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Das Glück des späten Sieges

Die Karriere war fast vorbei, doch Fabian Hambüchen gewann an ihrem Ende endlich Gold

- Von Maik Rosner, Barra

Nach dem perfekten Abschluss hat Fabian Hambüchen seinen Frieden mit der Olympiakar­riere gefunden. Den geschunden­en Körper kann er nun schonen und das Goldreck mit nach Hause nehmen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis Fabian Hambüchen überhaupt begriff, was da gerade passiert war. Zu überwältig­end, zu spektakulä­r und auch ein bisschen zu kitschig war sein Olympiasie­g geraten. Der letzte große Auftritt seiner internatio­nalen Karriere war diese Reckübung am Dienstagab­end in Rio de Janeiro gewesen. Nur drei Monate, nachdem ihm sein Körper signalisie­rt hatte, dass es wohl nichts werden würde mit der Teilnahme an den Spielen.

Mit ein klein wenig Abstand, nach dem ersten Überschwan­g der Gefühle, gelang erstmals so etwas wie eine Besinnung: »In solch einem Moment denkst du, du kannst noch 100 Jahre weiterturn­en. Doch das Erwachen morgen früh wird bestimmt nicht schmerzfre­i sein«, ahnte Hambüchen in einem Moment der Rückschau auf all die Leiden, die vor dem großen Glück gestanden hatten. »Wir haben viel erlebt, es ist ein toller Abschluss«, sagte sein Vater Wolfgang Hambüchen, der seinen Sohn schon im Alter von fünf Jahren trainierte hatte und ihn nun erstmals in einem Olympiafin­ale mit Sondergene­hmigung betreuen durfte. Ihm war Sohn Fabian im Moment als erstes um den Hals gefallen. Das war auch ein Ausdruck von Dankbarkei­t, vielleicht sogar für jene Ruhe, die der Vater ihm vor der entscheide­nden Reckübung mitgegeben hatte. »Ich habe ihm nur gesagt, er solle einfach spielen«, erzählte der Papa.

Hambüchen hatte seine Übung als Erster mit sehr viel Sicherheit vorgetrage­n. Nur ganz am Ende und nach einer eigentlich stabil wirkenden Landung leistete er sich einen kleinen Ausfallsch­ritt nach hinten. Doch seine 15,766 Punkte reichten zu Gold vor Danell Leyva aus den USA und dem Briten Nile Wilson. Auch weil der Niederländ­er und Hambüchen-Kumpel Epke Zonderland, Olympiasie­ger von 2012, trotz Handverlet­zung ins Risiko gegangen war, bei seiner Übung aber vom Reck stürzte.

Das Warten danach auf die Noten für der Konkurrent­en, erzählte Hambüchen, sei beinahe unerträgli­ch gewesen. Dass es mit Gold klappte, »im allerletzt­en Event, ist Wahnsinn. Ich habe als Kind davon geträumt, Olympiasie­ger zu werden. Das ist die Er- füllung dieses Traums.« Vor ihm war das am Reck nur Andreas Wecker 1996 in Atlanta gelungen. »So kann man definitiv abtreten«, sagte der 28Jährige aus Wetzlar und kündigte an, das Siegerreck von Rio kaufen zu wollen. »Das Reck muss ich einfach haben«, sagte er. Einen Tag später ist ihm schon zugesagt worden, dass er es geschenkt bekommen soll.

Für den erfolgreic­hsten deutschen Turner war der Dienstag der perfekte Abschluss seiner internatio­nalen Karriere, 13 Jahre nach seiner ersten Weltmeiste­rschaft und nach 27 internatio­nalen Medaillen. National hatte er gar 40 deutsche Meistertit­el angehäuft. Nun, nach dem letzten Abgang auf großer Bühne, erlebte er das Glück des späten Goldes, nach zuvor so vielen Finalniede­rlagen. Der olympische Medaillens­atz ist komplett. Vor vier Jahren in London hatte er Silber gewonnen, 2008 in Peking Bronze. Aufgefalle­n war er aber schon als 16-Jähriger bei seinen ersten Spielen 2004 in Athen. Durch seine beachtlich­e Qualifikat­ion für das Finale, aber auch durch seine Brille, die er dabei trug. Professor oder Harry Potter wurde er danach genannt. »Das war die geilste Zeit in unserem Leben«, sagte er nun über sich und seinen Vater. »Da machen wir jetzt einen Haken dran.

Noch vor wenigen Monaten sah es überhaupt nicht danach aus, dass Hambüchen in Rio seinen Frieden finden würde. Bei einem Trainingsu­nfall riss eine Sehne in der Schulter an, Hambüchen fürchtete schon das Karriereen­de. Die Sehne ist immer noch angerissen, sie operativ zu flicken, dafür reichte die Zeit vor Olympia nicht. Aber die Entzündung in den Griff bekommen, das war möglich. Es war die einzige Chance für seinen geschunden­en Körper, noch einmal Höchstleis­tungen vollbringe­n zu können. Dass es aber so gut klappt, hatte Hambüchen selbst nicht geglaubt. »Es hätte andersrum laufen müssen, Gold in Peking, Silber in London, und jetzt noch Bronze hinterher. Das wäre realistisc­h«, hatte er kurz vor Olympia in einem Interview gesagt. Nun wurde es ein spätes und etwas unwirklich­es Gold.

Hambüchen will seinen Körper jetzt schonen, aber noch nicht komplett aufhören. »Sicherlich wird man mich nicht von heute auf morgen ganz von den Geräten wegkriegen«, sagte er. Sein Sportstudi­um in Köln will er wieder intensivie­ren. Dort kann man ihn sicherlich auch gut gebrauchen. Viele Kommiliton­en haben schon mit einem Hüftaufsch­wung große Probleme.

 ?? Foto: dpa/How Hwee Young ?? Die Schulter hat gehalten – trotz gerissener Sehne. Fabian Hambüchen holte in Rio das lang ersehnte Olympiagol­d am Reck.
Foto: dpa/How Hwee Young Die Schulter hat gehalten – trotz gerissener Sehne. Fabian Hambüchen holte in Rio das lang ersehnte Olympiagol­d am Reck.

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