Wachse in den Schmerz hinein
So muss ein gutes Album anfangen: mit schroffen, schleppenden, dumpfen Rumpelund Rappelbeats, die klingen, als würden ein Betrunkener und ein Bekiffter nachts um Drei ihren Keller aufzuräumen versuchen. Entsprechend windschief torkeln sie aus den Lautsprechern. Daneben haben wir es mit einer halb lebensmüde klagenden, halb geisterhaft durch die Räume wehenden Stimme zu tun, die den Eindruck hinterlässt, sie komme entweder aus einem steinalten Anrufbeantworter oder aus dem Jenseits. Oder aus einem steinalten Anrufbeantworter, den man im Jenseits liegengelassen hat.
Finster grollende und knurrende Gitarren, unheilverkündendes Gemurre, Geknirsche, Geschabe, Gekratze und Gezische, ersticktes Schreien, ausgedehntes Todesbluesbrummen. Dazu gesellt sich ein erstaunliches Sammelsurium an unverständlichen Signalen aus dem Weltall sowie kunstvoll zerhackten Alarmsirenen-, Stottermotoren- und Haunted-House-Geräuschen.
Ja, klar, hinter den Wänden, da nistet der Poltergeist, und außerdem ist schon länger auch der Auspuff kaputt. Unter den vielen Schichten aus beunruhigenden Grummelbässen und zu Depressionen einladenden Synthieschleifen kann man häufig Spuren von freundlichen und zarten Melodien finden, aber sie sind häufig verdeckt von fiesem Todesgeknatter und weißem Rauschen. Aber es gibt sie, die Melodien, so viel steht fest, sie sind eben nur irgendwo in einem Kellerverlies sich selbst überlassen worden. Genauso, wie es auch einen trägen, sehr betörenden Groove gibt, der sich immer wieder mal aus den Geräuschschwaden herausschält. Manches erinnert einen ein wenig an die düsteren Klänge des Industrial-HipHop-Geräuschema- chers Spectre, manches ein wenig an den rauhen, schmutzigen, aufpeitschenden Aggro-Brachialblues von Bands wie Grinderman.
Wenn es eine Musik gibt, in die hörbar Elend und Schmerzen eingingen und in die man hineinhören kann wie in einen Abgrund, in dem bedrohliche und unverständliche Dinge wohnen, ist es diese.
Gonjasufi heißt der Produzent und Sänger, von dem sie stammt, mit bürgerlichem Namen Sumach Ecks, und in seinem Brotjob ist er – kein Witz! – als Yogalehrer tätig. Was sein Auftreten und sein Äußeres angeht, ist ihm ein lustiges Crossover aus Dandy und sinistrem Schrat gelungen. Musik macht er schon seit seiner Zeit als Teenager in den frühen Neunzigern. Eine Zeit lang lebte er als Obdachloser, schlief an kalifornischen Stränden. Heute wohnt er mit Frau und Kindern in Las Vegas.
Zu der, ja, hmm, sinistren Musik, die sich auf seinem neuen Album findet, sagt er: »How can you not be in pain? It ain’t about getting past that shit. It’s about growing into it.« Gonjasufi ist also auch so etwas wie ein Weiser, ein Zen-Meister: Wachse hinein in den Schmerz, werde eins mit ihm statt ihn überwinden zu wollen. Der Gitarrist von The Cure spielt übrigens auch auf ein paar der Tracks mit, was ja auch irgendwie passt.
Die angenehm zerschrammte und beklemmende Musik, die Gonjasufi uns schenkt, ist mutig, voller Wagnisse und von einer in allen Dunkeltönen schimmernden zeitlosen Schönheit. Das Album könnte meine Platte des Jahres werden. Es ist genau die Musik, die man auflegen möchte, um das ausgelassene Gelärme eines in der benachbarten Wohnung stattfindenden Kindergeburtstags zu übertönen und – wenn man sie nur laut genug abspielt – ihn vielleicht sogar zu beenden.