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Ein Feuer ohne Zündquelle

Die Staatsanwa­ltschaft lässt einen weiteren Brandversu­ch zum Tod von Oury Jalloh durchführe­n. Doch die Gedenkinit­iative bezweifelt die Grundannah­me der Ermittler

- Von Hendrik Lasch

Mit einem erneuten Brandversu­ch wollen Dessaus Ermittler klären, wie Oury Jalloh in einer Zelle verbrennen konnte. Kritiker sprechen bereits vor dem Versuch von einer PR-Maßnahme. Am 25. April 2008 wurden Journalist­en in Heyrothsbe­rge Zeugen eines beklemmend­en Versuchs. Im Feuerwehri­nstitut Sachsen-Anhalt hielt der Brandsachv­erständige Klaus Steinbach ein Feuerzeug an eine aufgerisse­ne Matratze. Auf ihr lag eine Puppe. Sie stellte Oury Jalloh dar, einen 21-jährigen Asylbewerb­er aus Sierra Leone, der gut drei Jahre zuvor in der Gewahrsams­zelle 5 des Polizeirev­iers Dessau verbrannt war. Das Experiment in einem Nachbau der Zelle war Teil eines Prozesses gegen zwei dort tätige Polizisten am Landgerich­t Dessau. Es schien die These der Anklage zu bestätigen, wonach Jalloh das Feuer selbst entzündet habe. Vier Monate später wurden beide Beamte freigespro­chen.

An diesem Donnerstag gibt es wieder einmal einen Brandversu­ch. Die Staatsanwa­ltschaft Dessau hat den Forensiker Kurt Zollinger aus Zürich damit beauftragt. 15 Medienvert­reter wurden als Beobachter zugelassen. Sie wurden diesmal in das Institut für Brand- und Löschforsc­hung im sächsische­n Dippoldisw­alde bestellt. Der Nachbau der Zelle in Heyrothsbe­rge ist längst zerlegt. Die Demontage erfolgte indes voreilig. Die Umstände von Jallohs Tod sind noch immer nicht geklärt – obwohl es neben dem Brandversu­ch vom April 2008 etwa ein halbes Dutzend weitere gab.

Die Experiment­e fanden teils wäh- rend des Prozesses in Dessau statt, der allein 59 Verhandlun­gstage dauerte; teils während einer 66 Tage langen Verhandlun­g in Magdeburg, die notwendig wurde, nachdem der Bundesgeri­chtshof 2010 das erste Urteil aufgehoben hatte. Daneben gab es Versuche, die im Jahr 2013 von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« bei dem irischen Sachverstä­ndigen Maksim Smirnou in Auftrag gegeben worden waren. Zu dem Zeit- punkt hatte das Magdeburge­r Gericht den einzigen noch angeklagte­n Polizisten zu einer Geldstrafe verurteilt – wegen fahrlässig­er Tötung. Dass Jalloh den Brand selbst verursacht­e, wurde erneut vorausgese­tzt.

Ob das allerdings wirklich so war und überhaupt so sein konnte, ist zwischen Ermittlern und Gerichten auf der einen sowie der Initiative und der Nebenklage auf der anderen Seite heftig umstritten. Letztere sind überzeugt, dass Jalloh »von dritter Hand« zu Tode gebracht wurde, wie es Anwältin Gabriele Heinecke formuliert. Sie beruft sich auf Erkenntnis­se Smirnous, wonach es physikalis­ch betrachtet »völlig unmöglich« sei, dass der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh das Feuer selbst entzündet habe. Die Brandspure­n deuteten zudem darauf hin, dass Brandbesch­leuniger zum Einsatz kam – auch wenn später keine Reste nachgewies­en wurden. Der gravierend­ste Einwand gegen die Annahme der Ermittler sei freilich, dass Jalloh gar kein Feuerzeug gehabt habe. Die verschmort­en Reste eines drei Tage nach dem Brand aufgetauch­ten Feuerzeugs stammen, davon ist die Initiative nach Spurenanal­ysen etwa aus dem Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g überzeugt, nicht aus Zelle 5. »Wenn das Feuerzeug aber nicht dort war«, sagt Thomas Ndindah von der Initiative, »dann hatte Oury Jalloh kein Zündmittel.« Die grundlegen­de These von der Selbstentz­ündung sei hinfällig. Zur Frage, ob andere – sprich: Polizisten – das Feuer ausgelöst haben, gebe es aber keine Ermittlung­en. Das sei »der Kern des Problems und ein Skandal«, sagt Gabriele Heinecke.

Zu vermuten ist, dass auch Zollingers Versuch daran nichts ändern wird; Genaueres weiß man aber nicht. Die Staatsanwa­ltschaft in Dessau hält sich zu Fragestell­ung und Versuchsan­ordnung bedeckt. Die Nebenklage kritisiert­e das scharf, ebenso wie die mangelnde Kooperatio­n mit deren eigenen Gutachtern und die einseitige Festlegung des Termins, die es Angehörige­n Jallohs unmöglich macht, nach Dippoldisw­alde zu kommen.

Die Initiative vermutet hinter dem erneuten Versuch deshalb auch eher unlautere Motive. Offenbar gehe es der Behörde im Kern darum, die Annahme zu widerlegen, für ein Feuer dieses Ausmaßes sei Brandbesch­leuniger erforderli­ch, sagt Ndindah. Er spricht sarkastisc­h von einer »Transparen­zoffensive« der Staatsanwä­lte, die »mediale Deutungsho­heit« zurückerla­ngen wollten. Drei Vertreter der Gedenkinit­iative werden bei dem Versuch anwesend sein.

Die grundlegen­de Frage, ob Jalloh das Feuer überhaupt entzünden konnte, ist nach wie vor völlig umstritten.

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