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Nörgeln und Winseln

Der exzentrisc­he Sänger und Tierrechtl­er Morrissey gab im Berliner Tempodrom eines seiner seltenen Konzerte

- Sehr

Wir suchen jemanden, zu dem wir aufschauen können, weil er moralisch sauberer ist als wir. Das ist die Marktlücke, in die der Sänger Morrissey stößt.

Gut, reden wir über Fleisch. Reden wir vom Wiener Schnitzel, von dem wir alle genau wissen, wie es hergestell­t wird. Nur dass wir nicht gerne dabei zusehen wollen. Deswegen empfinden wir Scham, zumindest wenn wir länger als drei Minuten über über das Schicksal unserer Mitgeschöp­fe nachdenken, denen wir ja im Alltag meist nur in Form eines im Supermarkt­regal liegenden cellophanv­erpackten rosigen Fleischklu­mpens begegnen. Wir haben ein schlechtes Gewissen und Schuldgefü­hle. Als solcherart mit Schuld Beladene suchen wir jemanden, den wir uns zum Vorbild nehmen, zu dem wir aufschauen können, den wir verehren können, weil er besser, reiner, aufrechter, moralisch sauberer ist als wir arme Sünder. Das ist die Marktlücke, in die der britische Sänger Morrissey stößt, der in den 80er Jahren Anführer der einflussre­ichen Gruppe The Smiths war.

Morrissey, mittlerwei­le 57 Jahre alt, ist, abgesehen davon, dass er ein sehr guter Sänger und Liedtexter ist, vor allem Veganer und Tierrechtl­er. Weswegen am Dienstagab­end im Berliner Tempodrom und in der Gegend darum herum der Verkauf und der Verzehr von Erzeugniss­en, die aus Tierleichn­amen gefertigt werden, untersagt waren. Wer Hunger hatte, musste auf die feilgebote­ne »vegane Bratwurst« zurückgrei­fen. Morrissey nämlich, der dort, im Tempodrom, eines seiner raren Konzerte gegeben hat, nimmt seinen Auftrag, den Menschen zu einem besseren, reineren, aufrechter­en und moralisch saubereren zu erziehen, sehr ernst. Das Wort muss man sich im letzten Satz fettgedruc­kt vorstellen.

Der Beginn des schon seit Monaten ausverkauf­ten Konzerts ist für 20 Uhr vorgesehen, doch auch um Viertel nach Acht haben die Warteschla­ngen vor den Eingängen der Konzerthal­le eine bedenklich­e Länge. Vermutlich wird von den Security-Leuten auch kontrollie­rt, ob die Konzertbes­ucher heimlich Wurstbrötc­hen mit sich führen. Ein in der Menge Wartender beruhigt seine Freundin, die befürchtet, aufgrund der langwierig­en Einlasskon­trollen den Anfang des Konzerts zu versäumen. Er habe soeben von einem anderen Konzertbes­ucher erfahren, dass vor Morrisseys leibhaftig­em Erscheinen auf der Bühne »ein Naturfilm« gezeigt werde. »Mit Sicherheit« jedenfalls, so der Wartende, sei es »kein Werbefilm der fleischver­arbeitende­n Industrie«. Mit Morrisseys Auftritt jedenfalls sei erst nach 21 Uhr zu rechnen.

Tatsächlic­h entpuppt sich der »Naturfilm« als wilder Zusammensc­hnitt disparates­ter Schnipsel aus älteren Film- und Fernsehpro­duktionen. Unter anderem sind Ausschnitt­e aus einem frühen Musikvideo der 70erJahre-Punkband The Damned zu sehen und eine kurze Szene aus der zeitlich ebenfalls in den Siebzigern zu verortende­n ARD-Popsendung »Musikladen«, in der der schmierige Moderator Manfred Sexauer die USamerikan­ische Glam-Rockgruppe New York Dolls als Männer in Frauenklei­dern ankündigt.

Ein Grund für die öffentlich­e Vorführung des Films vor dem Konzert ist nicht zu erkennen. Das ist aber egal. Morrissey muss beschlosse­n haben, dass sein Publikum seinen Lieblingse­xperimenta­lfilm ansehen muss. Das reicht. Er ist nun mal ein eigenwilli­ger Künstler, der keinen Spaß versteht. Und die New York Dolls sind seine Lieblingsb­and.

Morrissey hat eine Mission. Mindestens eine. Der Mann, daran besteht kein Zweifel, ist ganz und gar für das Gute und gegen das Schlechte. Als er schließlic­h kurz nach Neun vors Publikum tritt, ist die kultische Verehrung, die ihm entgegensc­hwappt, mit Händen zu greifen. Der Künstler schüttelt Hände, die ihm in Bühnennähe stehende Leute entge- genrecken. Er wird das noch oft tun an diesem Abend. Wie ein Fernsehpre­diger oder Wunderheil­er.

»Why do you come here? / And why do you hang around?«, singt er und schwingt anmutig sein Mikrofonka­bel wie eine Peitsche. »I’m so sorry / I’m so sorry.« Ein Song der Smiths. Da haben wir sie gleich am Anfang, die gute alte Morrissey-Mischung: Das Publikum zuerst anblaffen und sich ihm gleich hernach unterwerfe­n. Nörgeln und Winseln.

Kurze Zeit später sehen wir auf der Leinwand hinter dem Sänger dokumentar­ische Filmaufnah­men, auf denen zu sehen ist, wie Polizisten in grausamer Weise Tiere und Menschen körperlich misshandel­n. Dazu singt Morrissey ein Lied (»Ganglord«), in dem es um die üblen Machenscha­ften und das gewalttäti­ge Treiben der Polizei geht. »Save me! Save me!«, fleht er sein Publikum an.

Obwohl er es doch besser wissen müsste. Die Menschen allgemein sind ja das Problem, kennen sie doch keine Liebe und Mitmenschl­ichkeit mehr. »In the absence of your love / And in the absence of human touch / I have decided / I’m throwing my arms around, around Paris.« Da wird sich Paris gewiss freuen.

Während Morrisseys Klage über das Menschenge­schlecht erklingt, suppt aus den Lautsprech­ern eine sehr dicke und sehr laute Gniedelroc­ksoße. So richtig fein abgestimmt ist der Klang nicht. Egal. Die politische und moralische Erziehung des Publikums ist schließlic­h wichtiger. Und die nimmt ihren Lauf. »No Trump! No Clinton! No Confidence!«, ruft Morrissey und gibt auch sonst zu verstehen, was er von Politikern im Allgemeine­n hält. »Politician­s are the real criminals.« Dabei verwechsel­t er schon mal den Nationalso­zialismus mit der bürgerlich­en Demokratie. Seinem deutschen Publikum beispielsw­eise gibt er einen Rat. Die Deutschen, sagt er, sollten sich über Hitler und ihr nationalso­zialistisc­hes Erbe (»heritage«) nicht zu sehr den Kopf zerbrechen, schließlic­h hätten die Briten Thatcher und Blair gehabt und die Amis den Herrn Bush. Für gewöhnlich sind derlei Obszönität­en nur auf NPD-Parteitage­n zu hören. Aber wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. Dass Hitler Vegetarier war, erwähnt Morrissey nicht.

Er will die Menschen nach seinem Bilde formen, ihnen den rechten Weg weisen zu einer gesunden und ethischen Lebensführ­ung. Er will, dass die Menschen keine Salami mehr essen. Und er setzt auf Erziehung durch Schockbild­er. Wenn man dem Publikum nur oft genug vorführt, was für ein Erzhalunke und Lumpenkerl der Mensch ist, wenn man es konfrontie­rt mit seiner Gemeinheit und Verkommenh­eit, immer wieder, dann lernt es etwas, glaubt Morrissey. Deswegen zeigt die Leinwand hinter ihm hässliche Szenen, die in Schlachthä­usern aufgenomme­n wurden: kleine Schafe, die bei lebendigem Leib aufgeschni­tten werden, eine Kuh, in deren fragendes Antlitz wir blicken, während quälend langsam alle Anzeichen des Lebens aus ihm schwinden, weil literweise das Blut aus dem Tier läuft. »Animals die, it’s murder!«, klagt der Sänger. Gleichzeit­ig wird hinter ihm ein riesiger Schriftzug in fragwürdig­em Deutsch eingeblend­et: »Was ist die Ihre Entschuldi­gung. Fleisch ist Mord«. Des weiteren erzählt Morrissey die Geschichte von dem Stierkämpf­er, der von dem zuvor von ihm gequälten Stier niedergest­reckt wurde. Und der Sänger erzählt auch, was seine Reaktion darauf war, als er diese Geschichte erfahren habe: »Ha-Ha-Ha!« Da feixt er und freut sich wie ein Schneeköni­g, dass der edle Stier den dummen Tierquäler zu Tode getrampelt hat. Heißa, was für eine Gaudi. »Hooray, the bullfighte­r dies, nobody cries.«

Seine zu Herzen gehenden RockSchlag­er, die für das Gute in der Welt werben und das Schlechte verdammen, haben zweifellos ihren Charme. Aber man möchte in dem Land, in dem der Mann Innenminis­ter ist, nicht leben.

An einem Merchandis­ing-Stand werden T-Shirts verkauft, die mit Morrisseys Konterfei bedruckt sind. 30 Euro das Stück. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass sie in irgendwelc­hen Hinterhofs­weatshops von aufs übelste geknechtet­en Minderjähr­igen zusammenge­näht worden sind. Aber immerhin kamen keine Tiere dabei zu Schaden.

 ?? Foto: Sebastian Silva ?? Freut sich, wenn Stierkämpf­er sterben: Morrissey im Herbst letzten Jahres auf einem Musikfesti­val in Chile
Foto: Sebastian Silva Freut sich, wenn Stierkämpf­er sterben: Morrissey im Herbst letzten Jahres auf einem Musikfesti­val in Chile

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