Bauchschmerzen an der Basis
In Sachen Spitzensportreform haben die Athletinnen und Athleten noch reichlich Redebedarf
Am 3. Dezember stimmen die Mitglieder des Deutschen Olympischen Sportbundes über die Reduzierung der Olympia- und Bundesstützpunkte ab. Was aus den Athleten wird, bleibt unklar. Die Ausläufer der geplanten Spitzensportreform erwischten Nadine Apetz wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die 30-jährige Boxerin war gerade unterwegs, als sie aus dem Radio erfuhr, dass ihr Bundesstützpunkt in Köln womöglich geschlossen wird. »Als ich das gehört habe, war ich erst mal baff. Und 15 anderen Boxern ging es genau wie mir«, berichtet Apetz, die in dem Moment vor allem eine Frage durch den Kopf schoss: »Wenn es um so gravierende Entscheidungen geht – warum erfahren wir Sportler das als Letzte?«
Im Mai gewann die Faustkämpferin WM-Bronze im Weltergewicht. Es war die erste Medaille einer deutschen Boxerin bei Weltmeisterschaften überhaupt. Doch weil Apetz neben ihrem Sport in Köln auch promoviert, ist sie nun hin und her gerissen – weil die anderen Stützpunkte ihrer Zunft in Heidelberg, Berlin, Frankfurt/Oder und Gifhorn liegen. »Sollte Köln geschlossen werden, wäre es für mich sehr schwer realisierbar, beides unter einen Hut zu bringen«, betont die Doktorandin der Neurologie. »Es hängt unheimlich viel dran – und ich müsste mich leider für die Promotion entscheiden.«
Die umfassende Reform des nationalen Spitzensports, seit knapp zwei Jahren in Arbeit, aber erst Ende September im Bundestag vorgestellt, bereitet Trainern und Athleten in diesen Wochen mächtig Bauchschmerzen. Und die nehmen durch prominent besetzte Gesprächsrunden, wie am vergangenen Samstag im ZDF-Sportstudio oder nun bei einer Podiumsdiskussion in Köln, eher noch zu. Bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am 3. Dezember sollen die mit dem Bundesinnenministerium entwickelten Pläne abgesegnet werden. Dabei liegt einiges noch immer im Dunkeln – trotz des langen Vorlaufs.
»Es gibt Bereiche, die wir noch ausarbeiten müssen – zum Beispiel die Frage der Olympiastützpunkte«, bekannte Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport beim DOSB, bei der jüngsten Debatte in der Domstadt. Die Reform sieht bislang eine Reduzierung der Olympiastützpunkte von 19 auf 13 sowie der Bundes- stützpunkte von 204 auf etwa 170 vor. Mit der Sense sollen Teile jenes Systems gekappt werden, das dem deutschen Sport seit den Sommerspielen 1992 in Barcelona (82 Medaillen) und der bislang letzten Olympia-Ausgabe in Rio de Janeiro (42) einen knapp 50-prozentigen Edelmetallschwund bescherte.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière will den behäbigen deutschen Spitzensporttanker wieder umlenken, ihn flottmachen für die Zukunft – in der nach seinem Willen »mindestens ein Drittel mehr Medaillen« gewonnen werden sollen. Mit der geplanten Zentralisierung folgen Deutschlands Sportlenker dabei den Vorbildern der absoluten Weltspitze – und schufen parallel dazu ein bürokratisches Monster namens PotAS, kurz für »Potenzialanalysesystem«.
Mit diesem Modell soll anhand von 20 Attributen und 59 Unterattributen, wie Trainingskonzeption oder Nachwuchsentwicklung in den Verbänden, das Erfolgspotenzial der einzelnen Sportarten berechnet werden. Entsprechend den Ergebnissen soll das Geld, das der Bund dem deutschen Sport zur Verfügung stellt – im nacholympischen Jahr 2017 sind es 167,1 Millionen Euro – nicht wie bisher per Gießkannenprinzip verteilt werden. Vorgesehen ist stattdessen eine Dreiteilung, in der medaillenträchtige Sportarten im sogenannten Exzellenzcluster besonders großzügig bedacht werden. Während schon jene, die den zweiten Cluster (»Potenzialcluster«) verfehlen, leer ausgehen.
Das Konzept wirft, gerade in den aktuellen Hochdopingzeiten, Fragen auf. »Wenn es im Sport das Unwort des Jahres gäbe – PotAS hätte ganz gute Chancen«, kommentiert die paralympische Sportschützin Manuela Schmermund zynisch und argwöhnt gegenüber den Architekten der Reform: »Irgendetwas passt im Ablauf nicht, wo bleibt die Diskussion?« Viel Zeit dazu bleibt bis zur Abstimmung am 3. Dezember in Magdeburg jedenfalls nicht mehr.