Rollt die Rückreisewelle?
IS-Kämpfer aus Westeuropa wollen heim, dem BND will sich angeblich niemand andienen
Die vielfältigen Anti-IS-Allianzen drängen die Terrorkräfte in Irak und Syrien zurück. Bei ausländischen Unterstützern macht sich angeblich ein Gesinnungswandel breit. Tarik S. ist 22 Jahre alt, Deutscher. Der Generalbundesanwalt hat ihn zu Wochenbeginn vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf angeklagt. Zur Last gelegt werden ihm die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, das Vorbereiten einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, das Kriegswaffenkontrollgesetz spielte ein Rolle, er soll gegen die Totenruhe verstoßen und noch so einiges mehr auf dem Kerbholz haben.
Tarik S. ist einer jener jungen Männer, die aus Deutschland via Türkei ausgereist sind, um sich dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Damit war er Teil einer großen Welle von Freiwilligen, die nach der Ausrufung des Kalifats in die Kriegsgebiete schwappte. Derzeit liege man bei rund 720 Personen, die nach Syrien und Irak ausgereist sind, weiß Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Andere Regierungskreise wissen von 760 allein bis Ende 2015. Nur ein Viertel habe die türkische Staatsbürgerschaft oder war »türkischstämmig«, sagt die Bundesregierung. Auch deshalb ist es schon etwas wohlfeil, wenn die Regierung der Türkei vorwirft, dass sie den IS unterstützt und die ganz selbstverständlich aus Deutschland Ausgereisten nicht gestoppt hat. Wie ist das mit Unterstützung durch Unterlassen? Schließlich haben deutsche Behörden erst spät, zudem fragwürdige, Maßnahmen ergriffen, um IS-Sympathisanten durch Einzug von Personalpapieren zu stoppen. In nur knapp 100 Fällen wurden solche Ausreiseverbote verhängt.
Inzwischen, so bestätigen Maaßens Fachleute, ebbe die Welle ab. Dafür erwarte man eine verstärkte Rückreise. Noch aber sind der Bundesregierung für die Jahre 2015 und 2016 nur sehr wenige aus Deutschland stammende IS-Abtrünnige mit Heimweh bekannt. Und dummerweise hat sich nicht ein einziger freiwillig an den Auslandsgeheimdienst BND gewandt. Warum auch? Selbst diejenigen, die sich hierzulande für eine Anti-IS-Propaganda einspannen lassen würden, könnten nicht darauf hoffen, ungeschoren zu bleiben. Das bekräftigt die Bundesregierung in einer Antwort an die Linksfraktion.
Tarik S. reiste 2013 via Türkei nach Syrien. Dort wurde er ausgebildet und eine Art Grenzwächter der Islamisten. Zudem hat er per Video weitere Kämpfer geworben. Bereits im Frühjahr 2016 war der Angeklagte nach Deutschland zurückgekehrt. So wie er suchen immer mehr aus Westeuropa stammende IS-Kämpfer den Weg zu- rück in ihre Herkunftsländer. Glaubt man Berichten aus Mossul, so hätten sich die meisten der ausländischen Kämpfer aus der sturmreifen Stadt verabschiedet. Obwohl die IS-Führung – so weiß auch die Bundesregierung – mancherlei versucht, um Desertionen zu unterbinden. Drastische Strafen drohen, wenn man ohne Reisebefehl unterwegs ist. Einheimische Kämpfer müssen, so sie das Operationsgebiet verlassen wollen, Familienmitglieder als Pfand hinterlassen.
Die Motive, dem IS Adieu zu sagen, sind vielfältig, sagen Experten. Oft hätten sich die Vorstellungen der Freiwilligen vom Leben im Kalifat nicht erfüllt. Andere hätten Schwierigkeiten mit der herrschenden Hierarchie oder der geforderten Disziplin. Bei einer dritten Gruppe sind es gesundheitliche Schwierigkeiten von Familienmitgliedern im Heimatland.
Tarik S. kann man im weitesten Sinn der dritten Gruppe zuordnen. Seine Frau war schwanger. Was, so alles mit rechten Dingen zuging, einen Heimaturlaub des deutschen ISKämpfers nahelegt.
Ein weiteres Ausstiegsmotiv für ausländische Kämpfer hat jüngst das amerikanische Finanzministerium vor dem US-Kongress ausführlich dargestellt. Dem IS geht das Geld aus. Die Truppe hat Mühe, ihre Soldaten zu bezahlen. Bereits zu Jahresbeginn habe man den Sold der Kämpfer halbiert. Statt 800 US-Dollar erhalten ausländische Kämpfer jetzt nur noch 400 Dollar monatlich. Umgerechnet sind das rund 360 Euro. Bei allem gottesfürchtigen Idealismus: Das liegt unter Hartz-IV-Niveau.
Der Grund für die Einsparungen, über die auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) schon zu Jahresbeginn berichtet hat, liegt auf der Hand. Die Abgaben und Zölle, die von den Einheimischen erhoben werden, sind rückläufig, weil der IS Territorien und Untertanen verliert. Kurios, doch die Steuereinnahmen sinken auch, weil die Zentralregierung in Bagdad seit 2015 keine Gehälter mehr an jene Beamte zahlt, die im IS-besetzten Gebiet leben. Zudem verfügt der Terrorstaat in Irak nur noch über eine Ölquelle. In Syrien sollen es zwar mehr sein, doch die tägliche Fördermenge liege unterhalb von 10 000 Barrel. Diese 1,6 Millionen Liter reichen gerade einmal zur Selbstversorgung.
»Bisher haben keine rückkehrwilligen mutmaßlichen Abtrünnigen ... gezielt Kontakt zum BND gesucht.« Aus der Antwort der Bundesregierung