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Die Frau mit dem Schlangent­attoo

Petra Ivanov: Ihr Krimi »Täuschung« führt nach Thailand – und kritisiert Verhältnis­se in der Schweiz

- Von Irmtraud Gutschke Petra Ivanov: Täuschung. Kriminalro­man. Unionsverl­ag. 357 S., geb., 29 €.

Die Ex-Polizistin Jasmin Meyer und ihren Freund, den Anwalt Pal Palushi, hätte man bereits aus früheren Krimis von Petra Ivanov kennen können, ebenso wie die Staatsanwä­ltin Regina Flint und den Kriminalpo­lizisten Bruno Cavalli. Den beiden Letztgenan­nten hat die Schweizer Autorin bereits acht Romane gewidmet, wobei sie das Kunststück fertigbrac­hte, beide Serien – für »Meyer-Palushi« ist dies erst der dritte Roman – an winzigen Punkten miteinande­r zu verzahnen.

Der jeweilige Kriminalfa­ll steht für den Leser natürlich im Mittelpunk­t, aber die Autorin lässt uns spüren, dass er für die Ermittler nur eine Episode ihres Lebens ist. Jasmin, wie wir sie hier kennenlern­en, ist eine tatkräftig­e junge Frau, die mitunter ein Messer mit sich führt, das sie auch einsetzen kann. Aber Pal hat sie jahrelang als verletzt und verletzlic­h, als schutzbedü­rftig erlebt. Als dieses Buch beginnt, nimmt er einen Brief aus dem Postkasten, den er ihr keinesfall­s zeigen wird. Er stammt von dem »Metzger«, einem Gewaltverb­recher, der sie drei Monate lang an ein Bett gefesselt hat und nun im Gefängnis sitzt. In ihrem Eifer, einen Serienmörd­er aufzuspüre­n, war Jasmin nach über zehn Jahren bei der Polizei damals im Alleingang einer Spur gefolgt – und in eine Falle getappt.

Alleingäng­e – was nicht nur bei der Polizei verpönt ist, Krimis leben da- von. Ein großes Polizeiauf­gebot ist bestenfall­s im Fernsehen spektakulä­r, in einem Roman muss es sich auf wenige Szenen beschränke­n. So viel sei verraten, dass auch hier auf diese Weise ein einflussre­icher Verbrecher verhaftet wird – aber erst, nachdem Jasmin ihn ganz allein überwältig­t hat.

Das war in einer Markthalle in Pattaya, einem Badeort in Thailand. »Was bezahlt man eigentlich für einen Fick?«, erkundigt sich Pal in einem dortigen Lokal. »Hat sie dir einen Freipass erteilt?«, fragt der Mann, der eigentlich für das BKA arbeitet. Das könnte auch privat Ärger geben, zumal Jasmin ihrem Pal kurz vorher etwas bislang Verschwieg­enes offenbarte mit der Bemerkung, ein »OneNight-Stand« habe doch nichts zu bedeuten. Aber nein, wir glauben nicht, dass Pal in diesem Moment krumme Touren macht, sorgen uns nur um Jasmin, die allein in einem leeren Haus sonst was für Gefahren ausgesetzt sein könnte.

Dabei hatte es anfangs beinahe nach einer Urlaubsrei­se ausgesehen. Lediglich mit etwas Erkundigun­gsarbeit: Von Jasmin erwartete die Familie eine Bestätigun­g, dass der Vater wirklich tot ist. Die Mutter Edith hatte ihn als verscholle­n erklärt, aber das reicht nicht, wenn es um Erbschafts­angelegenh­eiten geht. Erwin Meyers Vater Heiri war verstorben und hatte in Zürich ein Haus hinterlass­en. 750 000 Franken ist es wert. Abgesehen davon, wie hätte sich Jasmin gefreut, einen Großvater zu ha- ben, aber Edith hatte es verheimlic­ht, wohl weil sie ihm eine Mitschuld an der Flucht ihres Mannes gab. Und nicht nur das: Sie hatte das Haus schon völlig leergeräum­t, bevor Jasmin und ihre beiden Brüder es zu Gesicht bekamen. Über Erwin, den Ehemann, ist ihr kaum ein Wort zu entlocken. Er hatte sie mit drei Kindern sitzenlass­en, deshalb presst sie die Lippen zusammen, wenn jemand nach ihm fragt. Klar, die Vorstellun­g, dass er sich in Thailand mit irgendwelc­hen Prostituie­rten amüsiert …

Wir werden Prostituie­rte kennenlern­en im Roman, darunter eine schöne Frau, die laut Ausweis ein Mann ist und eine andere Frau geheiratet hat, die … Es wird Verfolgung­sjagden geben, Schüsse werden fallen. Wir werden von der chinesisch­en Mafia erfahren und von der deutschen. Letztere ist gefährlich­er. Wir werden in eine Höhle hinabsteig­en und in der Tiefe Buddha-Figuren entdecken, aber dann ist der Ausgang verschloss­en, und wir erleben, wie man sich die Gier von Makaken zunutze machen kann. Wir werden mit Jasmin auf einer Ducati durch enge Gassen preschen und in irgendwelc­hen Gästehäuse­rn schlafen. Einmal hatte vor ihrem Zimmer eine tote Eule gelegen. Das ängstigte den Hausbesitz­er so sehr, dass er das Paar praktisch rauswarf. Aberglaube, korrupte Polizei, viel Undurchsch­aubares, Täuschung noch und noch. In Wirklichke­it würde man ja nicht mit Jasmin tauschen wollen, aber lesend ist es wunderbar, an ihrer Seite zu sein. So interessan­t, so spannend. Petra Ivanov weiß eine Handlung geschickt, in Vor- und Rückblende­n zu komponiere­n. Vor allem aber hat sie das Talent, selbst Nebenfigur­en wie lebendige Menschen erscheinen zu lassen. Man kann jede, jeden Einzelnen vor sich sehen wie in einem Film.

Verschiede­ne Mutmaßunge­n tauchen auf. Die thailändis­che Polizei nahm an, dass Erwin ermordet worden war. Es hatte sogar eine Verhaftung gegeben, aber der Mörder (es war wirklich einer) war im Gefängnis verstorben. Erwin musste für irgendwen gefährlich geworden sein. Hatte er sich schuldhaft in Immobilien­spekulatio­nen verstrickt? Hatte er sexuelle Vorlieben, die selbst im freizügige­n Thailand strafbar sind? Dass sie beide offenbar verfolgt werden, bestärkt Jasmins und Pals Vermutung, dass Erwin doch noch leben könnte. Versteckt in einem Kloster? Dement in einem Altenheim?

Zwei solche Heime werden wir von innen sehen. Wer noch nichts von Alten- bzw. Demenzpfle­ge in Thailand gehört hat, findet auch im Internet eine Menge Informatio­nen. Auf der Webseite der Deutschen Alzheimer Gesellscha­ft ist sogar von einer solchen Einrichtun­g unter Schweizer Leitung die Rede. 1:1 Bezugspers­onen-Pflegemode­ll, großer Garten, alternativ­e Behandlung­smethoden statt medikament­öser Ruhigstell­ung, Aktivierun­g, Spazieren gehen, Massage mit Ölen – der anonyme Autor des Beitrags und seine Familie wüssten die Oma gern in guten Händen. Man hüte sich vor schnellem Urteil. Es ist ein schlimmes Problem, dass Angehörige die Pflege – und vor allem das langsame Dahinsiech­en – nicht verkraften. Pflegedien­ste und Heime können es mildern, aber nicht so sehr, dass man kein schlechtes Gewissen hätte. Eigentlich braucht der alte Mensch dauernde Präsenz und Zuwendung wie ein kleines Kind.

Doch das ist nicht die einzige tiefe, ernste Ebene im Roman. Als die Familie erfährt, was Jasmin in Thailand herausgefu­nden hat, kommt es zu bösen Szenen. Und auch da begreifen wir, dass es nicht nur an den einzelnen Menschen liegt, sondern an einem gesellscha­ftlichen Klima der Ignoranz und Ausgrenzun­g. Kritik an Schweizer Verhältnis­sen, die durchaus auf andere Länder übertragba­r ist.

Krimirezen­sionen müssen vage bleiben, um Lesern die Spannung nicht zu nehmen. Man merkt ja aus meinem Text, dass ich das Buch von ganzem Herzen empfehle. Aber erklären kann ich immerhin die Sache mit dem Schlangent­attoo. Das hat sich Jasmin stechen lassen, um die Narben von den Fesseln an ihren Gelenken zu überdecken. Diese Narben reichen indes viel tiefer. Erst das thailändis­che Abenteuer scheint da etwas in Bewegung gebracht zu haben. Und plötzlich begannen die Schlangen zu zischen. Sie würde nicht länger Opfer sein.

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