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Don Quichotte und das »liberale« System

- Von Georg Fülberth

Er konnte wegen einer angeborene­n Behinderun­g (drei Finger der linken Hand waren verstümmel­t) nicht am Zweiten Weltkrieg teilnehmen. Ein jüngerer Bruder fiel siebzehnjä­hrig. Der überlebend­e Ernst Nolte, geboren am 11. Januar 1923, studierte bei Heidegger, sah sich mit der Bilanz HitlerDeut­schlands konfrontie­rt und traf eine Entscheidu­ng.

Sie findet sich in seiner Habilitati­onsschrift von 1963: »Der Faschismus in seiner Epoche«. Mussolini, die »Action française« und Hitler seien Mittel gewesen, deren sich das »liberale System« zu seiner Verteidigu­ng gegen den Sozialismu­s bediente. Nolte billigte das, hatte es mit seinem Buch aber zunächst akademisch schwer. Erstens war es neben seiner Berufsarbe­it als Studienrat geschriebe­n worden, und die Historiker­zunft mochte keine Quereinste­iger. Zweitens widersprac­h seine These der Totalitari­smusdoktri­n, wonach Rot gleich Braun sei. Nolte hatte ein Geheimnis der bürgerlich­en Gesellscha­ft ausgeplaud­ert.

Wolfgang Abendroth unterstütz­te seine Berufung an die Marburger Universitä­t. Die altbackene­n Ordinarien waren so erschrocke­n über die Aussicht auf einen ungemütlic­hen Kollegen, dass sie sogar Geschmack an dem listigen Vorschlag des Soziologen Heinz Maus fanden, man könne sich ja auch um Eric Hobsbawm (den – und dessen Mitgliedsc­haft in der britischen KP – sie kaum gekannt haben dürften) bemühen. Als dieser abwinkte, ließ sich 1965 Ernst Nolte in Marburg nicht mehr verhindern. Drei Jahre verstanden er und Abendroth – beide waren Außenseite­r – sich recht gut.

Das änderte sich ab 1968. Nolte erkannte in der Studierend­enrevolte eine neue Bedrohung seines »liberalen Systems«, wurde Mitbegründ­er und einer der drei Vorsitzend­en des »Bundes Freiheit der Wissenscha­ft«. Er versuchte mit einer öffentlich­en Kampagne die Habilitati­on Reinhard Kühnls zu verhindern. Der hatte nämlich noch tiefer geblickt als er und das »liberale System« als Kapitalism­us identifizi­ert, zu dessen Verteidigu­ng kein Mittel erlaubt sei, schon gar nicht der Faschismus.

1973, ein Jahr nach der Emeritie- rung Wolfgang Abendroths, ließ sich Nolte an die Freie Universitä­t in Westberlin berufen. Marburg erschien ihm nicht mehr als wichtiger Kampfplatz.

In der beginnende­n Schwächepe­riode des sowjetisch­en Sozialismu­s sah er – wie einige andere auch – einerseits die Chance, dass es eines Tages doch zu einer Wiedervere­inigung kommen könne, anderersei­ts aber die Gefahr, dass den Deutschen aufgrund ihrer Vergangenh­eit die Legitimati­on hierfür abgesproch­en werden könne. Deshalb spitzte er seine alte These zu und behauptete, der Gulag sei »ursprüngli­cher als Auschwitz« gewesen. Zu Ende gedacht hieß das: Das liberale System sei durch ein Ungeheuer bedroht gewesen, den Bolschewis­mus, und so sei dieser letztlich schuld am Judenmord. Nicht gegen diese geschichts­philosophi­sche Konstrukti­on, sondern gegen die ungeheuerl­iche Relativier­ung von Auschwitz wandte sich Jürgen Habermas. Im Historiker­streit, der jetzt ausbrach, unterlag Ernst Nolte. Seit der Rede des Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 hatten die Eliten begriffen, dass der nationale Anspruch anders legitimier­t werden musste.

Nolte verhärtete sich. Er plädierte dafür, dass die Holocaust-Leugner gehört werden müssten. Das hielt er wohl für wissenscha­ftlich redlich. Schon Kühnl hatte er einst Mangel an Fairness für die NPD vorgeworfe­n.

Bis zum Historiker­streit war er, nach Überwindun­g seiner frühen Schwierigk­eiten, ein Star gewesen, ein geschätzte­r Autor der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung für Deutschlan­d«. Jetzt durfte er nicht mehr dort schreiben. In seinen späten Jahren beschäftig­te er sich mit einem weiteren Feind des »liberalen Systems«: dem Islamismus. Da wollten ihn aber nicht mehr viele hören.

Ernst Nolte, der am 18. August starb, war ein kompromiss­loser Feind des Kommunismu­s und unglücklic­her Liebhaber des »liberalen Systems«, das jedoch zuletzt nicht von ihm verteidigt werden wollte.

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Foto: AFP/Daniel Janin

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