terroristen«.
Am Dienstag traf Ankaras Bannstrahl die Istanbuler Zeitung »Özgür Gündem«. Sie ist nun verboten, zahlreiche Redakteure wurden verhaftet. Die Gesetzlosigkeit des Ausnahmezustandes lässt jede Willkür zu. Begründung diesmal: Terrorpropaganda. Wenn schon der Verdacht, Anhänger des Predigers Fethullah Gülen zu sein, heute in der Türkei für eine Inhaftierung ausreicht – die Anschuldigung, »den Terrorismus« unterstützt zu haben, tut es erst recht. Dafür genügt in der Türkei, der als Mitglied der »Wertegemeinschaft NATO« von dieser Rechtsstaatlichkeit attestiert wird, der Vorwurf, Sprachrohr der Arbeiterpartei Kurdistans zu sein –
das Totschlagargument für türkische Behörden, wenn man sonst nichts juristisch Verwertbares in der Hand hat. Auch das 8. Kammergericht von Istanbul zog sich auf diesen Standardvorwurf zurück und drehte die juristische Grundregel offenbar um: Nicht das Gericht musste die Schuld, sondern der Angeklagte seine Unschuld beweisen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen schreibt, dass seit dem Putschversuch Mitte Juli die Türkei zum Land mit den meisten inhaftierten Journalisten geworden ist.
Das einzige, was diesbezüglich relativierend zum Verständnis der türkischen Regierung von Pressefreiheit gesagt werden kann, ist wohl, dass sich Vorgängerkabinette ähnlich rabiat gegenüber kurdischen Publikationen auf- führten. Die »Freie Agenda«, wie die Tageszeitung »Özgür Gündem« auf Deutsch heißt, erleidet die Unfreiheit seit über 20 Jahren immer wieder. Schon ein halbes Dutzend mal verboten, kam sie weiteren Restriktionen mehrfach durch Umbenennung zuvor. Chefredakteur Zana Kaya bittet jetzt international um Solidarität. Man darf gespannt sein, wie weit die Courage der Bundesregierung reicht.