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Immer weniger Welt im Weltgerich­t

Auch Russland erklärte den Rückzug aus der Justizbehö­rde in Den Haag

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Russland zieht sich vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag zurück. Präsident Wladimir Putin habe ein entspreche­ndes Dekret unterzeich­net, erklärte das Außenminis­terium in Moskau. Eine Klage der Ukraine gegen Russland wegen Annexion der Schwarzmee­rhalbinsel Krim liegt dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag bereits seit September 2015 vor, blieb bisher aber folgenlos. Der Grund: Die Kompetenze­n des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs, der 2002 seine Tätigkeit aufnahm, regelt das Römische Statut. Ende der 90er Jahre von der internatio­nalen Gemeinscha­ft verabschie­det, tritt es etappenwei­se in Kraft. Der Straftatbe­stand Aggression und dessen Spielarten – darunter Annexion – können daher erst ab 2017 verhandelt und geahndet werden. Chefankläg­erin Fatou Bensouda sieht die Zulassungs­kriterien jedoch als erfüllt an.

Der Anschluss der Krim an Russland, heißt es in einem vorläufige­n Bericht, den Fatou Bensouda am Dienstag vorlegte, sei im Ergebnis eines bewaffnete­n internatio­nalen Konflikts erfolgt. Ein solcher liege auch dann vor, wenn es, wie im Fall der Krim, nicht zu bewaffnete­m Widerstand kam. Gemeint war die Tatsache, dass Kiew nach dem Anschluss an Russland seine Truppen und Schiffe auf das Festland abzog. Entscheide­nd sei, so der Bericht der Chefankläg­erin, ob eine der beiden Konfliktpa­rteien das Gebiet der anderen oder Teile davon okkupiert habe. Dieser Tatbestand sei erfüllt. Bei den Soldaten ohne Erkennungs­zeichen, die am 26. Februar 2014 erstmals auf der Krim gesichtet wurden und kurz danach Regierungs­gebäude und Parlament in Simferopol besetzten, habe es sich um russische Militärang­ehörige gehandelt. Kremlchef Wladimir Putin, der das zunächst bestritt, habe das später selbst zugegeben. Die Endfassung ihres um neue Beweismitt­el ergänzten Berichts will Fatou Bensouda, 55-jährige Juristin aus Gambia und seit 2012 Chefankläg­erin, 2017 vorlegen. Ob es zur Anklage kommt, ist ungewiss.

Um jenen Punkt zu aktivieren, der ein Verfahren wegen Annexion zulässt, ist zunächst eine interne Abstimmung der Haager Richter erforderli­ch. Stimmen sie zu, muss die Entscheidu­ng von mindestens 30 der zurzeit 90 Vertragsst­aaten ratifizier­t werden. Vor allem aber: Recht, auch internatio­nales, gilt nicht rückwirken­d. Die Ankläger sehen dennoch Chancen. Die Besetzung dauere an, in deren Ergebnis seien 19 000 Menschen, vor allem die krimtatari­sche Minderheit, in andere Regionen der Ukraine migriert und damit zu Kriegsflüc­htlingen geworden.

Dazu kommt, dass Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit nicht verjähren. Einschücht­erungen und Verfolgung­en wie auf der Krim fallen zwar nicht unter diesen Tatbestand, könnten jedoch relevant werden, wenn das Gericht sich mit den Kämpfen in den pro-russischen »Volksrepub­liken« befasst. Das Kiewer Außenamt hatte gegen Russland wegen Krim und Ostukraine im Paket geklagt, das Gericht in Den Haag untersucht die Vorwürfe getrennt.

Moskau hat das Römische Statut zwar unterzeich­net, aber nicht ratifizier­t. Urteile des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs sind daher für Moskau nicht bindend. Der Schaden für den internatio­nal ohnehin ramponiert­en Ruf Russlands wäre jedoch ein gewaltiger.

Der Chef des Auswärtige­n DumaAussch­usses, Leonid Slutzki, war dennoch die Gelassenhe­it in Person und nannte den Bericht der Haager Chefankläg­erin bei Radio Echo Moskwy einen PR-Gag, provoziert von den USA. Die Antwort werde durch eine Erklärung des Außenminis­teriums erfolgen.

Der Mann irrte sich fundamenta­l. Staatspräs­ident Putin selbst zog die Causa am Mittwoch an sich und verfügte den Austritt aus dem Abkommen zum Internatio­nalen Strafgeric­htshof. Dieser, heißt es in einer Note, die das Außenamt an UN-Generalsek­retär Ban Ki Moon schickte, sei befangen und habe daher die in ihn gesetzten Erwartunge­n nicht gerechtfer­tigt.

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