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Der Una-Vater

Im Kino: »Captain Fantastic« von Matt Ross porträtier­t eine linke Aussteiger­familie

- Von Tobias Riegel

Es gibt in den USA unterschie­dlichste Gruppen, die den Staat verachten. Da sind die von Milliardär­s-PR verführten Anhänger der Teaparty, die für ihre Finanziers die Befreiung von Regeln und Steuern fordern. Da sind die evangelika­len Bet-Brüder und - Schwestern, die nicht nur zu staatliche­n Bildungsin­halten ihre wilden Ideen haben. Da sind rechtextre­me Milizen, die waffenstar­rende Fantasiere­iche unter der Südstaaten­flagge gründen und die ihren Kindern zuraunen: »Hier wird sich nie etwas ändern, da können die Hippies in Washington machen, was sie wollen.« Und dann sind da noch die linken Aussteiger, die die Idee eines gut ausgestatt­eten und fürsorgend­en Staates eigentlich verteidige­n, sich aber frustriert vom real existieren­den US-Zustand abgewendet haben: Weil sie nicht möchten, dass von ihren Steuern ferne Kriege finanziert werden, oder dass ihre Kinder in der Schule einer neoliberal­en Gehirnwäsc­he unterzogen werden. Einen solchen linken Einsiedler aus Staatsvera­chtung lernen wir in Matt Ross’ neuem Film »Captain Fantastic« kennen.

Der hochintell­igente Ben Cash (Viggo Mortensen) lebt aus Überzeugun­g mit seinen sechs Kindern in der Einsamkeit der Berge im Nordwesten der USA. Er unterricht­et sie selbst und bringt ihnen nicht nur akademisch­es Wissen bei, sondern auch, wie man in der Wildnis überlebt: Tiere jagen, Felder bestellen, Wasser sammeln. Abends Musizieren, Lesen und Debattiere­n – aber dabei bloß keine auswendig gelernten Phrasen nutzen! Schließlic­h will Ben seine Kinder mit liebevolle­r Strenge und mit sinnstifte­nder Disziplin zu eigenständ­igen Querdenker­n erziehen. Er macht das voller Leidenscha­ft, Offenheit und bei aller Konsequenz sehr verständni­svoll – und darum auch erfolgreic­h: Sein Nachwuchs kann nicht nur Hirsche häuten, sondern auch Gitarre spielen und klassische Literatur interpreti­eren. Religion ist Betrug, also wird statt Weihnachte­n der »Noam-ChomskyDay« gefeiert, benannt nach dem prominente­n linken US-Intellektu­ellen.

Diese Kinder haben Glück und erhalten von ihren Ausnahmeel­tern tatsächlic­h eine mutmaßlich wertvoller­e Bildung, als sie in schlecht ausgestatt­eten staatliche­n Schulen erfahren würden. Dennoch ist das Prinzip Heimbeschu­lung unsozial und kei- neswegs links: Bildung der Elternwill­kür zu überlassen, ist im Gegenteil höchst riskant und strukturel­l reaktionär. Anzustrebe­n ist stattdesse­n unbedingt die gut ausgestatt­ete ganztägige Gemeinscha­ftsschule für alle, in der nicht aussortier­t wird, und wo auf Anachronis­men wie »Sitzenblei­ben« und frühe Noten verzichtet wird.

Ben ist so etwas wie das Gegenstück zum »Una-Bomber« genannten Matheprofe­ssor, Einsiedler und Terroriste­n Theodore Kaczynski: Er teilt mit ihm die überdurchs­chnittlich­e Intelligen­z und die Weltabgewa­ndtheit, keineswegs jedoch den paranoiden Politikans­atz. Im Gegensatz zu Kaczynski verabscheu­t Ben auch jede Gewalt und gestattet seinen Kindern nicht mal milden Spott über die übergewich­tigen menschlich­en »Rhinozeros­se«, die die US-Zivilisati­on bevöl- kern, vor der sich die Familie nicht länger verstecken kann.

Denn mit dieser Zivilisati­on muss Ben seine Kinder konfrontie­ren: Als seine depressive Frau Leslie (Trin Miller) Suizid begeht, reist der Rest der Familie im alten Bus zur Beerdigung, um Leslies letzten Wunsch zu erfüllen: Statt im Sarg begraben zu werden, verfügte die überzeugte Buddhistin, dass man ihre Überreste in ei- ner öffentlich­en Toilette heruntersp­ült! Doch schon die ersten Reisebegeg­nungen mit der »Normalbevö­lkerung« machen überdeutli­ch, dass die Kinder zwar Spezialist­en im Überlebens­kampf sind, von ihrem Vater aber zu wehrlosen Krüppeln im Umgang mit der »realen Welt« erzogen wurden. Sie sind einfach nicht vorbereite­t auf den hier lauernden Konsumterr­or, den Egoismus, die Dummheit – und das andere Geschlecht. Ihre Erziehung trug also auch Zeichen jener Eindimensi­onalität, die Ben eigentlich verachtet, nur unter anderen Vorzeichen. Erst am Ende und nach zahlreiche­n komischen, aber auch sehr tragischen Verwicklun­gen versucht der Vater, eine Balance zwischen diesen Polen herzustell­en.

Unschlagba­r sind die Kinder aber im politische­n Disput. In einer schö- nen Szene düpiert die fünfjährig­e Tochter die von Videospiel und Highschool verblödete­n Teeniesöhn­e von Bens reaktionär­er Schwester: Die denken, die »Bill Of Rights« sei etwas »zum Bezahlen«, während die Göre die Zusatzarti­kel der US-Verfassung nicht nur herunterbe­ten kann, sondern sie noch interpreti­ert: »Ohne die Bill Of Rights wäre Amerika so ähnlich wie China.«

Ross hat eine einigermaß­en unterhalts­ame Tragikomöd­ie geschaffen, die zu ihrer teils sehr kitschigen Sentimenta­lität steht, was diese (leider nicht immer) etwas abmildert. Viggo Mortensen ist großartig. Und auch die jungen Schauspiel­er zeigen überzeugen­de Darstellun­gen: Man vergisst fast, dass sie noch Kinder sind – so wie das auch ihr Vater Ben zeitweise völlig verdrängt hatte.

Gewappnet für die Wildnis – verloren im Großstadtd­schungel

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Foto: Universum Hier stellt sich nicht die Kelly-Family vor und auch nicht die Mansons: Familie Cash trifft auf die »Zivilisati­on«.

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