Ein Stück Rabta retour
Deutsche Firma soll Rohprodukte der libyschen Giftgas-Produktion entsorgen
Vor Jahrzehnten lieferte eine bundesdeutsche Firma eine C-WaffenFabrik an Libyen. Jetzt kommen heimlich Rohprodukte zurück. Sie sollen in Munster entsorgt werden. »Wir sind – wie man beim Militär sagt – combat ready.« Dass der Zivilist Frank Lorkowski den Begriff »gefechtsbereit« wählt, ist nachvollziehbar. Als einer der Geschäftsführer der 1997 gegründeten Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH, kurz GEKA, bereitet er gerade alles zur Übernahme von 500 Tonnen Material aus Libyen vor. Es handele sich, so Lorkowski im nd-Gespräch, »um Chemikalien, die von Libyen zu gewissen Zwecken gekauft wurden und die in die Liste 2 der Chemiewaffenkonvention fallen«.
Der Satz ist erklärungsbedürftig und führt in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Deutsche Ingenieure bauten für den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi eine Fabrik, in der chemische Waffen hergestellt wurden. Weil man diese Massenvernichtungsmittel nicht von ungefähr als »Atombombe kleiner Staaten« bezeichnete, war der Aufschrei groß, als die Welt erfuhr, dass 70 Kilometer von der libyschen Hauptstadt entfernt in Rabta die größte Giftgasfabrik der Nachkriegszeit arbeitet.
»Auschwitz in the Sand« titelte die »New York Times«. Der Skandal um den Export der Anlage sorgte insbesondere in Deutschland für politische Wellen, denn: Geliefert wurde die Fabrik von der Imhausen-Chemie. Dem Chef Jürgen Hippenstiel-Imhausen brachte das illegale Geschäft Millionengewinne und 1990 fünf Jahre Gefängnis ein.
Insbesondere die USA versuchten das Mögliche, um ein Ende der libyschen C-Waffenproduktion zu erzwingen. 2004 lenkte Gaddafi ein und trat dem Chemiewaffenabkommen bei. In Rabta sollten nun Arzneimittel hergestellt werden, versprach der Diktator. Die bereits angehäuften Bestände – in Rede standen 23 Tonnen Senfgas, also Waffen der Kategorie 1 – sollten unter Aufsicht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vernichtet werden. Gleiches war vorgesehen für die Zutaten, mit denen man den Nervenkampf- stoff Sarin herstellen wollte. Die bereits fertigen über 3000 Bombenhüllen vergrub man im Wüstensand.
Die Gefahr schien beerdigt. Die Weltöffentlichkeit beteiligte sich lieber an der Suche nach den nicht vorhandenen irakischen C-Waffen. Dann machten die Sicherung sowie die Vernichtung der syrischen Massenvernichtungsmittel Schlagzeilen. Immer gewärtig, dass sie in die Hände von Terroristen geraten könnten. Denn in Irak und Syrien toben Bürgerkriege.
Doch Mord und Totschlag herrschen auch in Libyen. Westliche Staa- ten, allen voran Frankreich, Großbritannien und dann auch die USA, unterstützten Rebellen – so lange, bis die Hatz auf Gaddafi für ihn tödlich endete und sämtliche Strukturen seines Staates zerstört waren.
Seltsamerweise fragte niemand nach dem Verbleib der libyschen CWaffen. Obwohl sich nicht nur unlenkbare Clans blutige Kämpfe liefern, sondern auch der Islamische Staat (IS) Fuß fasste in dem Gebiet, das einst Libyen war. Erst am 16. Juli 2016 wandte sich die vom Westen anerkannte neue Zentralregierung hil- fesuchend an die OPCW in Den Haag und unterrichtete »über die Beförderung aller verbleibenden chemischen Waffen Libyens in eine Lagerstätte im Norden des Landes«. Zugleich bat man um Unterstützung »zur beschleunigten Vernichtung der verbleibenden chemischen Waffen der Kategorie 2«. Man wolle, so die schwachen libyschen Autoritäten, »uneingeschränkt kooperieren«.
Der UN-Sicherheitsrat reagierte umgehend mit der Resolution 2298, denn »die Möglichkeit des Erwerbs chemischer Waffen in Libyen durch nichtstaatliche Akteure« stellte sich plötzlich als »Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« dar. Man sprach über Personal, Sachverstand, Ausrüstung, Finanzmittel und sonstige Hilfen.
So kommt die GEKA in Munster ins Spiel. Alleingesellschafter ist das Bundesministerium der Verteidigung. Eine Sprecherin bestätigte gegenüber »nd«, dass die Bundesregierung der OPCW Unterstützung bei der Vernichtung von rund 500 Tonnen toxischer Chemikalien angeboten habe. Doch stehe eine Entscheidung der OPWC noch aus.
Die GEKA hat im vergangenen Jahr chemische Substanzen aus syrischen Depots entsorgt, die zuvor auf einem US-Spezialschiff durch Hydrolyse entschärft worden waren. Natürlich sprechen sich solche Referenzen herum, zumal dann, wenn man im Zeit- und Kostenrahmen geblieben ist, sagt Geschäftsführer Frank Lorkowski. Doch er wollte bei der aktuell anstehenden Aufgabe »keine Analogie zu dem Syrien-Projekt« herstellen.
Logisch, anders als vor einem Jahr erfährt man nichts über die aktuelle Lagerung und den Transport der libyschen Fracht. Angeblich soll das Material von einem zivilen dänischen Schiff im Hafen von Misrata abgeholt und nach Bremen gebracht werden. Allerdings wird der Transport, der gut eine Woche dauern wird, frühestens Anfang September beginnen. Das Verteidigungsministerium betont, dass – anders als beim Syrien-Projekt – kein deutsches Kriegsschiff den Begleitschutz übernimmt. Das erledigt offenbar die dänische Marine selbst.
Insgesamt bleiben die Auskünfte vage. Auf die Frage, was genau transportiert wird, heißt es aus dem Verteidigungsministerium lediglich: »Bei den Chemikalien handelt es sich um sogenannte Vorläuferchemikalien, die für die Herstellung und Stabilisierung von Nerven- und Hautkampfstoffen bestimmt waren. Sie können nicht unmittelbar als Kampfstoff eingesetzt werden. In ihrem Gefährdungsgrad entsprechen die Chemikalien dem von Superbenzin.«
Superbenzin, also fast harmlos? Könnte man meinen, wäre da nicht die Zusatzinformation: »Weitere Angaben zum Transport sind derzeit aus Sicherheitsgründen nicht möglich.«
»Weitere Angaben zum Transport sind derzeit aus Sicherheitsgründen nicht möglich.« Das Verteidigungsministerium auf eine Anfrage von »nd«