Luthers Soundtrack
Etwa300 Kantaten hat Johann Sebastian Bach komponiert – allein das ist ein gewaltiges Lebenswerk. Nicht nur durch die schiere Masse, sondern vor allem durch seine Virtuosität hat Bach einen solchen Ausnahmestatus erreicht, dass sich für seine Werke in dieser Gattung der Begriff Bachkanate etablierte. Ungefähr 200 dieser Kompositionen für Gesangssolisten, Chor und Orchester sind erhalten geblieben. Ein musikalisches Universum, das wohl am umfassendsten der britische Altmeister der historisch informierten Aufführungspraxis, John Eliot Gardiner, ausgeschritten hat.
Gardiner befasste sich auch literarisch mit dem Musikgenie aus Eisenach. Seit Kurzem liegt seine Biografie »Bach. Musik für die Himmelsburg« in deutscher Übersetzung vor. Darin schildert Gardiner unter anderem, wie Bach als Thomaskantor in Leipzig in beengten Verhältnissen (seine kleine Wohnung war flankiert vom Refugium des keineswegs wohlgesonnenen Rektors und dem lärmanfälligen Schlafsaal der Schüler) die Kantaten über lange Zeit im Wochentakt hervorbrachte – zu allen Sonn- und Feiertagen. So entstand zeitlos schöne, ergreifende Gebrauchsmusik.
Viele kennen wohl aus dem Musikunterricht die Kaffeekantate; die meisten Anlässe für das Kantatenschaffen waren freilich religiöser Natur. Bach, aus einer protestantischen Familie stammend und von den Ideen Martin Luthers geprägt, schuf so etwas wie den Soundtrack der Reformation und der beginnenden Aufklärung.
Die Berliner lautten compagney, eines der renommiertesten deutschen Ensembles für Alte Musik, hat nun, vielleicht keineswegs zufällig zum Luther-Jahr, ein Experiment gewagt: Aus Bachs Kantatenwerk stellte ihr künstlerischer Kopf Wolfgang Katschner