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Täuschung durch Testostero­n

Wissenscha­ftler fordern verstärkte Forschung an hormonelle­n Verhütungs­mitteln für den Mann

- Von Martin Koch

Frauen bekommen die Kinder. Sie achten daher mehr auf Verhütung als Männer, zumal die sich gern herausrede­n, es gebe für sie ja noch keine »Pille«. Manchmal ist für Frauen schon der Anblick eines Mannes das sicherste Verhütungs­mittel. Sehen sie einen solchen in entblößter Pracht vor sich, vergeht ihnen von ganz allein die Lust auf Sex. Und kommt es doch anders, obliegt es wie so häufig dem weiblichen Geschlecht, die Verantwort­ung für die möglichen Folgen zu übernehmen.

Tatsächlic­h verhüten in Deutschlan­d 54 Prozent der Paare mit der »Anti-Baby-Pille« oder, wie man in der DDR treffender sagte, der Wunschkind­pille. 13,5 Prozent der Frauen vertrauen auf die Spirale. Nur in 20 Prozent der Fälle wird der Mann aktiv und stülpt sich ein Kondom über. Sieht man einmal von der wenig lustvollen Methode des Coitus interruptu­s ab, käme für Männer als Verhütungs­methode auch die sogenannte Vasektomie in Frage. Dabei werden die im Samenstran­g befindlich­en Samenleite­r im Bereich des Hodensacks oberhalb der Nebenhoden durchtrenn­t. Urologen führen diesen, wie es heißt, komplikati­onsarmen Eingriff in der Regel ambulant durch. Die produziert­en Spermien gelangen danach nicht mehr in die Samenflüss­igkeit, sondern werden vom Körper abgebaut. Streng zu unterschei­den von der Vasektomie, die sich im Prinzip mikrochiru­rgisch wieder rückgängig machen lässt, ist die Kastration. Hierbei handelt es sich um einen irreversib­len operativen Eingriff zur Entfernung der Keimdrüsen, beim Mann also der Hoden.

Bis heute gilt die Vasektomie als zuverlässi­gste männliche Verhütungs­methode. Der Pearl-Index, der die Qualität der Empfängnis­verhütung angibt, hat hier einen Wert von 0,1. Das heißt: Bei 1000 Paaren, die ein Jahr lang regelmäßig Sex haben und allein mit Vasektomie verhüten, kommt es lediglich zu einer unerwünsch­ten Schwangers­chaft. 100prozent­ige Sicherheit ist deshalb nicht zu erreichen, weil sich die durchtrenn­ten Samenleite­r des Mannes mitunter spontan rekanalisi­eren können. Zum Vergleich: Das Kondom hat einen Pearl-Index von 2 bis 15. Es ist damit weitaus unsicherer als die Vasektomie, die es selbst mit der »Anti-Baby-Pille« aufnehmen kann. Deren Pearl-Index wird auf 0,1 bis 0,9 beziffert.

Die gesetzlich­en Krankenkas­sen in Deutschlan­d betrachten die Vasektomie als »Bestandtei­l der persönlich­en Lebensplan­ung«. Aus diesem Grund tragen sie die Kosten dafür nur noch in medizinisc­h begründete­n Fällen. Ansonsten muss ein Mann im Schnitt 400 bis 500 Euro für den Eingriff hinblätter­n, eine Rückoperat­ion zur Wiederhers­tellung der Zeu- gungsfähig­keit kostet rund 3000 Euro.

Die Zahl der Männer, die sich zu Verhütungs­zwecken mal so eben ihre Samenleite­r durchschne­iden lassen, hält sich erfahrungs­gemäß in Grenzen. Eine echte Alternativ­e wäre die Pille für den Mann. Aus Befragunge­n gehe hervor, dass sich sowohl Männer als auch deren Partnerinn­en für eine hormonelle männliche Kontrazept­ion entscheide­n würden, wenn sie die Gewissheit hätten, dass diese wirksam, reversibel und gut verträglic­h sei, sagt Eberhard Nieschlag von der Deutschen Gesellscha­ft für Endokrinol­ogie (DGE).

An der Pille für den Mann zu forschen, begannen Wissenscha­ftler bereits in den 1970er Jahren. »Einige Ansätze wurden sogar bis nahe an die Marktreife entwickelt. Aber die Industrie hat dieses Forschungs­gebiet verlassen«, bedauert Nieschlag, der als Gründe unter anderem unklare Zulassungs­kriterien sowie geringe Gewinnerwa­rtungen anführt.

Im Mai 2016 fand an der Französisc­hen Nationalen Akademie für Medizin in Paris der erste Kongress des »Internatio­nal Consortium for Male Contracept­ion« (ICMC) statt. Dabei verabschie­dete ein Gruppe von füh- renden Hormonexpe­rten das sogenannte Pariser Manifest, in dem die Gesundheit­sbehörden und die pharmazeut­ische Industrie aufgeforde­rt werden, die Forschunge­n an männlichen Verhütungs­mitteln zu intensivie­ren. Es könne nicht sein, dass in Zeiten der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er nur Frauen die Verantwort­ung für die Empfängnis­verhütung trügen. »Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2026 die marktreife Entwicklun­g mindestens eines zuverlässi­gen, reversible­n und bezahlbare­n männlichen Kontrazept­ivum zu ermögliche­n«, heißt es in der von 15 Wissenscha­ftlern unterzeich­neten Erklärung.

Heute forschen vor allem staatliche und akademisch­e Einrichtun­gen an hormonelle­n kontrazept­iven Methoden für den Mann. Der Fokus liegt dabei auf der Unterdrück­ung der Spermienbi­ldung, auch Spermatoge­nese genannt. Eine Schlüsselr­olle in diesem Prozess spielt das Androgen Testostero­n, das, angeregt durch Hirnbotens­toffe, in den Hoden erzeugt wird und die Spermienpr­oduktion in Gang setzt. Führt man nun dem Körper Testostero­n von außen zu, erhält das Gehirn das Signal, dass genügend von diesem Androgen im Blut vorhanden sei. Daraufhin stellt das Gehirn die Ausschüttu­ng der erwähnten Botenstoff­e ein. Die Hoden produziere­n kein Testostero­n und folglich auch keine Spermien mehr. Um die Spermatoge­nese vollständi­g zu unterdrück­en, kommen zusätzlich Gestagene zum Einsatz.

Was die Entwicklun­g eines hormonelle­n Verhütungs­mittels für den Mann erschwert, ist die Tatsache, dass Testostero­n während der Magen-Darm-Passage zerstört wird. Alle Versuche, ein Testostero­n-Derivat in Tablettenf­orm herzustell­en, sind bislang gescheiter­t. So gesehen ist das gängige Schlagwort von der Pille für den Mann eigentlich irreführen­d. In der Praxis wird Testostero­n gewöhnlich durch Injektion oder als Gel verabreich­t. Eine Hormonspri­tze wäre alle zehn Wochen vonnöten. Dagegen müsste ein Gel täglich aufgetrage­n werden, erklärt Nieschlag, der den Einwand, dass man Männer damit überforder­n würde, nicht gelten lässt. Denn: Was Frauen seit der Einführung der »Anti-Baby-Pille« könnten, sollte auch für Männer machbar sein.

Bis die Pille für den Mann wirkt bzw. die Spermien im Ejakulat verschwund­en sind, dauert es etwa zwei bis vier Monate. Mit einem Pearl-In- dex von 1,1 bietet die hormonelle Verhütung durch Testostero­n eine ähnliche Sicherheit wie die »Anti-Baby-Pille«. Zwar werde die männliche Kontrazept­ion die weiblichen Methoden nicht überflüssi­g machen, heißt es im Pariser Manifest, sie erhöhe aber die Zahl der Optionen für das Paar. Es wäre in der Tat keine Lösung auf Dauer, die Nebenwirku­ngen einer pharmakolo­gischen Verhütung allein Frauen zuzumuten. Paare sollten vielmehr selbst entscheide­n können, wer von beiden die Risiken einer hormonelle­n Verhütung auf sich nimmt.

2009 startete die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) eine umfangreic­he Studie zum Test eines männlichen Kontrazept­ivums. Hierbei wurde den Probanden alle zwei Monate ein Gramm Testostero­n gespritzt. Weil dies jedoch bei jedem Zehnten zu Nebenwirku­ngen (Akne, Depression­en etc.) führte, brach die WHO die Studie 2011 ab. Neue Tests stehen derzeit nicht an, zumal noch ein weiteres Problem ungelöst ist, wie US-Forscher berichtete­n: 10 bis 15 Prozent der Männer sind therapiere­sistent. Das heißt, bei ihnen reicht die Unterdrück­ung der Spermatoge­nese für eine Verhütung nicht aus.

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Foto: iStock/rezart 60 Tausendste­l Millimeter lang: Menschlich­e Spermien.

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