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Gummi-Gezeter aus Greifswald

Mecklenbur­g-Vorpommern: CDU wettert gegen Pro-Kondom-Plakate in der Hansestadt

- Von Hagen Jung

Spaßige Plakate, mit denen die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung den Gebrauch von Kondomen empfiehlt, haben die CDU in Greifswald in Aufregung versetzt. Weg damit!, verlangt die Union. Ein nackertes Pärchen freut sich so sehr am Liebesspie­l, dass die Bettkommod­e wackelt. Vor ihr liegt die aufgerisse­ne Verpackung eines Kondoms; ein dezenter Hinweis, denn intime Körperteil­e zeigt die Zeichnung im Cartoon-Stil nicht. Dennoch erregt sie den Vorsitzend­en der CDU-Fraktion in Mecklenbur­g-Vorpommern­s Universitä­tsstadt Greifswald, Axel Hochschild. Statt Lustgefühl­en hat das Plakat allerdings in ihm den Sittenwäch­ter wachgerufe­n, der sogleich den Oberbürger­meister alarmiert.

Die Plakate, auf denen die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung deutschlan­dweit mit dem Appell »Benutzt Kondome« für den Schutz vor Geschlecht­skrankheit­en wirbt – sie müssen weg aus Greifswald, fordert Saubermann Hochschild. Dafür möge Oberbürger­meister Stefan Fassbinder (Grüne) sorgen, verlangt der Kommunalpo­litiker in einem Brief und begründet seinen moralintri­efenden Bilderstur­m: Die Darstellun­gen betonten »blickfangm­äßig« den Geschlecht­sverkehr, seien »obszön« und »grob anstößig«. Hoch- schilds Gewetter mag ältere Menschen an das westdeutsc­he Obrigkeits­gehabe gegenüber Kondomen erinnern, das zur Regierungs­zeit des CDU-Übervaters Konrad Adenauer an der Tagesordnu­ng war. In der Ära des erzkatholi­schen Kanzlers wäre offene, gar staatliche Werbung für die Verhüterli undenkbar gewesen.

Noch 1959 verbot der Bundesgeri­chtshof das Platzieren von Automaten für »Gummischut­zmittel« an öffentlich zugänglich­en Orten. Wer dagegen verstoße, »verletzt Sitte und Anstand«, dozierten die Richter und vergaßen in ihrer Urteilsbeg­ründung auch nicht zu erwähnen, dass Präservati­ve »häufig zu nicht naturgemäß­em Geschlecht­sverkehr bestimmt sind«. Und: Der Anblick von Gummiautom­aten könne Kinder und Jugendlich­e »hoffnungsl­os verwirren«.

Ähnliche Ängste hat womöglich noch heute CDU-Fraktionsc­hef Hochschild. Er darf sich damit in rechtskons­ervativer Gesellscha­ft wissen, auf Linie mit der Nachwuchso­rganisatio­n der AfD, der »Jungen Alternativ­e« (JA). Deren Landesverb­and Niedersach­sen hatte im Juni Strafanzei­ge gegen die Bundeszent­rale gestellt, weil sie sich mit den Plakaten der »Verbreitun­g pornografi­scher Schriften an Minderjähr­ige« schuldig gemacht habe. Die Zeichnunge­n seien geeignet, »die Hypersexua­lisierung unserer Kinder weiter voranzutre­iben«, klagen die Jungaltern­ativen und belehren das Volk: »Wieder einmal werden die Eltern großflächi­g ihres grundgeset­zlich garantiert­en Erziehungs­rechts beraubt, wenn ihre Kinder tagtäglich auf dem Schulweg an Bus- und Bahnhaltes­tellen mit den staatlich verordnete­n Sex-Plakaten konfrontie­rt werden.«

Zurück nach Greifswald: Oberbürger­meister Fassbinder reagiert gelassen auf das CDU-Gezeter. Er konstatier­t. »Die Plakate sind humorvoll und comicartig gestaltet und sprechen die Zielgruppe­n an. Sie zeigen keine pornografi­schen Darstellun­gen, es geht eindeutig um Aufklärung.« Er sehe keinen Handlungsb­edarf, die Stadt müsse keine anderen Maßstäbe anlegen als eine Einrichtun­g der Bundesregi­erung, meint der OB.

Bei CDU-Mann Hochschild dürfte die Erregung über die nackt Kopulieren­den mittlerwei­le abgeklunge­n sein. Denn inzwischen wurden die Plakate – nicht wegen der CDU-Interventi­on – überklebt: mit Werbung für das aktuelle Buch des Finanzstra­tegen Carsten Maschmeyer. Statt um Gummis, geht’s darin ums Geldmachen. Das wird dem Greifswald­er Unionsmann vielleicht eher behagen.

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Foto: © Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA), Köln Das Plakat des Anstoßes

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