»Gewinnen macht gerade so viel Spaß«
Kristina Vogel siegt im Sprint, denkt schon an Tokio und kritisiert den dominierenden britischen Radsportverband
Die erste deutsche Olympiasiegerin im Sprint kommt aus Erfurt: Bahnradsportlerin Kristina Vogel feierte in Rio einen knappen und kuriosen Sieg. Anfang Oktober wird Kristina Vogel gemeinsam mit ihrem Freund Michael Seidenbrecher ihr Eigenheim beziehen. Dort kann sie nun zwei olympische Goldmedaillen an die Wand hängen: Am Dienstagabend krönte sie sich im Velodrom zur Sprintkönigin von Rio. »Und direkt neben die Medaillen kommt der Sattel. Ich bin die erste Rad-Olympiasiegerin ohne Sattel. Wahnsinn«, sagte die 25-jährige Erfurterin. Kurz nachdem sie ihr Rad im entscheidenden zweiten Lauf mit winzigen vier Tausendstel Vorsprung auf die Britin Rebecca James ins Ziel gerissen hatte, flog die schwarz-rot-goldene Sitzfläche davon. Bei über 60 Stundenkilometern konnte Vogel nur mühsam einen Sturz verhindern – der Rest war Jubel.
Als Erstes legte sich die 1,60 Meter große Frau mit den gewaltigen Oberschenkeln auf die Holzbahn und schüttelte fassungslos den Kopf. Dann drückte sie innig ihren Freund und ihre beste Freundin, die die erste deutsche Sprint-Olympiasiegerin der Geschichte in eine schwarz-rot-goldene Fahne hüllten. »Der Sprint ist die Königsdisziplin. Dieser Sieg macht mich so, so stolz. Wenn ich mir vorher eine Goldmedaille hätte aussuchen dürfen, hätte ich die genommen«. Die siebenmalige Weltmeisterin und London-Olympiasiegerin im Teamsprint war eigentlich mit dem Ziel angetreten, drei Mal Gold bei den Sommerspielen zu gewinnen – am Ende gab es nach Bronze im Teamsprint mit Miriam Welte und dem enttäuschenden sechsten Platz im Keirin das große Happy End.
Dass sie dabei im Halbfinale und Finale gleich zwei Fahrerinnen aus dem dominanten Radsportverband Großbritanniens (sechs Goldmedaillen in zehn olympischen Bahnradentscheidungen) besiegt hatte, war das Tüpfelchen auf dem I. Sie hatte schon vor dem Rennen mit indirek- ten Vorwürfen gegen die Briten für Wirbel gesorgt, nach dem Olympiasieg legte sie nach: »Ich sage nicht, dass sie dopen. Aber ich wundere mich, dass sie immer zu den Olympischen Spielen anreisen und alle anderen killen. Dazwischen läuft es oft mal nicht so gut für sie. Ist schon komisch.« Tatsächlich hatte Deutschland bei der Bahnrad-WM im März in London noch drei Mal Gold und insgesamt acht Medaillen gewonnen – in Rio rettete Vogel mit Gold und Bronze fast im Alleingang die Bilanz.
»Gelogen und betrogen wird überall, wo es um Geld geht. Ich könnte schon niemals dopen, weil bei mir ständig jemand für eine Kontrolle vor der Tür steht. Es ist unfair, weil das bei anderen Nationen nicht so ist«, hatte Vogel schon vor den Sommerspielen erklärt und klargestellt: »Ich will und werde niemals dopen, weil mir mein Körper wichtig ist. Schließlich will ich nicht mit 50 an einem Herzinfarkt sterben.«
Kristina Vogel wurde in Leninskoje in der Sowjetunion geboren, kam mit ihrer Familie nach Deutschland und entdeckte das Radfahren als große Leidenschaft. 2009 stand ihre junge Karriere jedoch vor dem Ende, als sie bei einer Trainingsfahrt auf der Straße von einem Zivilfahrzeug der Thüringer Polizei angefahren wurde. Sie brach sich einen Brustwirbel, den Handwurzelknochen und verlor Zähne. Es sind noch immer Narben deutlich in ihrem Gesicht zu erkennen. »Natürlich hätte ich damals aufgeben können. Aber ich bin niemand, der so leicht aufgibt, denn leicht war es für mich noch nie im Leben. Und es war die richtige Entscheidung, wie man sieht«, sagte Vogel nach ihrem größten Triumph. Und blickte gleich Richtung Tokio 2020: »Familienplanung ist derzeit noch keine Option. Das Gewinnen macht gerade so viel Spaß.«
Zuerst wird Kristina Vogel jedoch ihr Eigenheim beziehen: »Das ist ein Traum von mir, weil ich so viel in der Welt unterwegs bin.« Der finanzielle Grundstock für das Haus kommt vom Schmerzensgeld, das sie nach ihrem Trainingsunfall zugesprochen bekam. Natürlich musste sie auch darum kämpfen. Obwohl Vogel selbst Bundespolizistin ist, wollte ihr der Freistaat Thüringen nach dem Unfall nur 25 000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden ihr schließlich 100 000 Euro zugesprochen. »Ich bin dadurch richtig zu Geld gekommen«, sagt Vogel grinsend. Für die Goldmedaille von Rio bekommt sie noch einmal 20 000 Euro von der Deutschen Sporthilfe. Für ihr Häuschen mit zwei Goldmedaillen und einem Sattel an der Wand.