Ein Feuer ohne Zündquelle
Die Staatsanwaltschaft lässt einen weiteren Brandversuch zum Tod von Oury Jalloh durchführen. Doch die Gedenkinitiative bezweifelt die Grundannahme der Ermittler
Mit einem erneuten Brandversuch wollen Dessaus Ermittler klären, wie Oury Jalloh in einer Zelle verbrennen konnte. Kritiker sprechen bereits vor dem Versuch von einer PR-Maßnahme. Am 25. April 2008 wurden Journalisten in Heyrothsberge Zeugen eines beklemmenden Versuchs. Im Feuerwehrinstitut Sachsen-Anhalt hielt der Brandsachverständige Klaus Steinbach ein Feuerzeug an eine aufgerissene Matratze. Auf ihr lag eine Puppe. Sie stellte Oury Jalloh dar, einen 21-jährigen Asylbewerber aus Sierra Leone, der gut drei Jahre zuvor in der Gewahrsamszelle 5 des Polizeireviers Dessau verbrannt war. Das Experiment in einem Nachbau der Zelle war Teil eines Prozesses gegen zwei dort tätige Polizisten am Landgericht Dessau. Es schien die These der Anklage zu bestätigen, wonach Jalloh das Feuer selbst entzündet habe. Vier Monate später wurden beide Beamte freigesprochen.
An diesem Donnerstag gibt es wieder einmal einen Brandversuch. Die Staatsanwaltschaft Dessau hat den Forensiker Kurt Zollinger aus Zürich damit beauftragt. 15 Medienvertreter wurden als Beobachter zugelassen. Sie wurden diesmal in das Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde bestellt. Der Nachbau der Zelle in Heyrothsberge ist längst zerlegt. Die Demontage erfolgte indes voreilig. Die Umstände von Jallohs Tod sind noch immer nicht geklärt – obwohl es neben dem Brandversuch vom April 2008 etwa ein halbes Dutzend weitere gab.
Die Experimente fanden teils wäh- rend des Prozesses in Dessau statt, der allein 59 Verhandlungstage dauerte; teils während einer 66 Tage langen Verhandlung in Magdeburg, die notwendig wurde, nachdem der Bundesgerichtshof 2010 das erste Urteil aufgehoben hatte. Daneben gab es Versuche, die im Jahr 2013 von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« bei dem irischen Sachverständigen Maksim Smirnou in Auftrag gegeben worden waren. Zu dem Zeit- punkt hatte das Magdeburger Gericht den einzigen noch angeklagten Polizisten zu einer Geldstrafe verurteilt – wegen fahrlässiger Tötung. Dass Jalloh den Brand selbst verursachte, wurde erneut vorausgesetzt.
Ob das allerdings wirklich so war und überhaupt so sein konnte, ist zwischen Ermittlern und Gerichten auf der einen sowie der Initiative und der Nebenklage auf der anderen Seite heftig umstritten. Letztere sind überzeugt, dass Jalloh »von dritter Hand« zu Tode gebracht wurde, wie es Anwältin Gabriele Heinecke formuliert. Sie beruft sich auf Erkenntnisse Smirnous, wonach es physikalisch betrachtet »völlig unmöglich« sei, dass der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh das Feuer selbst entzündet habe. Die Brandspuren deuteten zudem darauf hin, dass Brandbeschleuniger zum Einsatz kam – auch wenn später keine Reste nachgewiesen wurden. Der gravierendste Einwand gegen die Annahme der Ermittler sei freilich, dass Jalloh gar kein Feuerzeug gehabt habe. Die verschmorten Reste eines drei Tage nach dem Brand aufgetauchten Feuerzeugs stammen, davon ist die Initiative nach Spurenanalysen etwa aus dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg überzeugt, nicht aus Zelle 5. »Wenn das Feuerzeug aber nicht dort war«, sagt Thomas Ndindah von der Initiative, »dann hatte Oury Jalloh kein Zündmittel.« Die grundlegende These von der Selbstentzündung sei hinfällig. Zur Frage, ob andere – sprich: Polizisten – das Feuer ausgelöst haben, gebe es aber keine Ermittlungen. Das sei »der Kern des Problems und ein Skandal«, sagt Gabriele Heinecke.
Zu vermuten ist, dass auch Zollingers Versuch daran nichts ändern wird; Genaueres weiß man aber nicht. Die Staatsanwaltschaft in Dessau hält sich zu Fragestellung und Versuchsanordnung bedeckt. Die Nebenklage kritisierte das scharf, ebenso wie die mangelnde Kooperation mit deren eigenen Gutachtern und die einseitige Festlegung des Termins, die es Angehörigen Jallohs unmöglich macht, nach Dippoldiswalde zu kommen.
Die Initiative vermutet hinter dem erneuten Versuch deshalb auch eher unlautere Motive. Offenbar gehe es der Behörde im Kern darum, die Annahme zu widerlegen, für ein Feuer dieses Ausmaßes sei Brandbeschleuniger erforderlich, sagt Ndindah. Er spricht sarkastisch von einer »Transparenzoffensive« der Staatsanwälte, die »mediale Deutungshoheit« zurückerlangen wollten. Drei Vertreter der Gedenkinitiative werden bei dem Versuch anwesend sein.
Die grundlegende Frage, ob Jalloh das Feuer überhaupt entzünden konnte, ist nach wie vor völlig umstritten.