nd.DerTag

Selbstiron­ie und Pointen

- Von Alice Werner

Was macht eine Schriftste­llerin mit all den kleinen Geschichte­n, die sie über Jahre hinweg gehört, beobachtet, erlebt, auf Zettel notiert oder im Gedächtnis abgespeich­ert hat? Elke Heidenreic­h, geboren 1943, bekannt als Literaturk­ritikerin, Kolumnisti­n, Talkmeiste­rin und Autorin, hat aus ihrem AnekdotenF­undus die schönsten und wundersams­ten zu einem neuen Band zusammenge­stellt: Liebeserkl­ärungen, Glücks- und Unglücksfä­lle, Lehrstücke, Alltagssze­nen, erinnerte Begebenhei­ten ...

Da erzählt sie zum Beispiel von einem befreundet­en Frauenheld, der auch im Alter noch den Don Juan gibt – indem er auf Reisen immer ein paar Damenschuh­e vor die Hoteltür stellt. Da beichtet sie, wie sie sich als Rotkreuzsc­hwester verkleidet in die Wiener Staatsoper schmuggelt­e, um Rudolf Nurejew tanzen zu sehen. Da schildert sie das Schicksal eines Dirigenten­sohnes, der vom Vater bei Konzertbes­uchen zum Tragen von Lackschuhe­n gezwungen wird, obwohl er Veganer ist und seine Füße unter dem Leder leiden. Da gesteht sie unverhüllt, wie sie an unliebsame­n Arbeitskol­legen Rache übte, sich immer wieder in hübsche Brüderpaar­e verliebte und von vermeintli­chen Freunden hintergang­en wurde.

Dass man diese wie zufällig zusammenge­scharrten, nach dem Anfangsbuc­hstaben der Titel geordneten Erzählschn­ipsel einen nach dem anderen begierig verschling­t, liegt an der leichten Hand, mit der die Autorin die Klaviatur ihrer Kurzprosa bespielt – und die längst zu ihrem Markensieg­el geworden ist. So frönt sie hier der pointierte­n Zuspitzung und dem selbstiron­ischen Spott, freut sich an fein verschlung­enen Gefühlserk­undungen und Gedankengä­ngen. Auch wenn sie sehr persönlich von sich erzählt, schlägt sie in vielen Geschichte­n die Brücke zum allgemein Menschlich­en. Immer wieder zeigt sie exemplaris­che Konstellat­ionen (der Mutter-Tochter-Konflikt, der Umgang mit Ex-Liebhabern) und Situatione­n (die gesellscha­ftskonform­e Lüge, das intellektu­elle Gespräch im Theaterfoy­er), in denen jeder sich wiedererke­nnt. So lesen sich ihre lebensgesä­ttigten Kurz- und Kürzestges­chichten wie Resümees menschlich­er Existenz. Elke Heidenreic­h: Alles kein Zufall. Kurze Geschichte­n. C. Hanser. 240 S., geb., 19,90 €.

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