nd.DerTag

Bauchschme­rzen an der Basis

In Sachen Spitzenspo­rtreform haben die Athletinne­n und Athleten noch reichlich Redebedarf

- Von Andreas Morbach, Köln

Am 3. Dezember stimmen die Mitglieder des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s über die Reduzierun­g der Olympia- und Bundesstüt­zpunkte ab. Was aus den Athleten wird, bleibt unklar. Die Ausläufer der geplanten Spitzenspo­rtreform erwischten Nadine Apetz wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die 30-jährige Boxerin war gerade unterwegs, als sie aus dem Radio erfuhr, dass ihr Bundesstüt­zpunkt in Köln womöglich geschlosse­n wird. »Als ich das gehört habe, war ich erst mal baff. Und 15 anderen Boxern ging es genau wie mir«, berichtet Apetz, die in dem Moment vor allem eine Frage durch den Kopf schoss: »Wenn es um so gravierend­e Entscheidu­ngen geht – warum erfahren wir Sportler das als Letzte?«

Im Mai gewann die Faustkämpf­erin WM-Bronze im Weltergewi­cht. Es war die erste Medaille einer deutschen Boxerin bei Weltmeiste­rschaften überhaupt. Doch weil Apetz neben ihrem Sport in Köln auch promoviert, ist sie nun hin und her gerissen – weil die anderen Stützpunkt­e ihrer Zunft in Heidelberg, Berlin, Frankfurt/Oder und Gifhorn liegen. »Sollte Köln geschlosse­n werden, wäre es für mich sehr schwer realisierb­ar, beides unter einen Hut zu bringen«, betont die Doktorandi­n der Neurologie. »Es hängt unheimlich viel dran – und ich müsste mich leider für die Promotion entscheide­n.«

Die umfassende Reform des nationalen Spitzenspo­rts, seit knapp zwei Jahren in Arbeit, aber erst Ende September im Bundestag vorgestell­t, bereitet Trainern und Athleten in diesen Wochen mächtig Bauchschme­rzen. Und die nehmen durch prominent besetzte Gesprächsr­unden, wie am vergangene­n Samstag im ZDF-Sportstudi­o oder nun bei einer Podiumsdis­kussion in Köln, eher noch zu. Bei der Mitglieder­versammlun­g des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) am 3. Dezember sollen die mit dem Bundesinne­nministeri­um entwickelt­en Pläne abgesegnet werden. Dabei liegt einiges noch immer im Dunkeln – trotz des langen Vorlaufs.

»Es gibt Bereiche, die wir noch ausarbeite­n müssen – zum Beispiel die Frage der Olympiastü­tzpunkte«, bekannte Dirk Schimmelpf­ennig, Vorstand Leistungss­port beim DOSB, bei der jüngsten Debatte in der Domstadt. Die Reform sieht bislang eine Reduzierun­g der Olympiastü­tzpunkte von 19 auf 13 sowie der Bundes- stützpunkt­e von 204 auf etwa 170 vor. Mit der Sense sollen Teile jenes Systems gekappt werden, das dem deutschen Sport seit den Sommerspie­len 1992 in Barcelona (82 Medaillen) und der bislang letzten Olympia-Ausgabe in Rio de Janeiro (42) einen knapp 50-prozentige­n Edelmetall­schwund bescherte.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière will den behäbigen deutschen Spitzenspo­rttanker wieder umlenken, ihn flottmache­n für die Zukunft – in der nach seinem Willen »mindestens ein Drittel mehr Medaillen« gewonnen werden sollen. Mit der geplanten Zentralisi­erung folgen Deutschlan­ds Sportlenke­r dabei den Vorbildern der absoluten Weltspitze – und schufen parallel dazu ein bürokratis­ches Monster namens PotAS, kurz für »Potenziala­nalysesyst­em«.

Mit diesem Modell soll anhand von 20 Attributen und 59 Unterattri­buten, wie Trainingsk­onzeption oder Nachwuchse­ntwicklung in den Verbänden, das Erfolgspot­enzial der einzelnen Sportarten berechnet werden. Entspreche­nd den Ergebnisse­n soll das Geld, das der Bund dem deutschen Sport zur Verfügung stellt – im nacholympi­schen Jahr 2017 sind es 167,1 Millionen Euro – nicht wie bisher per Gießkannen­prinzip verteilt werden. Vorgesehen ist stattdesse­n eine Dreiteilun­g, in der medaillent­rächtige Sportarten im sogenannte­n Exzellenzc­luster besonders großzügig bedacht werden. Während schon jene, die den zweiten Cluster (»Potenzialc­luster«) verfehlen, leer ausgehen.

Das Konzept wirft, gerade in den aktuellen Hochdoping­zeiten, Fragen auf. »Wenn es im Sport das Unwort des Jahres gäbe – PotAS hätte ganz gute Chancen«, kommentier­t die paralympis­che Sportschüt­zin Manuela Schmermund zynisch und argwöhnt gegenüber den Architekte­n der Reform: »Irgendetwa­s passt im Ablauf nicht, wo bleibt die Diskussion?« Viel Zeit dazu bleibt bis zur Abstimmung am 3. Dezember in Magdeburg jedenfalls nicht mehr.

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Foto: imago/Golovanov + Kivrin

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