Sanktionen wären »formalistisch«
EU-Kommission streicht Spanien und Portugal nicht die Strukturfondsmittel
Es dürfte vor allem ein Geschenk für Spaniens Konservative sein: Die EUKommission lässt im Defizitverfahren weiterhin Milde walten. Wenn es um die Politik spanischer Konservativer geht, dann zählen für die EU-Kommission keine EU-Verträge und -Abkommen. Obwohl Brüssel festgestellt hatte, dass Spanien »keine effektiven Maßnahmen« zur Einhaltung der Defizitziele ergriffen hat, verzichtete man im Frühjahr angesichts von Neuwahlen auf Strafzahlungen, um die Wahlchancen des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy nicht zu schmälern. Nun hat die EU-Kommission beschlossen, keinerlei Gelder aus Struktur- und Investitionsfonds auszusetzen, was bisher noch im Gespräch war. »Es wäre sehr formalistisch gewesen, Sanktionen vorzuschlagen«, sagte der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici am Mittwoch vor Journalisten in Brüssel.
Dabei bezog er sich auf Wirtschaftskommissar Jyrki Katainen, der mit Blick auf die Verträge den Europaparlamentariern kürzlich erklärt, hatte, es sei »Pflicht«, die Gelder teil- weise auszusetzen. Der Grund: Spanien verstößt seit Jahren gegen die Euro-Defizitziele. Weil die in Madrid regierenden Konservativen aber brav die geforderte Austeritätspolitik durchzogen, wurde Spanien immer mehr Zeit eingeräumt, die Neuverschulödung auf unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu senken. 2018 soll es nun soweit sein.
Aus diesem Grunde macht die EUKommission auch »keinen Vorschlag« zur Aussetzung von Geldern, wie es hieß. Sogar das Defizitverfahren wird ausgesetzt, nachdem vorgestellte Maßnahmen der Regierung, mit denen das zu hohe Defizit gesenkt werden soll, evaluiert wurden. Gleiches gilt auch für Portugal, worüber sich die dortige Linksregierung freut, die in Brüssel sonst nicht mit Samthandschuhen angefasst wird, da sie den Austeritätskurs aufgegeben hat.
Moscovicis Argumentation trifft deshalb eigentlich nur für Portugal zu. Das ärmste Euroland hätte das Stabilitätsziel schon 2015 wieder eingehalten, wenn ihr nicht eine Erblast der konservativen Vorgänger in die Quere gekommen wäre. Eine teure, aus Brüssel genehmigte Bankenrettung sorgte letztlich für ein Defizit von 4,4 Prozent. Portugal dürfte 2016 das Stabilitätsziel wieder einhalten und eine weitere Absenkung ist im Haushalt 2017 fest geplant. Spanien, das ohne Bankenrettung 2015 sogar ein Defizit von 5,1 Prozent auswies, dürfte in diesem Jahr aber sogar die nach oben revidierte Zielmarke von 4,6 Prozent reißen. Ob es 2017 bei den anvisierten 3,1 Prozent bleibt, steht
»Es wäre sehr formalistisch gewesen, Sanktionen vorzuschlagen.« EU-Währungskommissar Pierre Moscovici
in den Sternen – Regierungschef Rajoy konnte bisher keinen beschlossenen Haushalt vorlegen.
Ob seine Minderheitsregierung überhaupt ein Budget durchbringt, ist unklar. Sogar der rechtsliberale Quasi-Koalitionspartner Ciudadanos (Bürger) will einige Ausgaben erhöhen. Und die Sozialisten (PSOE), wegen deren Enthaltung Rajoy überhaupt erneut regieren kann, wollen keinen Sparhaushalt abnicken, wie ihn Brüssel mit neuen Einsparvorgaben von 5,5 Milliarden Euro fordert.
Maßnahmen, mit denen Madrid das Defizit glaubhaft senken könnte, liegen bisher nicht vor. Deshalb meinte Moscovici, Spanien gehöre zu den Ländern, die »das Risiko« aufwiesen, 2017 ihre Defizitziele zu verpassen. Auch bei Belgien, Finnland, Italien, Litauen, Slowenien und Zypern bestehe die Gefahr, dass sie über der für 2017 vereinbarten Neuverschuldung liegen könnten.
Bekannt ist übrigens auch, dass spanische Konservative gerne Fantasiezahlen vorlegt, um auf dem Papier Ziele zu erfüllen, die in der Realität dann stets verfehlt werden. Darauf wies Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem immer wieder hin, der Versprechen aus Madrid nicht mehr traut. Letztlich ist Spanien das Musterbeispiel dafür, dass angesichts einer massiven Korruption auf dem Austeritätskurs das Defizit nicht einmal dann wirksam abbauen kann, wenn ein kräftiges Wirtschaftswachstum vorliegt. Zumal dieses auf prekären Jobs und sinkenden Löhnen beruht, die weder die Einnahmen der Finanzämter noch die der Sozialkassen erhöhen.