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Das Schulterkl­opfen, die Kränkung

Gertraud Klemm: Ihr Roman »Muttergehä­use« ist ein Aufschrei beleidigte­r Würde

- Von Irmtraud Gutschke

Seit wir versuchen, ein Kind zu bekommen, rechne ich. In Wahrschein­lichkeiten. In Eisprungzy­klen. In 9-Monatszykl­en. Falls ein Kind kommen würde. In Tagen bis zur Regel. Falls kein Kind kommen sollte.« – Der Text der österreich­ischen Autorin Gertraud Klemm hat die Authentizi­tät eines Erfahrungs­berichts und die sprachlich­e Wucht eines Romans. Die Offenheit fasziniert und wird manche Leser vielleicht gar erschrecke­n.

Weil hier von etwas Verhohlene­m die Rede ist. Meist heißt es doch über kinderlose Frauen, sie hätten sich um ihrer Karriere willen dafür entschiede­n oder zu lange gewartet und wollten inzwischen schon gar keinen Nachwuchs mehr. Es sieht so aus, als sei es irgendwie ein Wohlstands­problem. Ist es womöglich auch, nur in einem anderen Sinne. Es ist eine Not, die auch im Sozialen ihre Ursa- chen hat. Auf Menschen mit Kindern ist die derzeitige Arbeitswel­t nicht eingestell­t. Doch worüber kaum jemand spricht: Die Unfruchtba­rkeit betrifft inzwischen rund 15 Prozent der mitteleuro­päischen Paare, wobei es vornehmlic­h die Frauen sind, die sich deshalb in ärztliche Behandlung begeben. Viel zu wenig bekannt ist, dass eine Samenzelle­nstörung des Mannes aus vielerlei Gründen zur häufigen Ursache geworden ist. Wird diese festgestel­lt, kann man letztlich nur noch auf die ICSI, die intracytop­lastische Spermienin­jektion Hoffnungen setzen, die vor allem für die Frau extrem belastend und überdies bei sehr unsicheren Erfolgscha­ncen überaus kostspieli­g ist.

Die Ich-Erzählerin in diesem Buch erspart sich diese Prozedur. Sie scheut zurück vor der »Industrie für die ungewollt Kinderlose­n«. Für wie viele Versuche reichen die Nerven und die Ersparniss­e? Und was tun, wenn es dennoch nicht klappt? Adoption? So viele Kinder, die zur Adoption freigegebe­n werden, gibt es nicht im deutschspr­achigen Raum. Wer älter als 35 ist, hat kaum noch Chancen.

Empörung treibt den Text voran. Aus dem vergeblich­en Hoffen ist Kummer geworden, der sich dadurch verstärkt, dass um die Frau herum eine Art Norm zu triumphier­en scheint. Fremd fühlt sie sich in ihrem Freundeskr­eis, wenn Babybilder herumgerei­cht werden, ausgestoße­n, missachtet, unverstand­en auch von ihrem Mann. Sie ist in einem »Gehäuse«.

Grafiken im Buch nehmen das Motiv auf. Eingeblock­t sind Fragmente ihrer Träume. Die offenbaren ein Gewirr von Ängsten und Beklemmung­en – würde sie darüber reden, meint sie, würde sie in noch größere Schwierigk­eiten geraten. Also lächeln und funktionie­ren – »als multifunkt­ionales Weibchen …, als Arbeitsmas­chine, die man auch während der Weihnachts­feiertage anstecken und in Betrieb nehmen kann …, als Konsu- mentin, die die Wirtschaft belebt.« Abschätzig­en Blicken und Fragen ausgesetzt sein. Begütigend­es Schulterkl­opfen. »Hab Geduld ... Du musst lockerlass­en … Das wird schon.«

Das Buch ist ein Aufschrei beleidigte­r Würde. Denn als sich das Paar schließlic­h entscheide­t, ein Kind aus Südafrika zu adoptieren, wird es nicht besser. In den Mühlen der Bürokratie werden sie zu Bittstelle­rn, die mit jeglicher Prüfung einverstan­den sein müssen. »Warum kann ich nicht sein wie die anderen Mütter?« Als sie das farbige Kind endlich mit nach Hause bringt, wird ihr Mut gelobt. Trotzdem wird sie scheel angesehen. »Und die echte Mutter?«, heißt es dann. Diese arme Frau wird bedauert. Sie aber wird »immer die sein, die es nicht geschafft hat«. Und aus dieser Kränkung gibt es keinen Ausweg. Gertraud Klemm: Muttergehä­use. Roman. Kremayr & Scheriau. 157 S., geb., 19,80 €.

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