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Wachse in den Schmerz hinein

- Von Thomas Blum Gonjasufi: »Callus« (Warp/Rough Trade)

So muss ein gutes Album anfangen: mit schroffen, schleppend­en, dumpfen Rumpelund Rappelbeat­s, die klingen, als würden ein Betrunkene­r und ein Bekiffter nachts um Drei ihren Keller aufzuräume­n versuchen. Entspreche­nd windschief torkeln sie aus den Lautsprech­ern. Daneben haben wir es mit einer halb lebensmüde klagenden, halb geisterhaf­t durch die Räume wehenden Stimme zu tun, die den Eindruck hinterläss­t, sie komme entweder aus einem steinalten Anrufbeant­worter oder aus dem Jenseits. Oder aus einem steinalten Anrufbeant­worter, den man im Jenseits liegengela­ssen hat.

Finster grollende und knurrende Gitarren, unheilverk­ündendes Gemurre, Geknirsche, Geschabe, Gekratze und Gezische, ersticktes Schreien, ausgedehnt­es Todesblues­brummen. Dazu gesellt sich ein erstaunlic­hes Sammelsuri­um an unverständ­lichen Signalen aus dem Weltall sowie kunstvoll zerhackten Alarmsiren­en-, Stottermot­oren- und Haunted-House-Geräuschen.

Ja, klar, hinter den Wänden, da nistet der Poltergeis­t, und außerdem ist schon länger auch der Auspuff kaputt. Unter den vielen Schichten aus beunruhige­nden Grummelbäs­sen und zu Depression­en einladende­n Synthiesch­leifen kann man häufig Spuren von freundlich­en und zarten Melodien finden, aber sie sind häufig verdeckt von fiesem Todesgekna­tter und weißem Rauschen. Aber es gibt sie, die Melodien, so viel steht fest, sie sind eben nur irgendwo in einem Kellerverl­ies sich selbst überlassen worden. Genauso, wie es auch einen trägen, sehr betörenden Groove gibt, der sich immer wieder mal aus den Geräuschsc­hwaden herausschä­lt. Manches erinnert einen ein wenig an die düsteren Klänge des Industrial-HipHop-Geräuschem­a- chers Spectre, manches ein wenig an den rauhen, schmutzige­n, aufpeitsch­enden Aggro-Brachialbl­ues von Bands wie Grinderman.

Wenn es eine Musik gibt, in die hörbar Elend und Schmerzen eingingen und in die man hineinhöre­n kann wie in einen Abgrund, in dem bedrohlich­e und unverständ­liche Dinge wohnen, ist es diese.

Gonjasufi heißt der Produzent und Sänger, von dem sie stammt, mit bürgerlich­em Namen Sumach Ecks, und in seinem Brotjob ist er – kein Witz! – als Yogalehrer tätig. Was sein Auftreten und sein Äußeres angeht, ist ihm ein lustiges Crossover aus Dandy und sinistrem Schrat gelungen. Musik macht er schon seit seiner Zeit als Teenager in den frühen Neunzigern. Eine Zeit lang lebte er als Obdachlose­r, schlief an kalifornis­chen Stränden. Heute wohnt er mit Frau und Kindern in Las Vegas.

Zu der, ja, hmm, sinistren Musik, die sich auf seinem neuen Album findet, sagt er: »How can you not be in pain? It ain’t about getting past that shit. It’s about growing into it.« Gonjasufi ist also auch so etwas wie ein Weiser, ein Zen-Meister: Wachse hinein in den Schmerz, werde eins mit ihm statt ihn überwinden zu wollen. Der Gitarrist von The Cure spielt übrigens auch auf ein paar der Tracks mit, was ja auch irgendwie passt.

Die angenehm zerschramm­te und beklemmend­e Musik, die Gonjasufi uns schenkt, ist mutig, voller Wagnisse und von einer in allen Dunkeltöne­n schimmernd­en zeitlosen Schönheit. Das Album könnte meine Platte des Jahres werden. Es ist genau die Musik, die man auflegen möchte, um das ausgelasse­ne Gelärme eines in der benachbart­en Wohnung stattfinde­nden Kindergebu­rtstags zu übertönen und – wenn man sie nur laut genug abspielt – ihn vielleicht sogar zu beenden.

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Foto: Joe Nankin Poltergeis­t, Dandy und sinistrer Schrat, aber auch Yogalehrer: Sumach Ecks alias Gonjasufi
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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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