Der Una-Vater
Im Kino: »Captain Fantastic« von Matt Ross porträtiert eine linke Aussteigerfamilie
Es gibt in den USA unterschiedlichste Gruppen, die den Staat verachten. Da sind die von Milliardärs-PR verführten Anhänger der Teaparty, die für ihre Finanziers die Befreiung von Regeln und Steuern fordern. Da sind die evangelikalen Bet-Brüder und - Schwestern, die nicht nur zu staatlichen Bildungsinhalten ihre wilden Ideen haben. Da sind rechtextreme Milizen, die waffenstarrende Fantasiereiche unter der Südstaatenflagge gründen und die ihren Kindern zuraunen: »Hier wird sich nie etwas ändern, da können die Hippies in Washington machen, was sie wollen.« Und dann sind da noch die linken Aussteiger, die die Idee eines gut ausgestatteten und fürsorgenden Staates eigentlich verteidigen, sich aber frustriert vom real existierenden US-Zustand abgewendet haben: Weil sie nicht möchten, dass von ihren Steuern ferne Kriege finanziert werden, oder dass ihre Kinder in der Schule einer neoliberalen Gehirnwäsche unterzogen werden. Einen solchen linken Einsiedler aus Staatsverachtung lernen wir in Matt Ross’ neuem Film »Captain Fantastic« kennen.
Der hochintelligente Ben Cash (Viggo Mortensen) lebt aus Überzeugung mit seinen sechs Kindern in der Einsamkeit der Berge im Nordwesten der USA. Er unterrichtet sie selbst und bringt ihnen nicht nur akademisches Wissen bei, sondern auch, wie man in der Wildnis überlebt: Tiere jagen, Felder bestellen, Wasser sammeln. Abends Musizieren, Lesen und Debattieren – aber dabei bloß keine auswendig gelernten Phrasen nutzen! Schließlich will Ben seine Kinder mit liebevoller Strenge und mit sinnstiftender Disziplin zu eigenständigen Querdenkern erziehen. Er macht das voller Leidenschaft, Offenheit und bei aller Konsequenz sehr verständnisvoll – und darum auch erfolgreich: Sein Nachwuchs kann nicht nur Hirsche häuten, sondern auch Gitarre spielen und klassische Literatur interpretieren. Religion ist Betrug, also wird statt Weihnachten der »Noam-ChomskyDay« gefeiert, benannt nach dem prominenten linken US-Intellektuellen.
Diese Kinder haben Glück und erhalten von ihren Ausnahmeeltern tatsächlich eine mutmaßlich wertvollere Bildung, als sie in schlecht ausgestatteten staatlichen Schulen erfahren würden. Dennoch ist das Prinzip Heimbeschulung unsozial und kei- neswegs links: Bildung der Elternwillkür zu überlassen, ist im Gegenteil höchst riskant und strukturell reaktionär. Anzustreben ist stattdessen unbedingt die gut ausgestattete ganztägige Gemeinschaftsschule für alle, in der nicht aussortiert wird, und wo auf Anachronismen wie »Sitzenbleiben« und frühe Noten verzichtet wird.
Ben ist so etwas wie das Gegenstück zum »Una-Bomber« genannten Matheprofessor, Einsiedler und Terroristen Theodore Kaczynski: Er teilt mit ihm die überdurchschnittliche Intelligenz und die Weltabgewandtheit, keineswegs jedoch den paranoiden Politikansatz. Im Gegensatz zu Kaczynski verabscheut Ben auch jede Gewalt und gestattet seinen Kindern nicht mal milden Spott über die übergewichtigen menschlichen »Rhinozerosse«, die die US-Zivilisation bevöl- kern, vor der sich die Familie nicht länger verstecken kann.
Denn mit dieser Zivilisation muss Ben seine Kinder konfrontieren: Als seine depressive Frau Leslie (Trin Miller) Suizid begeht, reist der Rest der Familie im alten Bus zur Beerdigung, um Leslies letzten Wunsch zu erfüllen: Statt im Sarg begraben zu werden, verfügte die überzeugte Buddhistin, dass man ihre Überreste in ei- ner öffentlichen Toilette herunterspült! Doch schon die ersten Reisebegegnungen mit der »Normalbevölkerung« machen überdeutlich, dass die Kinder zwar Spezialisten im Überlebenskampf sind, von ihrem Vater aber zu wehrlosen Krüppeln im Umgang mit der »realen Welt« erzogen wurden. Sie sind einfach nicht vorbereitet auf den hier lauernden Konsumterror, den Egoismus, die Dummheit – und das andere Geschlecht. Ihre Erziehung trug also auch Zeichen jener Eindimensionalität, die Ben eigentlich verachtet, nur unter anderen Vorzeichen. Erst am Ende und nach zahlreichen komischen, aber auch sehr tragischen Verwicklungen versucht der Vater, eine Balance zwischen diesen Polen herzustellen.
Unschlagbar sind die Kinder aber im politischen Disput. In einer schö- nen Szene düpiert die fünfjährige Tochter die von Videospiel und Highschool verblödeten Teeniesöhne von Bens reaktionärer Schwester: Die denken, die »Bill Of Rights« sei etwas »zum Bezahlen«, während die Göre die Zusatzartikel der US-Verfassung nicht nur herunterbeten kann, sondern sie noch interpretiert: »Ohne die Bill Of Rights wäre Amerika so ähnlich wie China.«
Ross hat eine einigermaßen unterhaltsame Tragikomödie geschaffen, die zu ihrer teils sehr kitschigen Sentimentalität steht, was diese (leider nicht immer) etwas abmildert. Viggo Mortensen ist großartig. Und auch die jungen Schauspieler zeigen überzeugende Darstellungen: Man vergisst fast, dass sie noch Kinder sind – so wie das auch ihr Vater Ben zeitweise völlig verdrängt hatte.
Gewappnet für die Wildnis – verloren im Großstadtdschungel