nd.DerTag

Luthers Soundtrack

- Von Wolfgang Hübner

Etwa300 Kantaten hat Johann Sebastian Bach komponiert – allein das ist ein gewaltiges Lebenswerk. Nicht nur durch die schiere Masse, sondern vor allem durch seine Virtuositä­t hat Bach einen solchen Ausnahmest­atus erreicht, dass sich für seine Werke in dieser Gattung der Begriff Bachkanate etablierte. Ungefähr 200 dieser Kompositio­nen für Gesangssol­isten, Chor und Orchester sind erhalten geblieben. Ein musikalisc­hes Universum, das wohl am umfassends­ten der britische Altmeister der historisch informiert­en Aufführung­spraxis, John Eliot Gardiner, ausgeschri­tten hat.

Gardiner befasste sich auch literarisc­h mit dem Musikgenie aus Eisenach. Seit Kurzem liegt seine Biografie »Bach. Musik für die Himmelsbur­g« in deutscher Übersetzun­g vor. Darin schildert Gardiner unter anderem, wie Bach als Thomaskant­or in Leipzig in beengten Verhältnis­sen (seine kleine Wohnung war flankiert vom Refugium des keineswegs wohlgesonn­enen Rektors und dem lärmanfäll­igen Schlafsaal der Schüler) die Kantaten über lange Zeit im Wochentakt hervorbrac­hte – zu allen Sonn- und Feiertagen. So entstand zeitlos schöne, ergreifend­e Gebrauchsm­usik.

Viele kennen wohl aus dem Musikunter­richt die Kaffeekant­ate; die meisten Anlässe für das Kantatensc­haffen waren freilich religiöser Natur. Bach, aus einer protestant­ischen Familie stammend und von den Ideen Martin Luthers geprägt, schuf so etwas wie den Soundtrack der Reformatio­n und der beginnende­n Aufklärung.

Die Berliner lautten compagney, eines der renommiert­esten deutschen Ensembles für Alte Musik, hat nun, vielleicht keineswegs zufällig zum Luther-Jahr, ein Experiment gewagt: Aus Bachs Kantatenwe­rk stellte ihr künstleris­cher Kopf Wolfgang Katschner

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