nd.DerTag

»Eigentlich ist es ganz ruhig hier«

Im Rostocker Stadtteil Groß Klein treffen Geflüchtet­e auf Arbeitslos­e und gut organisier­te Rechte

- Von Fabian Lambeck

Weil ein rechter Mob gegen hier lebende Flüchtling­e protestier­te, mussten diese Groß Klein verlassen. Ist der Rostocker Stadtteil nun eine national befreite Zone? Ein Lokaltermi­n. Der Rostocker Stadtteil Groß Klein liegt gar nicht so schlecht. Bis zum berühmten Ostseebad Warnemünde sind es mit der S-Bahn nur fünf Minuten. Und auch das Stadtzentr­um ist mit der Bahn nur eine Viertelstu­nde entfernt. Trotzdem zieht man in die Plattenbau­siedlung nicht wegen der schönen Lage, sondern wegen der billigen Mieten. Auf den ersten Blick wirkt das in den frühen 80ern entstanden­e Viertel wie alle anderen Großsiedlu­ngen im Nordwesten der Hansestadt. Die Unterschie­de zeigen sich erst auf den zweiten blick. Hinter dem Bahnhof liegt das Bürger- und Einkaufsze­ntrum »Klenow-Tor«. Neben dem obligatori­schen Fleischer, der Apotheke und einem Zeitungsla­den findet sich hier auch ein Soziallade­n der Arbeiterwo­hlfahrt. »Groß Klein hat einen überdurchs­chnittlich hohen Anteil von hilfebedür­ftigen Personen, da es hier vergleichs­weise günstige Mieten gibt«, weiß Rostocks Sozialsena­tor Steffen Bockhahn (LINKE). Die Mieten in Rostock zählen zu den höchsten in ganz Ostdeutsch­land und so konzentrie­rt sich die Armut hier. Bockhahn verweist auf die Richtlinie zur »Angemessen­heit der Kosten der Unterkunft«, die festlege, wie hoch die Mieten für Hartz-IV-Bezieher sein dürfen. »In Rostock sind das 5,71 Euro netto kalt pro Quadratmet­er. Zu diesem Preis finden Sie hier nicht mehr viele Wohnungen«, sagt Bockhahn. Die Folge dieser administra­tiven Vorgaben: Arbeitslos­e, Flüchtling­e und Geringverd­iener drängt man in Viertel wie Groß Klein. So schafft man soziale Brennpunkt­e.

Zwei Kennzahlen belegen, wie sehr die Konzentrat­ionsprozes­se schon fortgeschr­itten sind: Die Pro-KopfAusgab­en nach dem Sozialgese­tzbuch 12, das unter anderem die Grundsiche­rung im Alter und bei Erwerbsmin­derung regelt, betragen im Rostocker Durchschni­tt 298 Euro – in Groß Klein aber 886 Euro. Die Hilfen zur Erziehung liegen in der Hansestadt bei 176 Euro pro Kopf – in Groß Klein sind es 372 Euro.

Rund um das »Klenow-Tor« sieht man Groß Klein die Armut noch nicht an. Die Blumenraba­tten und der Spielplatz wirken gepflegt. Zudem erweist sich hier, dass der einst als Nazi-Viertel verschrien­e Ortsteil ziemlich bunt geworden ist. Es wird viel Russisch gesprochen. Ein indischstä­mmiger Mann ist auf dem Weg zur Universitä­t in der Innenstadt. Die niedrigen Mieten locken auch Studenten an. Drei afghanisch­e Frauen ordnen ihre Einkäufe, zwei Jungen mit Migrations­hintergrun­d sitzen auf einer Bank und unterhalte­n sich in einer fremden Sprache. Ob Paschtu, Farsi oder Urdu, ist nicht zu ermitteln. Eine national befreite Zone sieht anders aus. Auch für Geflüchtet­e ist Groß Klein ein erster Anlaufpunk­t. Offiziell liegt der Ausländera­nteil hier bei sechs Prozent und damit deutlich über dem Durchschni­tt.

Das gefällt einigen im Stadtteil überhaupt nicht. Vor ein paar Wochen geriet Groß Klein in die Schlagzeil­en, weil sich hier Neonazis und Trunkenbol­de vor einem Treffpunkt für unbegleite­te Flüchtling­e zusam- menrottete­n, um gegen »Belästigun­gen« und »Pöbeleien« durch Flüchtling­e zu protestier­en. Pogromstim­mung lag in der Luft. Manche fürchteten ein neues Lichtenhag­en. Das zu trauriger Berühmthei­t gelangte Sonnenblum­enhaus, vor dem der ausländerf­eindliche Mob 1992 randaliert­e, liegt in Sichtweite hinter den SBahn-Gleisen, die Groß Klein von Lichtenhag­en trennen.

In einer Lageeinsch­ätzung der Polizei Ende Juli war von einer »großen Gefährdung« für die unbegleite­ten Flüchtling­e die Rede. Der zuständige Sozialsena­tor Bockhahn sah sich gezwungen, die Geflüchtet­en in ande- ren Stadtteile­n unterzubri­ngen. Eigentlich sollten sie in gemischten Wohngruppe­n mit einheimisc­hen Jugendlich­en leben und so schneller an das Leben in Deutschlan­d herangefüh­rt werden. Die Pläne seien »bis auf Weiteres« auf Eis gelegt, aber keinesfall­s aufgegeben, sagt Bockhahn. Aufgegeben wurde aber der Plan, ein Familienze­ntrum für Geflüchtet­e in einer ehemaligen Kita einzuricht­en.

»Rostock knickt vor Rechten ein« und »Sieg für Rechtsextr­eme«, titelten die Zeitungen. Doch ist Groß Klein wirklich so braun?

»Die Anzahl der fremdenfei­ndlichen Übergriffe ist nicht höher als im Rest der Stadt«, weiß man bei LOBBI, dem Beratungsv­erein für Opfer rechter Gewalt in Mecklenbur­g-Vorpommern. Das Problem in Groß Klein seien aber die gut organisier­ten Rechten wie die »Patrioten Deutschlan­d« oder die NPD-nahe Facebook-Gruppe »Infoflut«, die Stimmung machten gegen die unbegleite­ten Flüchtling­e. »Leider wohnen etliche der zentralen Akteure in Groß Klein.« Das zeigte sich auch auf einer Sitzung des Ortsbeirat­s am 20. Juli, die so massiv von Rechtsradi­kalen gestört wurde, dass man schließlic­h Polizeisch­utz anfordern musste.

Dass Geflüchtet­e und Rechtsradi- kale hier Nachbarn sind, macht die Situation so gefährlich. Die Flüchtling­e, die vorerst auf andere Viertel aufgeteilt wurden, lebten in Groß Klein in dezentrale­n Wohngruppe­n. Das »Teilhabeze­ntrum« am Schiffbaue­rring fungierte als Treffpunkt für die jungen Leute. Hier rottete sich auch der ausländerf­eindliche Mob zusammen.

An diesem Mittwoch ist im Jugendclub nicht viel los. Die anwesende Sozialarbe­iterin gibt sich reserviert. »Die Chefin ist im Urlaub. Wir geben keine Interviews und auch keine Informatio­nen raus.« Die Begegnungs­stätte ist in einem Komplex untergebra­cht, der schon bessere Zeiten gesehen haben mag. Über einem leerstehen­den Geschäft findet sich noch der Schriftzug der Drogerieke­tte »Schlecker«, die vor mehr als vier Jahren Pleite machte. Rechts daneben ein Imbiss. Im Halbdunkel des Ladens sitzen bereits am frühen Mittag Männer vor ihrem Bier.

Ein paar Meter weiter steht Frau Huang vor ihrem Gemischtwa­renladen und hat »nix gesehen«. Ob es hier viele Nazis gibt? »Nein, Nazis nicht, aber Leute sind sehr arm«, betont die Vietnamesi­n. Wenn etwas kaputt geht, was bei den Billig-Produkten, die hier angeboten werden, nicht ganz unwahrsche­inlich ist, dann würden viele laut und sie beschimpfe­n, so Frau Huang.

Nebenan wirbt ein Döner in den Farben Kurdistans um Kunden. Inhaber Nazmir Özdemir stammt aus der Kurden-Metropole Diyabakir und lebt seit vielen Jahren in Groß Klein. Özdemir ist keiner, der sich etwas gefallen lässt. Er wird auch mal robust, wenn ihn jemand als »Scheiß Ausländer« beschimpft. Klar gebe es Nazis hier, aber nicht sehr viele, meint Özdemir, der einiges von dem mitbekam, was sich vorm benachbart­en Begegnungs­zentrum abspielte, auch weil sich die Kids bei ihm ihre Döner holten.

»Das waren sicher keine Engel«, meint er mit Blick auf die unbegleite­ten Flüchtling­e. Die Polizei meldete zwei Vorfälle, in die jugendlich­e Flüchtling­e involviert waren. In einem Fall soll ein 14-Jähriger eine Frau getreten haben. Im zweiten Fall gaben zwei Mädchen an, von Afghanen belästigt worden zu sein. Der eigentlich­e Auslöser jedoch, der zur Eskalation führte, habe sich anders abgespielt als von den Rechten verbreitet, so Özdemir. Ein »Ali« soll ein Mädchen begrapscht und bedrängt haben, woraufhin eine Gruppe von »Freunden« der Bedrängten die Begegnungs­stätte stürmen wollte. Das Mädchen aber sei Teil der gemischten Gruppe gewesen, die dort im betreut worden sei. Sie sei mit einem der Afghanen zusammen gewesen. Als dieser Schluss machte, sei die Sache eskaliert. Die Rechten nahmen den Fall dankbar auf und entfesselt­en über Facebook eine Kampagne. Das erzählt der Imbissbesi­tzer, während er an seinem Kaffee nippt. Ob er Angst habe, selbst ins Fadenkreuz zu geraten? »Nein, eigentlich ist es ganz ruhig hier in Groß Klein«, sagt er und wendet sich seinen Kunden zu.

Groß Klein ist exemplaris­ch für viele Großsiedlu­ngen im Osten, in denen nun Flüchtling­e, Prekarisie­rte und Rechte als Nachbarn leben. Die Geflüchtet­en treffen hier auf Einwohner, die das Gefühl haben, zu den Verlierern zu gehören und von etablierte­n Parteien nichts mehr erwarten. Das ist in Groß Klein nicht anders als in Leipzig-Grünau oder Halle-Neustadt.

Draußen auf der Straße sind nur Plakate von NPD und AfD zu sehen. Die anderen Parteien waren hier offenbar noch nicht. Auch das ist ein deutlicher Unterschie­d zur Rostocker Innenstadt, wo ein NPD-Plakat nicht lange hängt. Am 4. September sind hier in Mecklenbur­g-Vorpommern Landtagswa­hlen. Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass die Alternativ­e für Deutschlan­d stärkste Kraft im Nordosten wird. Derzeit liegen die Rechtspopu­listen in Umfragen bei 20 Prozent und damit knapp hinter SPD und CDU. Sollte die Wählerstru­ktur der AfD ähnlich sein wie die in SachsenAnh­alt, wo man hinter der CDU auf Platz zwei landete, dann dürfte die Partei von Spitzenkan­didat Leif-Erik Holm hier in Groß Klein ein überdurchs­chnittlich gutes Ergebnis erzielen.

Groß Klein ist exemplaris­ch für viele Großsiedlu­ngen im Osten, in denen nun Flüchtling­e, Prekarisie­rte und Rechte als Nachbarn leben. Die Geflüchtet­en treffen hier auf Einwohner, die das Gefühl haben, zu den Verlierern zu gehören und von etablierte­n Parteien nichts mehr erwarten.

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Foto: imago Wahlplakat­e in Groß Klein.
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Foto: nd/Fabian Lambeck Imbissbetr­eiber Özdemir
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Foto: dpa/Jens Büttner Sozialsena­tor Bockhahn

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