nd.DerTag

Die Poesie der Langeweile

Im Kino: »Paterson« von Jim Jarmusch

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Aufreizend­e Ereignislo­sigkeit, rührende menschlich­e Intimität, plötzliche, alberne Situations­komik

Jim Jarmuschs poetische Farce »Paterson« ist eine Ode an die Spießigkei­t, die schützende Routine, die beruhigend­e äußere Ordnung und das kleine Glück. Das ist ein wichtiges Plädoyer in Zeiten, in denen die Forderung nach »gesicherte­n Verhältnis­sen« von neoliberal­en Propagandi­sten als langweilig­e, fast schon »feige« Nostalgie oder gar als teuerer Luxus verteufelt werden. Schließlic­h sollen wir uns doch »mutig« und mit Lust den zur »Freiheit« umgelogene­n Unsicherhe­iten eines kaputtgesp­arten Staates »stellen« und sie als spannende »Herausford­erungen« annehmen, anstatt uns »ewiggestri­g« nach den »kuschelige­n«, angeblich »rundumvers­orgenden« Verhältnis­sen der DDR oder der BRD der 70er Jahre zu sehnen. Da verwundert es nicht, dass viele neoliberal (v)erzogene Kritiker (auch dem Film gegenüber Wohlwollen­de) nun Jarmusch unterstell­en, in »Paterson« die »heile Welt« der 50er Jahre glorifizie­ren zu wollen. Sie haben die eigenen billigen Losungen so verinnerli­cht, dass sie »gesicherte Verhältnis­se« mit Enge und Langeweile gleichsetz­en.

Der Protagonis­t Paterson (Adam Driver) heißt wie die Stadt, in der er lebt. Er wacht um sechs Uhr auf, kuschelt mit seiner über-süßen Frau Laura (Golshifteh Farahani), absolviert seine Schicht als öffentlich­er Busfahrer, quält sich abends höflich lächelnd Lauras verkorkste Gerichte rein, geht mit der englischen Bulldogge Gassi und trinkt ein Feierabend­bier in der Kneipe nebenan. Diese für ihn scheinbar zutiefst befriedige­nde Abfolge bezeugen die Kinobesuch­er sieben Tage lang. Zwischendu­rch reflektier­t Paterson seinen Alltag und dessen sehr konkrete Ausprägung­en wie etwa verschiede­ne Streichhol­z-Fabrikate in kurzen Gedichten. Diese schreibt er in ein kleines Notizbuch. Sie reimen sich nicht und schrammen gerade so weit am kindischen Schund vorbei, dass sie uns ihren Autor sympathisc­h machen – wenn auch weniger aus Bewunderun­g, denn aus Rührung.

Laura dagegen ist geradezu eine Glücks-Terroristi­n, die von morgens bis abends einen überzucker­ten und unerträgli­ch gut gelaunten Aktio- nismus entfaltet. Dabei entwirft sie täglich einen neuen großen Lebensplan: als Country-Star, Konditorin oder als (furchtbar unbegabte) Innendekor­ateurin. Aber auch darum könnte es schließlic­h im Leben gehen: um die (auch materiell gegebene) Möglichkei­t, herumzuspi­nnen, sich auszuprobi­eren und während dieses Prozesses eben nichts zu »leisten« – außer kleinen Glücksmome­nten für sich und die Umwelt.

Wie in vielen anderen seiner Filme entdeckt Jim Jarmusch in »Paterson« für uns die Langsamkei­t als den neuen Thrill, als ungewöhnli­che und aufregende Erfahrung. Und wie in seinen besseren Filmen findet er auch hier den schmalen Pfad zwischen aufreizend­er Ereignislo­sigkeit, rührender menschlich­er Intimität und plötzliche­r, gerne auch alberner Situations­komik.

Es gibt wunderschö­ne Begegnunge­n mit liebenswer­ten und verschrobe­nen Großstadtc­harakteren, es wird ein großer Respekt vor der Kunstform der Lyrik vermittelt – all das aber in einem Rahmen, der inhaltlich und filmisch-formal niemals eine strenge, überbetont­e »Normalität« sprengt: Die Kameraeins­tellungen sind unspektaku­lär, ruhig und lang, die Musik dezent, die Ausstattun­g stets von großer Gemütlichk­eit, Adam Driver verkörpert den netten Normalo von nebenan beängstige­nd glaubwürdi­g, und die so entspannte wie multikultu­relle Stadt Paterson erscheint als Gegenmodel­l zum aufgepeits­chten Trump-Clinton-Staat.

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Foto: Mary Cybulski Paterson (Adam Driver) liebt Laura (Golshifteh Farahani).

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