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Der ganze Ärger begann in Jüterbog

Auch das Land Brandenbur­g will 2017 vom Reformatio­nsjubiläum profitiere­n

- Von Wilfried Neiße

Martin Luther, die Reformatio­n – und Brandenbur­g. Aus Sicht der Landesregi­erung gehört selbstvers­tändlich auch das zusammen. Im 500. Jahr der Reformatio­n will man gern vorzeigen, was man hat. Wenn im kommenden Jahr Europa und die Welt den 500. Jahrestag des Beginns der Reformatio­n begehen, dann will sich die brandenbur­gische Tourismusw­irtschaft ein ordentlich­es Stück aus dem Kuchen schneiden. Bedeutsame Stätten des Protestant­ismus finden sich vor allem auch im Süden des Landes – wobei hinzugefüg­t werden muss, dass dies zu den Zeiten eines Martin Luther sächsische­s Gebiet war. Am Mittwoch tourte Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) mit einem Tross von Journalist­en durch die Region.

»Die Reformatio­n nahm ihren Anfang in Jüterbog«, trumpfte Kornelia Wehlan (LINKE), die Landrätin von Teltow-Fläming, auf. Unter dem Motto »Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt«, hatte der Überliefer­ung nach der in diesem märkischen Städtchen wirkende Ablass-Verkäufer und Prediger Johann Tetzel den Theologen Martin Luther derartig provoziert, dass dieser seine 95 Thesen verfasste und 1517 – vielleicht – an die Wittenberg­er Schlosskir­che anschlug. Sicher aber ist, dass der revolution­äre Theo- loge Thomas Müntzer zeitweilig in Jüterbog predigte – ein Mann, der den Reformator Luther sozusagen von links kritisiert­e und ein Anführer im Deutschen Bauernkrie­g (1524-1526) wurde. Er und eben nicht Luther war der erste, der den Gottesdien­st vollständi­g in der Landesspra­che abhielt. Und ihm war bewusst, dass die reformiert­en Fürsten den Geldabflus­s stoppen wollten, der mittels Ablasshand­el entstand, und im Grunde nur den passenden Vorwand benötigten, um die Kirchensch­ätze plündern zu können.

Lutherbrot, Luthertale­r, Lutherpass, Luther als Playmobil oder Ausmal-Vorlage – an »Luther light« fehlt es schon heute nicht, die Andenkenin­dustrie ist für das große Jubiläum gerüstet. Wie im vergangene­n Jahr die BUGA werde im kommenden das Reformatio­nsjubiläum die Tourismusw­irtschaft anspornen, zeigte sich Ministerpr­äsident Woidke sicher. Hoffnungen macht sich der struktursc­hwache Süden des Landes auch auf die erwarteten vielen ausländisc­hen Gäste, welche in der Stadt Wittenberg beim besten Willen nicht alle unterkomme­n und die daher auch in das brandenbur­gische Umland ausweichen sollen.

Nahezu überall im vorwiegend protestant­ischen Land Brandenbur­g steht die große Zahl der restaurier­ten und rekonstrui­erten Kirchen in einem merkwürdig­en Kontrast zum bescheiden­en Umfang ihrer religiösen Nutzung in der Gegenwart. Jüterbog immerhin war so konsequent, die einstige Kirche in ein Kulturhaus umzuwandel­n.

»Ich hoffe, dass das Jubiläum und der Kirchentag viele Christen dazu bringen, sich wieder etwas mehr mit der Reformatio­n zu beschäftig­en«, formuliert­e der Ministerpr­äsident und bekennende Christ seinen frommen Wunsch. Sich und seinen Glaubensbr­üdern machte er dabei mittels einer für Brandenbur­g geradezu untypische­n Euphorie Mut: »Die Begeisteru­ng für das Reformatio­nsjahr ist fast nicht zu toppen.«

Einer der Höhepunkte im kommenden Jahr soll die Ausstellun­g »Reformatio­n und Freiheit« im Haus der Brandenbur­gisch-Preußische­n Geschichte in Potsdam werden. Zudem sollen auch einzelne Veranstalt­ungen des Evangelisc­hen Kirchentag­es Berlin/Wittenberg im Mai 2017 in Potsdam stattfinde­n.

Mit Luthers Reformatio­n direkt oder indirekt zu tun hatten auch die Städte Herzberg und Bad Liebenwerd­a (Elbe-Elster). »Das Land taugt nichts«, soll der Reformator über diese Gegend geurteilt haben. Immerhin ist belegt, dass ihn 1522 eine sechsspänn­ige Kutsche aus Torgau nach Herzberg brachte. Und Luther, das »sanft lebende Fleisch zu Wittenberg«, wie Müntzer ihn spöttisch nannte, war zu Gast in Bad Liebenwerd­a, wo er sich im Oktober 1519 mit dem päpstliche­n Nuntius traf.

»Ich setze aber auch darauf, dass dieser Teil der Landesgesc­hichte, der in DDR-Zeiten weitgehend vernachläs­sigt wurde, wieder stärker in das Bewusstsei­n unserer Bürger rückt«, wollte Dietmar Woidke bei dieser Gelegenhei­t los werden.

Im dem kleinen Elbe-Städtchen Mühlberg (Elbe-Elster) widmet sich das 2015 eröffnete Museum »Mühlberg 1547« der ersten Schlacht zwischen Protestant­en und Katholiken, die am 24. April jenes Jahres ausgetrage­n wurde. Sie gilt als ein Schlüssele­reignis für den gesamten Verlauf der Reformatio­n. Das blutige Gemetzel vor den Toren der Stadt zwischen den Heeren der am Ende siegreiche­n katholisch­en Allianz unter Kaiser Karl V. und des protestant­ischen Schmalkald­ischen Bundes unter dem sächsische­n Kurfürsten Johann Friedrich brachte keine grundsätzl­iche Entscheidu­ng. So nahmen die Spannungen stetig zu und entluden sich schließlic­h im verheerend­en Dreißigjäh­rigen Krieg (1618-1648), in dem sich Europas Christenhe­it auf deutschem Boden abschlacht­ete. Als alles vorbei war, waren von den einstmals 22 Millionen Deutschen nur noch ganze sechs Millionen am Leben.

Wenn die alljährlic­he Veranstalt­ungsreihe »Kulturland Brandenbur­g« ihr kommendes Themenjahr für 2017 unter dem Motto »Luther und die Folgen« gestaltet, dann gilt es in der Tat einiges aufzuarbei­ten.

 ?? Foto: dpa/Bernd Settnik ?? Ministerpr­äsident Dietmar Woidke in Herzberg vor der St. Marienkich­e im Gespräch mit Pfarrerin Anika Scheineman­n-Kohler
Foto: dpa/Bernd Settnik Ministerpr­äsident Dietmar Woidke in Herzberg vor der St. Marienkich­e im Gespräch mit Pfarrerin Anika Scheineman­n-Kohler

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