Mit zwei Jahren noch an der Brust?
Muttermilch bietet optimalen Schutz vor Krankheitserregern, Allergien, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht
Die Vorzüge langen Stillens für Kinder sind unstrittig, doch nicht alle Mütter handeln nach dieser Erkenntnis. Wie lange ein Kind gestillt wird, hängt Studien zufolge von der Schulbildung der Mütter ab.
Auf Reisen durch afrikanische oder asiatische Länder begegnet man nicht selten stillenden Müttern mit Kindern, die bereits zwei oder mehr Jahre alt sind. Diese Mütter entsprechen den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, die zu Muttermilch als ausschließlicher Nahrung bis einschließlich 6. Lebensmonat rät und danach zur allmählichen Ergänzung der Muttermilch bis einschließlich 24. Monat.
Je nach der Qualität des Trinkwassers und der Verfügbarkeit geeigneter Nahrung für Kleinkinder kann die Stillzeit auch darüber hi- naus ausgedehnt werden. Knochenfunde aus prähistorischer Zeit beweisen, dass Kinder damals erst mit zwei bis drei Jahren der Mutterbrust entwöhnt wurden. Davon haben sich Europäerinnen inzwischen weit entfernt. Welche Rolle dabei der Körperkult und das Verlangen nach Selbstverwirklichung spielen, wurde noch nicht untersucht. Statistisch erhoben wurden jedoch Stillhäufigkeit und Dauer im Abstand mehrerer Jahre. Die seinerzeit bundesweit durchgeführte SuSe-Studie ergab eine Stillrate von 91 Prozent bis zum dritten Monat, nach vier bzw. sechs Monaten noch 58 bzw. 48 Prozent; die mittlere Gesamtstilldauer betrug 26 Wochen.
Jüngste Veröffentlichungen zeigen deutliche Veränderungen. Während von 2001 bis 2013 die Stillrate von rund 92 auf knapp 95 Prozent anstieg, ist der Zuwachs bei den Müttern, die noch nach sechs Monaten stillen, sogar von 59 Prozent (2001) auf 67 Prozent (2013) gewachsen. Wissenschaftler der Universität Ulm haben näher untersucht, wem diese Zuwächse zu verdanken sind: sie resultieren allein aus dem Stillverhalten besser gebildeter Mütter. »Frauen mit niedriger Schulbildung stillen seltener oder hören früher mit dem Stillen auf«, so Professor Dietrich Rothenbacher, Leiter des Instituts für Epidemiologie und Medizinische Biometrie an der Universität Ulm. Für die Ulmer Säuglingsstudie (2000/2001) und die Ulmer SPATZ Gesundheitsstudie (2012/2013) wurden jeweils knapp tausend Mütter befragt sowie die medizinischen und geburtshilflichen Daten von Mutter und Kind erfasst.
Auch Zusammenhänge mit dem Körpergewicht, Zigaretten- und Alkoholkonsum sowie der Art der Geburt wurden festgestellt, ohne dass eine Kausalität nachweisbar wäre, berichtet Chad Logan, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut. So stillten Frauen, die sich bewusst für einen medizinisch nicht notwendigen Kaiserschnitt entscheiden, weniger und kürzer.
Die Vorzüge einer langen Stillzeit für die Kinder sind unstrittig: Die Zusammensetzung der Muttermilch, der durch sie optimale Schutz vor Krankheitserregern und das geringere Risiko für später auftretende Allergien, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöhte Blutfettwerte und für Übergewicht sind starke Argumente für das Stillen.
Warum Frauen dennoch früher aufhören als die Nationale Stillkommission es ihnen nahelegt, konnte bisher nur vermutet werden. Die Stillkommission führt das Verhalten auch auf die vielen Angebote von Kindernahrung mit der Aufschrift »Ab 4. Monat« zurück. Eine Rolle könnte nach ihrer Ansicht ebenfalls die mit Unterstützung von Babynahrungsherstellern durchgeführte Studie spielen, der zufolge ausschließliches Stillen Eisenmangel verursache. Frauen selber gaben in Umfragen als Gründe Probleme beim Stillen an, ernsthafte Erkrankungen mit Medikamenteneinnahme, die berufliche Situation, eifersüchtige Ehemänner, die Sehnsucht nach Unabhängigkeit oder eine erneute Schwangerschaft.
Rothenbacher würdigt die Leistungen der Hebammen und Ärzte, die wesentlich zur Erhöhung der Stillquote beigetragen hätten. Offenbar erreiche man mit wissenschaftlichen Argumenten die weniger gebildeten Mütter kaum. Für sie empfiehlt Rothenbacher spezielle Interventionsmaßnahmen. Wie die aussehen könnten – daran wird noch gearbeitet. Ein Blick nach Norwegen könnte hilfreich sein; dort werden 80 Prozent der sechs Monate alten Babys gestillt.