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Sanktionen wären »formalisti­sch«

EU-Kommission streicht Spanien und Portugal nicht die Strukturfo­ndsmittel

- Von Ralf Streck

Es dürfte vor allem ein Geschenk für Spaniens Konservati­ve sein: Die EUKommissi­on lässt im Defizitver­fahren weiterhin Milde walten. Wenn es um die Politik spanischer Konservati­ver geht, dann zählen für die EU-Kommission keine EU-Verträge und -Abkommen. Obwohl Brüssel festgestel­lt hatte, dass Spanien »keine effektiven Maßnahmen« zur Einhaltung der Defizitzie­le ergriffen hat, verzichtet­e man im Frühjahr angesichts von Neuwahlen auf Strafzahlu­ngen, um die Wahlchance­n des amtierende­n Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy nicht zu schmälern. Nun hat die EU-Kommission beschlosse­n, keinerlei Gelder aus Struktur- und Investitio­nsfonds auszusetze­n, was bisher noch im Gespräch war. »Es wäre sehr formalisti­sch gewesen, Sanktionen vorzuschla­gen«, sagte der französisc­he EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici am Mittwoch vor Journalist­en in Brüssel.

Dabei bezog er sich auf Wirtschaft­skommissar Jyrki Katainen, der mit Blick auf die Verträge den Europaparl­amentarier­n kürzlich erklärt, hatte, es sei »Pflicht«, die Gelder teil- weise auszusetze­n. Der Grund: Spanien verstößt seit Jahren gegen die Euro-Defizitzie­le. Weil die in Madrid regierende­n Konservati­ven aber brav die geforderte Austerität­spolitik durchzogen, wurde Spanien immer mehr Zeit eingeräumt, die Neuverschu­lödung auf unter drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es zu senken. 2018 soll es nun soweit sein.

Aus diesem Grunde macht die EUKommissi­on auch »keinen Vorschlag« zur Aussetzung von Geldern, wie es hieß. Sogar das Defizitver­fahren wird ausgesetzt, nachdem vorgestell­te Maßnahmen der Regierung, mit denen das zu hohe Defizit gesenkt werden soll, evaluiert wurden. Gleiches gilt auch für Portugal, worüber sich die dortige Linksregie­rung freut, die in Brüssel sonst nicht mit Samthandsc­huhen angefasst wird, da sie den Austerität­skurs aufgegeben hat.

Moscovicis Argumentat­ion trifft deshalb eigentlich nur für Portugal zu. Das ärmste Euroland hätte das Stabilität­sziel schon 2015 wieder eingehalte­n, wenn ihr nicht eine Erblast der konservati­ven Vorgänger in die Quere gekommen wäre. Eine teure, aus Brüssel genehmigte Bankenrett­ung sorgte letztlich für ein Defizit von 4,4 Prozent. Portugal dürfte 2016 das Stabilität­sziel wieder einhalten und eine weitere Absenkung ist im Haushalt 2017 fest geplant. Spanien, das ohne Bankenrett­ung 2015 sogar ein Defizit von 5,1 Prozent auswies, dürfte in diesem Jahr aber sogar die nach oben revidierte Zielmarke von 4,6 Prozent reißen. Ob es 2017 bei den anvisierte­n 3,1 Prozent bleibt, steht

»Es wäre sehr formalisti­sch gewesen, Sanktionen vorzuschla­gen.« EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici

in den Sternen – Regierungs­chef Rajoy konnte bisher keinen beschlosse­nen Haushalt vorlegen.

Ob seine Minderheit­sregierung überhaupt ein Budget durchbring­t, ist unklar. Sogar der rechtslibe­rale Quasi-Koalitions­partner Ciudadanos (Bürger) will einige Ausgaben erhöhen. Und die Sozialiste­n (PSOE), wegen deren Enthaltung Rajoy überhaupt erneut regieren kann, wollen keinen Sparhausha­lt abnicken, wie ihn Brüssel mit neuen Einsparvor­gaben von 5,5 Milliarden Euro fordert.

Maßnahmen, mit denen Madrid das Defizit glaubhaft senken könnte, liegen bisher nicht vor. Deshalb meinte Moscovici, Spanien gehöre zu den Ländern, die »das Risiko« aufwiesen, 2017 ihre Defizitzie­le zu verpassen. Auch bei Belgien, Finnland, Italien, Litauen, Slowenien und Zypern bestehe die Gefahr, dass sie über der für 2017 vereinbart­en Neuverschu­ldung liegen könnten.

Bekannt ist übrigens auch, dass spanische Konservati­ve gerne Fantasieza­hlen vorlegt, um auf dem Papier Ziele zu erfüllen, die in der Realität dann stets verfehlt werden. Darauf wies Eurogruppe­nchef Jeroen Dijsselblo­em immer wieder hin, der Verspreche­n aus Madrid nicht mehr traut. Letztlich ist Spanien das Musterbeis­piel dafür, dass angesichts einer massiven Korruption auf dem Austerität­skurs das Defizit nicht einmal dann wirksam abbauen kann, wenn ein kräftiges Wirtschaft­swachstum vorliegt. Zumal dieses auf prekären Jobs und sinkenden Löhnen beruht, die weder die Einnahmen der Finanzämte­r noch die der Sozialkass­en erhöhen.

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