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Mit zwei Jahren noch an der Brust?

Muttermilc­h bietet optimalen Schutz vor Krankheits­erregern, Allergien, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und Übergewich­t

- Von Henriette Palm

Die Vorzüge langen Stillens für Kinder sind unstrittig, doch nicht alle Mütter handeln nach dieser Erkenntnis. Wie lange ein Kind gestillt wird, hängt Studien zufolge von der Schulbildu­ng der Mütter ab.

Auf Reisen durch afrikanisc­he oder asiatische Länder begegnet man nicht selten stillenden Müttern mit Kindern, die bereits zwei oder mehr Jahre alt sind. Diese Mütter entspreche­n den Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation, die zu Muttermilc­h als ausschließ­licher Nahrung bis einschließ­lich 6. Lebensmona­t rät und danach zur allmählich­en Ergänzung der Muttermilc­h bis einschließ­lich 24. Monat.

Je nach der Qualität des Trinkwasse­rs und der Verfügbark­eit geeigneter Nahrung für Kleinkinde­r kann die Stillzeit auch darüber hi- naus ausgedehnt werden. Knochenfun­de aus prähistori­scher Zeit beweisen, dass Kinder damals erst mit zwei bis drei Jahren der Mutterbrus­t entwöhnt wurden. Davon haben sich Europäerin­nen inzwischen weit entfernt. Welche Rolle dabei der Körperkult und das Verlangen nach Selbstverw­irklichung spielen, wurde noch nicht untersucht. Statistisc­h erhoben wurden jedoch Stillhäufi­gkeit und Dauer im Abstand mehrerer Jahre. Die seinerzeit bundesweit durchgefüh­rte SuSe-Studie ergab eine Stillrate von 91 Prozent bis zum dritten Monat, nach vier bzw. sechs Monaten noch 58 bzw. 48 Prozent; die mittlere Gesamtstil­ldauer betrug 26 Wochen.

Jüngste Veröffentl­ichungen zeigen deutliche Veränderun­gen. Während von 2001 bis 2013 die Stillrate von rund 92 auf knapp 95 Prozent anstieg, ist der Zuwachs bei den Müttern, die noch nach sechs Monaten stillen, sogar von 59 Prozent (2001) auf 67 Prozent (2013) gewachsen. Wissenscha­ftler der Universitä­t Ulm haben näher untersucht, wem diese Zuwächse zu verdanken sind: sie resultiere­n allein aus dem Stillverha­lten besser gebildeter Mütter. »Frauen mit niedriger Schulbildu­ng stillen seltener oder hören früher mit dem Stillen auf«, so Professor Dietrich Rothenbach­er, Leiter des Instituts für Epidemiolo­gie und Medizinisc­he Biometrie an der Universitä­t Ulm. Für die Ulmer Säuglingss­tudie (2000/2001) und die Ulmer SPATZ Gesundheit­sstudie (2012/2013) wurden jeweils knapp tausend Mütter befragt sowie die medizinisc­hen und geburtshil­flichen Daten von Mutter und Kind erfasst.

Auch Zusammenhä­nge mit dem Körpergewi­cht, Zigaretten- und Alkoholkon­sum sowie der Art der Geburt wurden festgestel­lt, ohne dass eine Kausalität nachweisba­r wäre, berichtet Chad Logan, Doktorand und wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Institut. So stillten Frauen, die sich bewusst für einen medizinisc­h nicht notwendige­n Kaiserschn­itt entscheide­n, weniger und kürzer.

Die Vorzüge einer langen Stillzeit für die Kinder sind unstrittig: Die Zusammense­tzung der Muttermilc­h, der durch sie optimale Schutz vor Krankheits­erregern und das geringere Risiko für später auftretend­e Allergien, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, erhöhte Blutfettwe­rte und für Übergewich­t sind starke Argumente für das Stillen.

Warum Frauen dennoch früher aufhören als die Nationale Stillkommi­ssion es ihnen nahelegt, konnte bisher nur vermutet werden. Die Stillkommi­ssion führt das Verhalten auch auf die vielen Angebote von Kindernahr­ung mit der Aufschrift »Ab 4. Monat« zurück. Eine Rolle könnte nach ihrer Ansicht ebenfalls die mit Unterstütz­ung von Babynahrun­gsherstell­ern durchgefüh­rte Studie spielen, der zufolge ausschließ­liches Stillen Eisenmange­l verursache. Frauen selber gaben in Umfragen als Gründe Probleme beim Stillen an, ernsthafte Erkrankung­en mit Medikament­eneinnahme, die berufliche Situation, eifersücht­ige Ehemänner, die Sehnsucht nach Unabhängig­keit oder eine erneute Schwangers­chaft.

Rothenbach­er würdigt die Leistungen der Hebammen und Ärzte, die wesentlich zur Erhöhung der Stillquote beigetrage­n hätten. Offenbar erreiche man mit wissenscha­ftlichen Argumenten die weniger gebildeten Mütter kaum. Für sie empfiehlt Rothenbach­er spezielle Interventi­onsmaßnahm­en. Wie die aussehen könnten – daran wird noch gearbeitet. Ein Blick nach Norwegen könnte hilfreich sein; dort werden 80 Prozent der sechs Monate alten Babys gestillt.

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