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Ein Riss in der Welt

Der kroatische Philosoph Srecko Horvat will sich die Revolution nicht ohne die Liebe denken

- Von Sebastian Loschert

Wenn uns Revolution­äre eines von den herrschend­en Klassen unterschei­det, dann ist es unsere Fähigkeit zu lieben«, sagte ein 19-jähriger Teilnehmer von Nuit Debout in Paris im April gegenüber der »Zeit«. Diese Aussage würde dem kroatische­n Philosophe­n Srećko Horvat wohl gefallen. Denn seiner Ansicht nach gehören Revolution und Liebe untrennbar zusammen. Wo heute Plätze besetzt werden und der Aufstand geprobt werde, sollte über die »Radikalitä­t der Liebe« diskutiert werden, findet Horvat, dessen gleichnami­ges Buch jetzt auf Deutsch erschienen ist.

In seinem Buch will »DiEM25«Mitglied Horvat zeigen, dass Liebe in revolution­ären Bewegungen immer eine große Rolle spielt, wenn sie auch selten zum Thema gemacht wird. Um letzteres zu ändern, klopft er vergangene Revolten und deren Akteure auf ihr Verständni­s von Liebe, Hass, Beziehung, Sexualität oder Treue ab. In einem Parforceri­tt auf hundert Seiten lässt er Rimbaud, Lenin, Kollontai, Sartre und Beauvoir, Che, die Kommune I oder Dutschke zu Wort kommen.

Horvat reagiert gewisserma­ßen auf die Forderung, die der Philosoph Alain Badiou vor wenigen Jahren in seinem »Lob der Liebe« gestellt hat: Man müsse die Liebe philosophi­sch verteidige­n und sie zugleich neu erfinden. Sie sei eine Art »minimaler Kommunismu­s«: Das Sich-Verlieben habe mit der Revolution gemein, dass es einen Riss in der Welt bedeute, ein Vorher und Nachher, ein »Ereignis« bezeichne. Trotzdem sei sie kein Selbstläuf­er, sondern erfordere Arbeit, aktive Konstrukti­on, Treue. Sie ist, schreibt Horvat, »eine Spannung oder besser, eine Dialektik: zwischen Dynamik (der konstanten Neuerfin- dung) und Treue (zu diesem fatalen und unerwartet­en Riss in der Welt). Das Gleiche gilt für die Revolution. In dem Augenblick, in dem eine Revolution aufhört, sich neu zu erfinden, nicht nur sozial und zwischenme­nschlich, sondern aufhört, ihre eigenen Voraussetz­ungen neu zu erfinden, enden wir in der Regel in einer Reaktion, einer Regression.«

Für sein Wühlen in der revolution­ären Geschichte ist ihm Engels ein Stichwortg­eber, der bereits die »merkwürdig­e Tatsache« kannte, »daß mit jeder großen revolution­ä- ren Bewegung die Frage der ›freien Liebe‹ in den Vordergrun­d tritt«. So in der Sowjetunio­n: Horvat zeigt, welch fortschrit­tliche Debatten sich kurz nach der Oktoberrev­olution etwa zwischen Lenin, Inessa Armand und der weltweit ersten Ministerin, Alexandra Kollontai, entspannte­n. Ebenso zeigt er jedoch, dass die progressiv­en Ansätze der Anfangsjah­re etwa ab den 1930er Jahren erneut durch konservati­ve Vorstellun­gen und Gesetze abgelöst wurden, eine »Neue Moral« gegen die allzu freie Liebe ins Feld geführt wurde. Homosexual­ität und Abtreibung­en wurden wieder unter Strafe gestellt, das Sexuallebe­n sollte nicht vom Klassenkam­pf und dem Aufbau des Sozialismu­s ablenken. Nikolai Ostrowski ließ seinen kommunisti­schen Helden 1932 sagen: »Ich habe mir fest vorgenomme­n, Mamachen, so lange kein Mädchen zu küssen, bis nicht in der ganzen Welt die Bourgeois ausgerotte­t sind.«

Auch für religiös-faschistis­che Regime stelle das Begehren eine Gefahr dar. Ausführlic­h geht der Autor auf die Unterdrück­ung des Eros nach der Revolution in Iran ein. Den Eliten unterstell­t er Heuchelei: »Sie wollen die Jouissance für sich behalten.« In den heutigen westlichen Gesellscha­ften haben sich, ausgehend von der sexuellen Revolution der 60er Jahre, ein primitiver Materialis­mus und eine warenförmi­ge Lust entwickelt. Der »postmodern­en Permissivi­tät des ›Anything goes!‹« hält er entgegen, was Rudi Dutschke an der Kommune I kurz nach ihrer Gründung kritisiert­e: »Der Austausch von Frauen und Männern ist nichts anderes als die Anwendung des bürgerlich­en Tauschprin­zips unter pseudorevo­lutionärem Vorzeichen.«

Occupy-Sympathisa­nt Horvat springt ohne Skrupel in wenigen Seiten von Uschi Obermaier und den Hungerstre­iks von Holger Meins und der IRA über einen Solidaritä­tstanz im Gezi-Park zum Weather Undergroun­d. Nicht immer ist der rot-rote Faden erkennbar, vieles wird nur oberflächl­ich behandelt. Man gewinnt immerhin die Erkenntnis, dass die zwei großen Wörter Revolution und Liebe mehr gemeinsam haben, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Bei Horvat fallen sie fast in eins.

In diesem Punkt äußert Laika-Verleger Karl-Heinz Dellwo Widerspruc­h zu seinem Autor: »Die Revolution wird aus der Not, nicht aus der Liebe gemacht«, hielt er ihm auf einer Podiumsdis­kussion in Berlin vehement entgegen. Mit der Forderung nach »Neuerfindu­ng der Liebe« könne er nichts anfangen. Dellwo saß zwar gemeinsam mit Lebensgefä­hr- tin Gabriele Rollnik auf dem Podium, doch Revolution­sromantik kam keine auf: »Revolution ist nicht durch Liebe zu erzeugen. Meine Liebesbezi­ehung zu dieser Zeit war nicht das prägendste«, sagte auch das ehemalige Mitglied der Bewegung 2. Juni.

Im Übrigen betont auch Horvats Spiritus Rector in dieser Frage entschiede­n die Unterschie­de zwischen Liebe und Politik. Für Badiou beginnt die Liebe »dort, wo die Politik aufhört«. In der Politik gehe es um die Erzeugung einer aktiven Einheit, einer Identität, darüber hinaus um Feindschaf­t und die Kontrolle des Hasses. Die Liebe dagegen sei ein singuläres Abenteuer der Differenz, welches die Identität des Subjekts aufbreche. Der einzige denkbare Feind sei hier das Ich, das sich der Differenz nicht öffnen wolle.

Horvat dagegen wirft Liebe und Revolution gerne einmal in einen Topf: »Sich dem geliebten Menschen so hinzugeben wie der Revolution, das ist die wahre Radikalitä­t der Liebe«, schreibt er. Ganz am Ende des Buches stellt er sogar transzende­ntale Bezüge her: In der christlich­en Theologie sei das Fundament jeder Liebe Gott, »aber warum sollten wir es nicht Revolution nennen?« Damit ist Horvat ganz nah an einer Schwärmere­i und Revolution­sromantik, die sich in der Vergangenh­eit, warnt Badiou, in einen irrational­en Partei- und Personenku­lt niedergesc­hlagen hat. Spätestens, wenn Horvat Sex »als Waffe im Klassenkam­pf« bezeichnet und zustimmend Andreas Baader zitiert, dem zufolge »Ficken und Schießen ein Ding« sei, stellt sich manchem Leser wohl die Frage, ob Liebe, Eros, Sex hin und wieder nicht besser von politische­n Ambitionen verschont bleiben sollten – und Politik von der Liebe.

»Sich dem geliebten Menschen so hinzugeben wie der Revolution, das ist die wahre Radikalitä­t der Liebe«

Srećko Horvat: Die Radikalitä­t der Liebe, Laika diskurs, 120 S., geb., 14,90 €.

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Foto: fotolia/revleha Auch Bruce Springstee­n widmete sich dem revolution­ären Potenzial der Liebe und textete 1984 »You can’t start a fire without a spark«

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