»Eine nicht gekannte Verrohung«
Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen SPD-Abgeordneten, dem Sozialbetrug vorgeworfen wird
Dem SPD-Abgeordneten Patrick Ötztürk wird organisierter Sozialbetrug im großen Stil vorgeworfen. Linke und CDU fordern einen Untersuchungsausschuss. Es ist nicht das erste Mal, dass in Bremens Bürgerschaft die Linksfraktion gemeinsam mit der CDU Forderungen einbringt. Der am Donnerstag der Presse vorgestellte Antrag ist laut CDUFraktionschef Thomas Rövekamp aber ein Novum. Darin fordern die Oppositionsparteien die Einrichtung eines »kleinen Untersuchungsausschusses«. Alle Abgeordneten von CDU und Linkspartei unterzeichneten. Das für solch einen Antrag nötige Viertel aller Abgeordneten wurde so deutlich erreicht. Im Bremer Landtag gibt es 88 Parlamentarier, Linke und CDU haben zusammen 28 Sitze.
Die Vorwürfe gegen die SPD im Allgemeinen und den SPD-Bürger- schaftsabgeordneten Patrick Ötztürk wiegen schwer. Es geht um organisierten Sozialbetrug in Bremerhaven mit einer vermuteten Schadenshöhe von mehreren Millionen Euro. Die Problematik ist bereits länger bekannt. Alle in den Fall verwickelten Entscheider gehören der SPD an. Mit dem Eingreifen der Justiz erreicht der Fall ein neues Niveau. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat ein Verfahren gegen Ötztürk eingeleitet.
Das Bundesland Bremen besteht aus Bremen und Bremerhaven. In Bremerhaven beschäftigten sich bereits Mandatsträger mit zwei Vereinen, die vom Vater des Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Ötztürk geleitetet werden. In einem der beschuldigten Vereine ist der Sohn zweiter Vorsitzender. Das Modell, mit dem mehrere Millionen Euro ergaunert worden sein sollen, ist besonders perfide, weil es nicht nur der Sozialkasse schadete, sondern massenweise arme Menschen ins Elend führte.
Die Vereine warben im Süden Bulgariens Menschen an – mit dem Versprechen in Bremerhaven Arbeit zu finden. Sie bekamen Arbeitsverträge mit sehr niedrigem Entgelt, einen Teil mussten sie an den Verein zurückzahlen. Nach der notwendigen Zeit- spanne, die ein Bulgare in Deutschland gearbeitet haben muss, um beim Jobcenter »Kunde« werden zu können, wurden die Verträge aufgelöst und die »Angestellten« von Mitarbeitern des Vereins betreut; u. a. beim Stellen und Ausfüllen von Anträgen auf Sozialleistungen. Auffällig ist, dass viele beim Amt vorgelegte Verträge nur Kopien waren. Auch bei den So- zialleistungen sollen die Vereine mit kassiert haben. Die Staatsanwaltschaft Bremen fand auf Konten des Abgeordneten Ötztürk ungeklärte Geldeingänge aus den Vereinen.
Christina Vogt, Vorsitzende der Linksfraktion, und Thomas Rövekamp hätten eine Einlassung Ötztürks erwartet, als er in einer aktuellen Stunde nach seiner Beteiligung an den Machenschaften des väterlichen Vereins gefragt wurde. Ötztürk schwieg. Beide Fraktionschefs erklärten, sie verstünden, dass Ötztürk sich nicht im Rahmen des juristischen Verfahrens äußern wolle, aber zeigten kein Verständnis dafür, dass er sich nicht politisch äußere. Bei den Opfern handele es sich um Familien mit Kindern, die nun zum Teil im Land Bremen als Obdachlose leben. Vogt sprach von einer neuen Dimension, Rövekamp von einer nicht gekannten sozialen Verrohung. Beide erwarten von Ötztürk, dass er sein Abgeordnetenmandat niederlegt.
Es geht um Sozialbetrug mit einer vermuteten Schaden von mehreren Millionen Euro.