REZENSION Fassade soll stehen bleiben
Depressionen gelten als typisch weiblich. Anne Maria MöllerLeimkühler, Professorin für Sozialwissenschaftliche Psychiatrie an der Universität München, fragt in ihrem Buch, ob Männer weniger anfällig sind.
Ihre Antwort: Das kann schon deshalb nicht sein, weil Suizide bei Männern etwa dreimal häufiger sind als bei Frauen. Depressionen wiederum sind aber die wichtigste Ursache für Selbsttötungen. Die Autorin spricht von einem »Paradox«, dessen Auflösung sie bereits durch die leicht provokante Kapitelüberschrift andeutet: »Frauen suchen Hilfe, Männer bringen sich um.« Während Suizidversuche, die Psychologen als Hilferufe verstehen, bei Frauen häufiger sind, ist für Männer die Selbsttötung der letzte Akt einer autonomen »Problemlösung«. Dahinter steckt nach Überzeugung der Autorin vielfach eine nicht erkannte Depression.
Männer nehmen die klassischen Depressionssymptome bei sich selbst nicht wahr und wollen dies oft auch nicht, weil sie diese als »weibisch« einstufen. Kommt hinzu, dass es ihnen oft schwerer fällt, über Gefühle und psychische Probleme zu sprechen sowie Hilfe zu suchen. Gehen sie dennoch zum Arzt, klagen sie eher über physische Symptome wie Rückenschmerzen oder Müdigkeit. Psychische Störungen würden daher öfter übersehen, schreibt die Sozialwissenschaftlerin. Bei Frauen sei es genau umgekehrt.
Viel Aufmerksamkeit widmet die Autorin dem »ChamäleonPhänomen«. Depressive Männer wehren die typischen Symptome der Krankheit – wie Antriebslosigkeit und Ängstlichkeit – ab, indem sie sich in die Arbeit flüchten, viel Alkohol konsumieren, exzessiv Sport treiben oder aggressiv werden. Diese meist unbewusste Maskierung ziele darauf ab, die »männliche Fassade« zu bewahren. Psychische Erkrankungen sind bei Männern gesell- schaftlich weniger akzeptiert als bei Frauen. Anders verhält es sich mit dem »Burn-out«, das gesellschaftlich anerkannt wird: Es stelle eine sozial akzeptierte Form dar, über psychische Probleme zu sprechen. In Wirklichkeit verberge sich dahinter meist eine Depression.
Mit ihrem Buch möchte die Autorin nicht nur aufklären, sondern auch einen Beitrag zur Prävention liefern. Im letzten Kapitel gibt sie Tipps, wie Männer ungünstige Verhaltensmuster »verlernen« und etwas für ihre psychische und physische Gesundheit tun können. Immer wieder appelliert sie auch direkt an die Leser, indem sie einen Absatz mit »Meine Herren« einleitet. Ob sie sich dadurch eher angesprochen fühlen? Oder ob das Buch nicht doch eher von ihren Frauen gelesen wird?