Der ideale Großkoalitionär
Obwohl er für Sozialabbau und die Schleifung des Rechtsstaates bekannt ist, soll Frank-Walter Steinmeier nächster Bundespräsident werden
Seit Jahren verhelfen Parteifreunde ihrem Genossen Frank-Walter Steinmeier zu herausgehobenen Posten. Dabei ist die Geschichte des SPD-Politikers eng mit dem Niedergang seiner Partei verknüpft. Kein Sozialdemokrat hat sich in der jüngeren Vergangenheit so lange in führenden Funktionen in der Bundespolitik halten können wie FrankWalter Steinmeier. Seitdem ihn sein Freund und damaliger Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 1998 zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragten für die Nachrichtendienste ernannte, ist der gebürtige Ostwestfale eine prägende Figur seiner Partei und vieler Regierungen. Dabei musste sich Steinmeier nie in einer Wahl gegen ähnlich starke Bewerber durchsetzen. Er konnte stets darauf setzen, von seiner Partei- oder Fraktionsführung in ein wichtiges Amt gehievt zu werden.
Zuletzt war es dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gelungen, seinen Genossen als Kandidaten der Großen Koalition für das Amt des Bundespräsidenten durchzusetzen. Seine Wahl ist für den 12. Februar geplant. Bei der Präsentation Steinmeiers am Mittwoch in den Räumlichkeiten des Bundestags betonte Gabriel, dass Steinmeier als Präsident die Aufgabe habe, »dem Rechtsstaat eine überzeugende Stimme zu geben«. Die Chefs der Unionsparteien stimmten in die Loblieder auf den amtierenden Außenminister ein. Horst Seehofer, Vorsitzender der CSU, lobte die Ruhe und Besonnenheit des Sozialdemokraten. Kanzlerin Angela Merkel prophezeite, dass Steinmeier die Unterstützung vieler Bürger haben werde.
Der 60-Jährige zählt laut Umfragen seit Jahren zu den beliebtesten Politikern in Deutschland. Zwar war Steinmeier für viele unpopuläre Entscheidungen mitverantwortlich, aber er musste sich hierfür nur selten vor einer großen Öffentlichkeit rechtfertigen. Der Sozialdemokrat agierte nämlich lange im Hintergrund. Als Chef des Kanzleramts war Steinmeier an wichtigen Strategiepapieren beteiligt. Dazu zählte die Agenda 2010, die zu Verarmung, einem großen Niedriglohnsektor und Verunsicherung in der Arbeitswelt geführt hat. Der promovierte Jurist hat die neoli- beralen Reformen bis heute im Kern verteidigt, weil diese zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beigetragen hätten.
Als die Ära Schröder im Jahr 2005 zu Ende ging, saßen noch immer zahlreiche Agenda-Politiker an den Schalthebeln der SPD. Franz Müntefering führte die Sozialdemokraten in eine Große Koalition mit der Union und sorgte dafür, dass Steinmeier erstmals den Außenministerposten erhielt. In dieser Zeit wurden für Steinmeier unangenehme Fakten aus seiner Zeit als Kanzleramtschef bekannt. Ende 2001 war der in Bremen geborene Türke Murat Kurnaz in USGefangenschaft geraten. Steinmeier hatte sich nicht für seine Freilassung eingesetzt, obwohl Washington der Bundesregierung signalisiert haben soll, dass Kurnaz nach Deutschland überstellt werden könne. Der junge Mann wurde bis Oktober 2006 in dem US-amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba unter Folter- bedingungen festgehalten. Vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags verteidigte Steinmeier später die Einreisesperre für Kurnaz nach Deutschland, weil er als »Gefährder« eingestuft worden sei.
Steinmeiers Karriere war durch diese Affäre jedoch nicht bedroht. Nach einem Putsch gegen den damaligen SPD-Chef Kurt Beck übernahm er gemeinsam mit Müntefering wieder die Führung in der Partei. Der Außenminister wurde zum Kanzler- kandidaten ausgerufen. Doch ein Wahlkampf gegen Menschen, mit denen man am liebsten weiterhin zusammenarbeiten würde, fällt nicht leicht. Steinmeier ist der ideale Großkoalitionär. Auch deswegen verlor er die Bundestagswahl 2009 gegen Merkel. Die SPD erlitt damals eine historische Niederlage. Sie erhielt nur noch 23 Prozent der Wählerstimmen.
Trotzdem dachte Steinmeier nicht an einen Rückzug von der politischen Bühne. Er hatte noch immer ge- nügend Unterstützer, die ihn zum Fraktionsvorsitzenden wählten. Später galt er erneut als möglicher Spitzenkandidat in einem aussichtslosen Wahlkampf. Doch Steinmeier lehnte dankend ab und ließ Peer Steinbrück den Fortritt. Inzwischen ist der weißhaarige Mann seit drei Jahren erneut Außenminister in Merkels Kabinett.
In politischen Analysen wird er oft als erfolgreicher Diplomat beschrieben, der sich international für friedliche Konfliktlösungen einsetzt. Anhaltspunkte hierfür sollen Steinmei- ers Engagement für den Atomdeal mit Iran und für das Minsker Abkommen sein, das auf eine Deeskalation des Krieges in der Ostukraine zielt. Vergessen wird dabei, dass die Bundeswehr erst zu einer internationalen Einsatzarmee geworden ist, seit Steinmeier zu den führenden Köpfen der deutschen Politik zählt. In seinen Amtszeiten hat der Außenpolitiker deutsche Kampfeinsätze und Kriegsbeteiligungen in Afrika, Zentralasien und auf dem Balkan unterstützt. Dass Steinmeier den Datenaustausch zwischen BND und dem US-Dienst NSA im Jahr 2002 absegnete, war zudem ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig er vom Rechtsstaat hält.
Dies hinderte ihn freilich nicht daran, sich am Mittwoch als Mann des Ausgleichs darzustellen. Er sprach angesichts des Brexits, der Wahl des USRechtspopulisten Donald Trump sowie der Kriege und Konflikte in der Nachbarschaft zur EU von »stürmischen Zeiten«. Deutschland habe aber in seiner Geschichte gezeigt, dass »Raserei von Nationalismus und Ideologien« sowie Teilung überwunden werden könnten, sagte Steinmeier. Stattdessen rief er zu Versöhnung und politischer Vernunft auf. Der SPD-Politiker will jedoch offenbar nicht mit gutem Beispiel vorangehen. Laut einem Sprecher lehnte Steinmeier nun eine Entschuldigung bei Kurnaz mit der Begründung ab, die Geschehnisse würden viele Jahre zurückliegen.
Steinmeier war für unpopuläre Entscheidungen mitverantwortlich, musste sich aber selten rechtfertigen.